# taz.de -- Das andere im Eigenen
       
       > Liaison aus Gesellschaftsdiagnose und Splatter-Drastik: In der
       > Bahnhofskino-Reihe im Filmrauschpalast werden drei der besten Horrorfilme
       > David Cronenbergs gezeigt
       
 (IMG) Bild: Genüssliche Körper-Dekonstruktion: Jeff Goldblum mutiert in „The Fly“ zum Fliegenmonster
       
       Von Thomas Groh 
       
       „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.“ Selten in der abendländischen
       Kulturgeschichte hat ein Künstler die Stoßrichtung des Titels von Francisco
       de Goyas berühmtem Bild so konsequent umgekrempelt wie David Cronenberg. In
       den 1970ern gehörte der kanadische Autor neben George Romero, Wes Craven
       und Tobe Hooper zu den wichtigsten Erneuerern des Horrorfilms.
       
       Für Ungeheuer aus dem Volksglauben wie Vampire oder Gespenster, denen die
       Aufklärung einst den Kampf angesagt hat, interessiert sich Cronenbergs Kino
       des Monströsen nicht: Nicht der andere als Gegenüber, sondern das andere im
       Eigenen steht im Mittelpunkt.
       
       Die Arena seiner Filme bilden die Wüsten des Realen, in denen sich das
       Subjekt im späten 20. Jahrhundert nach Technologieschub, Triumph der
       Psychoanalyse und der Ausdifferenzierung der Massenmedien wiederfindet: in
       einer Welt der Durchleuchtung des Menschen, dessen Körper bei Cronenberg
       jedoch nachdrücklich auf die eigene Materialität pocht: Befeuert vom
       menschlichen Drang nach Erkenntnis werfen die seelischen Apparate
       körperliche Metastasen. Drei der besten Filme aus Cronenbergs
       Schaffensphase auf dem Weg zum anerkannten Autorenfilmer zeigt jetzt die
       Bahnhofskino-Reihe des Filmrauschpalasts Moabit – zwei davon sogar auf
       35mm-Kopien.
       
       In „Die Brut“ – einer Symphonie aus trübem 70s-Braun, das sich in Gebäude,
       Kleidung und Menschen gleichermaßen frisst – ist es eine neue Form der
       Psychotherapie, die den Verkantungen eines Scheidungsdramas die
       Cronenberg’sche Würze verleiht: Bei Dr. Hal Raglans (Oliver Reed)
       „Psychoplasmotics“ genannter Methode übersetzen Analysanden ihre seelischen
       Schmerzen bei performativen Sitzungen in psychosomatische Symptome, um die
       sich dann die Schulmedizin kümmert – nur dass Nola (Samantha Egger), die
       mit ihrem Mann Frank (Art Hindle) ums Sorgerecht für das gemeinsame Kind
       streitet, einen äußerlichen Gebärmutter-Sack treibt, dessen gnomische
       Leibesfrüchte als Konkretionen von Nolas Unbewusstem Hatz auf alles machen,
       was ihr Wohlbefinden stört.
       
       Den Pulp-Irrsinn dieser Idee setzt Cronenberg, der mit „Die Brut“ seine
       eigene Scheidung verarbeitete, nicht als trashiges Campspektakel um,
       sondern als melancholisch-ernstes Melodram mit viel Raum für die Wut und
       den Zorn jeder schwierigen Trennung. Auch als säuerlichen Kommentar auf
       manchen Selbstfindungsmumpitz der 70er lässt es sich lesen.
       
       Genre-affiner ist da „Scanners“, ein Mix aus Science-Fiction, Horror,
       Action- und Agententhriller: Eine Droge namens Ephemerol hat hier,
       verabreicht an schwangere Frauen, eine mutierte Generation von „Scannern“
       hervorgebracht, telepathisch veranlagten Menschen, die als soziale Outcasts
       durchs Land ziehen und sich schließlich in einer handfesten
       Auseinandersetzung zwischen einem durchgeknallten, nach der Weltmacht
       strebenden Scanner und einem undurchsichtigen Chemiekonzern namens ConSec
       wiederfinden.
       
       Eine grandios paranoide Allegorie auf die Entfremdungen des
       Spätkapitalismus, die spätestens dann, wenn ein Scanner sein Bewusstsein
       mit einem Computernetzwerk kurzschließt, mit mulmig-offenem Ausgang die
       Frage nach dem Subjekt im Digitalzeitalter stellt – ein gerade im Licht
       aktueller Datenskandale rund um Facebook und Cambridge Analytica wieder
       erstaunlich aktueller Film.
       
       Auch „Die Fliege“, das drastische Remake eines harmlosen Gruselfilms mit
       Vincent Price und sicherlich Cronenbergs bekanntester Film, ist randvoll
       gesogen mit Zeitgeist: Seth Brundle (Jeff Goldblum), ein Frankenstein’scher
       Wissenschaftler, wagt im Selbstversuch die Teleportation seines Körpers –
       nicht wissend, dass sich in seiner Portationszelle auch eine Stubenfliege
       befindet, deren Gencode nunmehr seinen eigenen kontaminiert und damit einen
       derben Transformationsprozess in Gang setzt.
       
       Die Ekelpotenziale dieser wörtlich verstandenen Körperdekonstruktion
       schöpft Cronenberg genüsslich aus – in seiner minutiösen Schilderung eines
       rätselhaften körperlichen Verfalls gelingt ihm damit vielleicht die
       treffendste Parabel auf die Aids-Hysterie der 80er, auf deren Höhepunkt er
       entstand.
       
       Kulturtheorie und Gesellschaftsdiagnose gehen in Cronenbergs
       intellektuellem Horrorkino eine reizvolle Liaison mit der Poesie des
       B-Movies und der Drastik des Splatters ein. Dass seine Filme bis heute an
       Durchschlagskraft kaum verloren haben, macht einem nur umso drängender
       bewusst, wie sehr Cronenberg gerade heute dem Kino fehlt: Sein letzter Film
       „Maps to the Stars“ liegt vier Jahre zurück. Ein neuer Film für den heute
       75-Jährigen ist nicht in Sicht.
       
       Bahnhofskino XX: Cronenberg Triple (35mm) – „The Fly“ (OF), „The Brood“
       (OV) & „Scanners“ (DF): Filmrauschpalast, Lehrter Str. 35, 13. 7., 22 Uhr
       
       12 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Groh
       
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