# taz.de -- Richter entscheiden über Kennzeichnung: Die heimlichen Gen-Produkte
       
       > Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich mit neuen Methoden der
       > Genmanipulation. Kritiker warnen vor Gentech ohne Hinweis im Handel.
       
 (IMG) Bild: Was muss auf Verpackungen stehen? Darüber urteilt der Europäische Gerichtshof
       
       BERLIN taz | Sie wurden weltweit als Wunderwaffe im Kampf gegen Hunger oder
       bisher unheilbare Krankheiten gefeiert: die neuen Methoden zur
       Erbgutveränderung. Pflanzen, die auf salzigen Böden wachsen, nur wenig
       Wasser brauchen oder für die Ernährung wichtige Inhaltsstoffe bilden,
       sollen in greifbarer Nähe sein.
       
       Die neuen Methoden sollen effektiver sein, schneller, genauer und vor allem
       günstiger als die bisherigen gentechnischen Verfahren. In den USA haben die
       Behörden schon grünes Licht für erste Produkte gegeben: für Champignons
       etwa, die nicht mehr braun werden, oder Stärkemais.
       
       Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch bei uns zahlreich in die Läden
       kommen – vorausgesetzt, sie müssen kein Gentechniklabel tragen. Denn nur,
       wenn der Verbraucher nicht erfährt, dass er Gentechware vor sich hat, wird
       er sie auch kaufen. Genau das ist die Hoffnung vieler Gentechforscher und
       der Biotechindustrie: Sollten die Verfahren nicht unter das Gentechrecht
       fallen, dürfen sie ohne Kennzeichnung in den Handel gebracht werden.
       
       Zum Streitfall wurden die neuen Methoden im Jahr 2015. Damals hatte die
       schwedische Landwirtschaftsbehörde entschieden, dass Pflanzen, die damit
       „hergestellt“ wurden, nicht in jedem Fall unter das Gentechnikrecht und
       damit unter die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln und Tierfutter
       fallen. Auch Risikoabschätzungen und Zulassungsverfahren wären damit
       obsolet. Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und
       Lebensmittelsicherheit (BVL) schloss sich der schwedischen Position an.
       
       ## Aus für Bioprodukte
       
       Die so genveränderten Pflanzen könnten damit einfach im Freiland angebaut
       werden. Umweltverbände, Verbraucherschützer und Vertreter des Bioanbaus
       protestierten: Für einzelne Bioprodukte würde es das „Aus“ bedeuten,
       gentechnikfreie Ware könnte oftmals nicht mehr garantiert werden.
       
       Denn: Ein Biolandwirt würde – anders als bei konventioneller Gentechnik –
       gar nicht erfahren, dass sein Nachbar Gentechpflanzen anbaut. Er würde
       nicht auf die Idee kommen, dass seine Pflanzen durch Pollenflug
       kontaminiert sein könnten. Und selbst wenn er den Verdacht hätte, hätte der
       Nachbar ihm gegenüber keine Auskunftspflicht.
       
       Mit Spannung warten deshalb sowohl die Gentechkritiker als auch Forscher
       und Industrievertreter darauf, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) am
       Mittwoch über die von französischen NGOs in Gang gebrachte Klage
       entscheiden wird.
       
       Dass es sich bei den unter „Genom Editing“ zusammengefassten neuen Methoden
       um Gentechnik handelt, ist unstrittig. Das Besondere ist, dass mit ihnen
       gezielt Veränderungen des Erbguts möglich sind, ohne dass zusätzlich fremde
       DNA in den Organismus eingebracht werden muss. Die bekannteste Methode ist
       das sogenannte [1][CRISPR/Cas-9-Verfahren].
       
