# taz.de -- Festnahmen in der Türkei: Die Welt der Tayyips
       
       > An einer Uni in Ankara werden nach der Abschlussparty Absolvent*innen
       > festgenommen. Der Grund: Ihr Banner trug Tierkarikaturen mit Erdoğans
       > Gesicht.
       
 (IMG) Bild: Die Studierenden der ODTÜ waren auch schon zu den Gezi-Protesten 2013 aktiv
       
       Es ist ein bisschen, als würde man eine schreckliche medizinische Diagnose
       vorgesetzt bekommen: furchteinflößend, aber doch erwartbar. Wer ungesund
       lebt, kann davon ausgehen, Diabetes oder irgend etwas anderes Fieses zu
       bekommen. So ähnlich ist es mit der Demokratie in der Türkei. Am
       Montagnachmittag wird Recep Tayyip Erdoğan als Staatspräsident vereidigt.
       Damit wird das von vielen seit Jahren befürchtete Ein-Mann-Regime nun
       amtlich.
       
       Ja, es sieht nicht gut aus. Die Gewaltenteilung ist aufgehoben und jeden
       Tag gibt es neue Schreckensmeldungen: Massenentlassungen, Verhaftungen und
       Repressionen gegen Medienschaffende, Jurist*innen und Studierende. Doch die
       permanenten und unermüdlichen Proteste von Menschen, egal wie klein sie
       sind ist, können als Abwehrreaktion des Immunsystems betrachtet werden. So
       zum Beispiel die Ereignisse bei der Diplomverleihung an der Technischen
       Universität in Ankara (ODTÜ) am vergangenen Freitag.
       
       Traditionell verabschieden sich die Absolvent*innen der ODTÜ bei einer
       Parade auf dem campuseigenen „Stadion der Revolution“ mit scharfzüngigen
       Plakaten und Transparenten von ihrer Uni und deren Belegschaft. „Die
       Studienzeit war wie der Ausnahmezustand – sie wollte einfach nicht enden“,
       stand zum Beispiel auf einem Transparent, das zwei Studierende über den
       Sportplatz trugen. Über 500 Transparente waren es in diesem Jahr, mit denen
       die Studierenden humorvoll, geistreich und wortgewandt die repressive
       Regierung und gesellschaftliche Problem kritisierten. Doch ein Plakat
       führte zur Festnahme von drei frisch gebackenen Absolvent*innen.
       
       ## Majestätsbeleidigung während der Abschlusparade
       
       Auf dem Plakat ist Recep Tayyip Erdoğan in Form verschiedener Tiere
       dargestellt: als Elefant, Kuh, Kamel, Frosch, Schlange, Vogel, Giraffe und
       als Affe. Darüber steht wörtlich „Und nun – die Welt der Tayyips“, was im
       übertragenden Sinn soviel heißt wie: Ab jetzt gilt die Ordnung des
       Staatspräsidenten und seinesgleichen. Bereits einen Tag nach der
       Abschlussparade wurden die drei Absolvent*innen, die das Plakat getragen
       haben, in Gewahrsam genommen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen
       „Majestätsbeleidigung“ vor.
       
       Die karikaturistische Darstellung des Staatspräsidenten in Form von Tieren
       wurde offenbar von einigen Zuschauern im Stadion als Affront wahrgenommen.
       Sie verbreiteten das Bild über die sozialen Netzwerke und forderten
       Konsequenzen. Dies erreichte schnell regierungsnahe Tastaturhelden,
       darunter den AKP-Parlamentsabgeordneten Yılmaz Tunç und Abdurrahman Uzun,
       Chefredakteur der regierungsnahen Nachrichten Plattform Türk Haber Merkezi.
       Sie beteiligten sich an dem Shitstorm gegen die Studierenden, der wiederum
       zu deren Festnahme führte.
       
       Allerdings ist die Karikatur von der Meinungsfreiheit gedeckt, das hat
       bereits ein Gericht im Jahr 2006 entschieden. Es handelt sich nämlich um
       das Titelblatt der inzwischen eingestellten Satirezeitschrift Penguen aus
       dem Jahr 2005. Das Satiremagazin hatte aus Solidarität mit dem
       Karikaturisten Musa Kart, der den damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan als
       Katze in Wollfäden gezeichnet und dafür verklagt wurde, diesen Titel
       veröffentlicht und wurde dafür ebenso von Erdoğan verklagt. Die Klage
       jedoch wurde abgewiesen.
       
       ## Die ODTÜ-Universität ist bekannt für linke Protestkultur
       
       Die Studierenden der renommierten ODTÜ-Universität sind bekannt für ihre
       Protestkultur. Bereits seit den 1970er Jahren hat die traditionell linke
       Studierendenschaft in Ankara Erfahrung mit der Auflehnung gegen die
       Obrigkeit. Es gibt Campus-Legenden, nach denen sich Deniz Gezmis, der
       berühmte Studentenführer der türkischen 1968er, auf dem ODTÜ-Campus vor der
       Polizei versteckt habe und über unterirdische Tunnel unter der Universität
       vor dieser fliehen konnte. So hat sich der Geist der revolutionären Linken
       über die Jahrzehnte bei einem Großteil der Studierenden gehalten.
       
       Während der Gezi-Proteste vor fünf Jahren haben sich ODTÜ-Studierende
       heftige Straßenschlachten mit der Polizei auf dem Campus geliefert. Zu
       ähnlichen Szenen kam es vergangenen Freitag, als die Studierenden gegen die
       Antrittsansprache des neuen Universitätsrektor Mustafa Verşan Kök
       protestierten. Obwohl Kök bei der Wahl zum Universitätsrektor nur Zweiter
       geworden war, hatte ihn der Staatspräsident ins Amt gehoben. Mit Gebrüll
       unterbrachen die Studierenden Köks Antrittsrede und wurden dafür von
       Sicherheitskräften angegriffen.
       
       Die Geschichte zeigt, dass nicht nur Repressionen, sondern auch die
       Protestkultur in der Türkei Kontinuität hat. Nicht umsonst stand auf einem
       der Transparente „Gewöhnt euch nicht an die Hoffnungslosigkeit.“
       
       9 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Canset Icpinar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) Politik
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Türkei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kabinett Erdoğan in der Türkei: Der Schwiegersohn als Finanzminister
       
       Der türkische Staatschef Erdoğan ist im neuen Präsidialsystem noch
       mächtiger als zuvor. Sein Kabinett ist um einen Verwandten reicher.
       
 (DIR) Amtseinführung Erdoğans in der Türkei: Auf dem Gipfel seiner Karriere
       
       Der alte und neue Präsident der Türkei ist nun in seinem Amt vereidigt.
       Auch nach dem Notstand kann er weiter per Dekret regieren.