# taz.de -- wohnungspolitik: Wirksame Dämme
> Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist dramatisch. Politisches Umsteuern
> tut Not, doch leider lässt die Große Koalition den Willen dazu vermissen
In deutschen Großstädten und Ballungsräumen explodieren die Mieten nahezu
ungebremst, in einigen Gebieten wird für 2018 mit einer durchschnittlichen
Steigerung von über 10 Prozent gerechnet. Die Entwicklung auf dem
Wohnungsmarkt droht einen der Grundpfeiler der sozialen Verfasstheit dieses
Landes zu erschüttern: das Recht auf Wohnen.
Nach Jahren der wohnungspolitischen Agonie dämmert allmählich auch den
politischen Akteuren, wie ernst die Lage ist. Alle Instrumente der
Mietpreisbegrenzung im Bestand haben sich als weitgehend wirkungslos
erwiesen. Modernisierungsumlagen machen die Mietspiegel zur Farce, die
Mietpreisbremse bei Neuvermietungen funktioniert nicht. Auch das System des
geförderten sozialen Wohnungsbaus ist krachend gescheitert, da es sich nur
um eine temporär subventionierte Belegungs- und Mietpreisbindung handelt,
die nach 20 bis 30 Jahren ausläuft. Gab es 1990 noch knapp 3 Millionen
Sozialwohnungen, waren es Anfang dieses Jahres nur noch rund, 1,2 Millionen
und in den kommenden Jahren werden im Durchschnitt jeweils weitere 50.000
Sozialwohnungen dem „freien Markt“ übergeben.
Für renditeorientierte Bauherren und Immobilienanleger ist Deutschland ein
Paradies, auch wenn es erste Warnungen vor einer „Preisblase“ gibt.
Schätzungen zufolge gibt es mindestens 1 Million Wohnungen zu wenig. Um den
Mangel mittelfristig zu überwinden, müssten auf absehbare Zeit rund 400.000
Wohnungen pro Jahr gebaut werden, doch im Durchschnitt der vergangenen
Jahre waren es lediglich 250.000. Wobei der Anteil der errichteten
Sozialwohnungen nicht einmal ausreicht, um den Wegfall in Altbeständen zu
kompensieren.
Die Ursachen für dieses Desaster sind bekannt. Ab Mitte der 1990er Jahre
haben Bund, bundeseigene Unternehmen, Länder und Kommunen unzählige
Wohnungen an Kapitalgesellschaften verscherbelt. Paketverkäufe wie 114.000
bundeseigene Eisenbahnerwohnungen und die komplette kommunale Berliner
Wohnungsbaugesellschaft GSW (66.000 Wohnungen) an Finanzinvestoren schufen
die Basis für die Etablierung börsennotierter Immobilienkonzerne wie
Vonovia und Deutsche Wohnen. Parallel dazu kam der Wohnungsbau fast zum
Erliegen. Die Erleichterung von Eigenbedarfskündigungen und
Modernisierungsumlagen sowie die Beschneidung der kommunalen Instrumente
für Mietobergrenzen in einzelnen Quartieren als Verdrängungsschutz wirkten
als zusätzlicher Turbo für eine Entwicklung, die für viele Menschen längst
zu einer existentiellen Bedrohung geworden sind.
Schon jetzt gibt es laut der BAG Wohnungslosenhilfe rund eine Million
Wohnungslose in Deutschland, von denen der Großteil nicht auf der Straße
lebt, sondern in Einrichtungen oder Behelfsquartieren. Vor allem in
Großstädten haben die wenigsten von ihnen eine Chance auf dem regulären
Wohnungsmarkt. Zunehmend sind auch Familien mit Kindern betroffen. Und
niemand zweifelt daran, dass die Zahl der Wohnungslosen weiter steigen
wird.
Nötig wäre also ein radikales, nachhaltiges Umsteuern in der
Wohnungspolitik auf allen Ebenen, doch davon kann leider keine Rede sein.
Die neue Bundesregierung setzt, abgesehen von ein paar kosmetischen
Korrekturen, im Wesentlichen auf eine Fortsetzung der mietpreistreibenden
Politik. Dabei gäbe es etliche Lösungsansätze zur Eindämmung des
Mietenwahnsinns und zur Überwindung des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Da
wäre zum einen das Mietrecht. Notwendig wären unter anderem ein Verbot der
Eigenbedarfskündigung, eine drastische Kappung der Modernisierungsumlagen,
erweiterte Härtefallregelungen bei Mieterhöhungen und eine Neuberechnung
der Mietspiegel durch Einbeziehung älterer, meist günstigerer
Bestandsmieten.
Ein wesentlich dickeres Brett müsste bei der Neubauförderung gebohrt
werden. Nötig wäre ein Ausstieg aus dem System der temporären
Mietpreissubvention beim sozialen Wohnungsbau. Stattdessen sollten die
Fördermittel vorrangig für die Schaffung dauerhaft preiswerten Wohnraums in
kommunaler Trägerschaft und darüber hinaus auch für gemeinnützige und
genossenschaftliche Unternehmen verwendet werden. Dringend erforderlich
wären ferner eine an der Schaffung günstigen Wohnraums ausgerichtete
Liegenschaftspolitik und Maßnahmen gegen Bodenspekulation. Viele
Kommunalpolitiker fordern in diesem Zusammenhang eine progressive
Besteuerung des Wertzuwachses von Grundstücken und ein Vorkaufsrecht der
Kommunen bei privaten Grundstücksverkäufen.
In den Städten müsste der Fokus stärker auf die Schaffung vieler Wohnungen
in öffentlicher Trägerschaft gerichtet werden. Denn nur so sind konsequente
Mietpreisbegrenzungen und der Ausbau geschützter Segmente für Wohnungslose
und „marktferne“ Wohnungssuchende möglich. Vor allem gilt es aber,
Neubauflächen schneller zu erschließen, die Planungsverfahren zu
beschleunigen und innerstädtische Verdichtungspotenziale sozial und
ökologisch vertretbar, aber auch konsequent zu nutzen. Ausgerechnet die
„rot-rot-grüne“ Landesregierung in Berlin tritt dabei aber kräftig auf die
Bremse – aus Angst vor Konflikten mit ihrer „neubaukritischen“ Klientel.
Viele Neubauvorhaben werden faktisch unter Zustimmungsvorbehalt durch die
„Stadtgesellschaft“ gestellt. Mit dem Ergebnis, dass die angepeilten
Neubauquoten trotz starken Zuzugs und explodierenden Mieten bei Weitem
nicht erreicht werden.
Nicht alles ist also möglich, aber doch vieles. Auch im Rahmen einer
marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung ließen sich wirksame Dämme gegen
entfesselte Immobilienspekulation und Mietenexplosion bauen. Schließlich
geht es hier um das Grundrecht auf angemessene Versorgung mit Wohnraum, was
sogar in einigen Landesverfassungen verankert ist. Leider fehlt zur
Umsetzung der politische Wille.
26 Jul 2018
## AUTOREN
(DIR) Rainer Balcerowiak
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