       ## Viele Möglichkeiten
       
       CRISPR/Cas 9 besteht aus einem Molekülkomplex, an dem eine DNA-Schere, das
       Cas 9, angekoppelt ist. Eine zusätzliche kurze Zielsequenz signalisiert, an
       welcher Stelle der DNA-Strang durchgeschnitten werden soll. Durch den
       Schnitt wird das Repairsystem der Zelle aktiv. Dabei kann beeinflusst
       werden, wie die Reparatur durchgeführt wird. So kann etwa eine zusätzliche
       Fremd-DNA an der Schnittstelle eingebaut werden – das würde eindeutig unter
       die Gentechregeln fallen. Es kann aber auch nur ein einzelner DNA-Baustein
       ausgetauscht oder entfernt werden. Der CRISPR/Cas-9-Komplex wird abgebaut,
       in der Zelle bleiben keine weiteren Spuren zurück.
       
       Die Möglichkeiten sind vielfältig: Ein Gen könnte komplett stillgelegt
       werden. Oder eine Regulatorsequenz wird verändert, das Gen dadurch häufiger
       abgelesen; ein bestimmter Inhaltsstoff, vielleicht eine Fettsäure oder ein
       Vitamin, wird in der Pflanze angereichert. Solche Veränderungen finden auch
       in der Natur statt. Genforscher argumentieren deswegen, dass
       Punktmutationen, wie sie tagtäglich vorkommen, nicht unter die
       Gentechnikregelungen fallen dürfen. Doch diese Position ist auch unter
       Wissenschaftlern umstritten.
       
       Vor einigen Tagen veröffentlichte das renommierte Fachmagazin Nature
       Biotechnolgy eine Studie über mögliche Nebenwirkungen von CRISPR/Cas 9: Ein
       Forscherteam um Allan Bradley vom britischen Wellcome Sanger Institute
       hatte in Mäusen zahlreiche DNA-Schäden nach einem Cripsr/Cas-9-Einsatz
       entdeckt. Es fehlten DNA-Abschnitte, andere waren plötzlich verkehrt herum
       oder an einer ganz anderen Stelle eingebaut. Vergleichbare Befunde soll es
       auch bei anderen Genom-Editing-Verfahren gegeben haben.
       
       Diese Befunde zeigen, dass es eine Reihe von Unbekannten beim Genom Editing
       gibt. Wie Pflanzen sich später in der Umwelt verhalten, kann nicht
       vorhergesagt werden. Können sie sich unkontrolliert ausbreiten? Gibt es
       unerwünschte Stoffwechselveränderungen?
       
       Für Gentechkritiker wie Christoph Then vom Verein Testbiotech ist es
       deshalb unerlässlich, dass solche Pflanzen nicht ohne Risikoforschung und
       Zulassungsverfahren – wie es etwa bei den Champignons in den USA geschieht
       – vermarktet werden dürfen. Das ist aber nur möglich, wenn sie unter die
       Gentechregelungen fallen.
       
       Für Pflanzengenetiker wäre das der Worst Case; hoffen sie doch, ihre
       Laborkreationen endlich an die Konsumenten bringen zu können. Die
       Agrarwissenschaftlerin Stefanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbands der
       Pflanzenzüchter (BDP), bezeichnete in der Zeit das erwartete EuGH-Urteil
       sogar als „kriegsentscheidend“.
       
       Die EU-Kommission hat die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, keine Fakten
       mit dem Genom Editing zu schaffen und „zurückhaltend“ zu agieren. Am Montag
       berichtete aber die belgische Zeitung De Morgen, dass in Belgien schon seit
       anderthalb Jahren heimlich Freilandversuche mit CRISPR-Mais durchgeführt
       werden. Das belgische Umweltministerium soll dem Flämischen Institut für
       Biotechnologie mitgeteilt haben, dass die CRISPR-Versuche nicht unter die
       Gentechnikregeln fallen. Bis jetzt waren diese Versuche vor der
       Öffentlichkeit verborgen geblieben.
       
       Den Artikel zum Urteil finden Sie hier: [2][Neue Gentechnik vor dem EuGH:
       Crispr-Cas unterliegt Auflagen]
       
       24 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Was-kann-die-Gentechnik-Crispr-Cas/!5523322
 (DIR) [2] /Neue-Gentechnik-vor-dem-EuGH/!5523461
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Löhr
       
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