# taz.de -- Die Roten Teufel bei der Fußball-WM: Belgisches Wir-Gefühl
       
       > Die belgische Nationalmannschaft entfaltet eine integrative Kraft. Es
       > geht nicht nur um Siege, das Ganze hat auch eine politische Dimension.
       
 (IMG) Bild: Die schwarz-gelb-rote Fahne ist zur Zeit nicht nur ein abgehalftertes Symbol der kleinen Strömung der „Belgicisten“
       
       Belgien im Juli 2018. Sengende Sonne hängt glutrot über dem Land. Verdorrt
       liegt die ockergelbe Vegetation darnieder, nur ein einzelner Kaktus steht
       in dieser Wüste, in der seit Wochen kein Regel gefallen ist. Er ist grün,
       der Kaktus, gleicht aber ansonsten dem schwarzen Dreizack, welcher dem als
       „Rote Teufel“ bekannten Fußballteam als Logo dient.
       
       „Belgien im Bann der Trockenheit“ ist die Karikatur der Tageszeitung De
       Standaard betitelt. Keine Frage: Dieser Sommer ist historisch. Was das
       Klima angeht, die Auftritte der Teufel und als Resultat die Konjunktur der
       belgischen Tricolore.
       
       Es ist ein beliebtes Spiel, die Leistungen nationaler Auswahlkicker im
       Licht des politischen Kontexts zu sehen und wechselseitige Rückschlüsse zu
       ziehen. Man kennt das von kriselnden Ländern, wo ein fußballerischer
       Aufschwung dem gebeutelten Volk vermeintlich Entlastung verschafft.
       
       Im belgischen Fall drängt sich das abgestandene Bonmot auf, wonach
       [1][nichts als Fritten, das Königshaus und eben die Roten Teufel das Land
       zusammenhielten], das entlang einer frankophon-niederländischen
       Sprachgrenze in zwei Entitäten getrennt ist.
       
       Seltsamerweise wurde diese Weisheit just vor rund zehn Jahren oft bemüht,
       als die Sprachgrenze ihrem spaltenden Potenzial zwar alle Ehre machte, die
       Mannschaft aber historisch schlecht und alles andere als populär war.
       Damals wurde der flämisch gesinnte angehende Premier Yves Leterme von
       Journalisten aufgefordert, die Nationalhymne zu singen. Er stimmte die
       Marseillaise an. Vergangenes Wochenende indes wurde auf der Bühne des
       bekannten Festivals „Rock Werchter“ die belgische „Brabançonne“ gesungen.
       
       ## Politische Konsolidierung
       
       Es ist Zufall, dass der Aufschwung dieses Teams in die Zeit politischer
       Konsolidierung in Belgien fällt. Zugleich sind die „Roten Teufel“
       Projektionsfläche und Protagonisten eines belgischen Wir-Gefühls, das man
       zuvor nicht kannte.
       
       Die schwarz-gelb-rote Fahne ist in diesen Tagen nicht nur ein
       abgehalftertes Symbol der kleinen Strömung der „Belgicisten“, welche die
       zugunsten der Regionen beschnittene Brüsseler Zentralregierung restaurieren
       wollen, sondern hat geradezu popkulturellen Wert.
       
       Nun ist es keine Überraschung, dass Fans Fahnen schwenken, wenn sich
       Erfolge einstellen. Doch beschränkt sich die integrative Kraft der „Roten
       Teufel“ nicht auf Ergebnisse. Zwei Schlüssel-Akteure waren bzw. sind zudem
       bekannt für politische Stellungnahmen: Ex-Coach Marc Wilmots und
       Abwehrikone Vincent Kompany.
       
       Beide sind klare Befürworter belgischer Einheit. Kompany legte sich auch
       schon mehrfach mit den flämischen Nationalisten der „Nieuw-Vlaamse
       Alliantie“ an, der noch immer stärksten Partei im Parlament. Deren Chef,
       Bart De Wever, hat sein Haus bei Antwerpen in diesen Tagen übrigens
       demonstrativ mit einem flämischen Löwen versehen.
       
       Abgesehen von Kompany aber zeigen sich die Kicker auch nicht politischer
       als anderswo. Wohl sind sie durch frühe Wechsel ins Ausland und ihre
       Wurzeln, die weit über das kleine komplexe Königreich hinausreichen, dessen
       engstirniger Identitätspolitik ohnehin enthoben.
       
       ## Teuflisches Sommermärchen
       
       Apropos Wurzeln: Im teuflischen Sommermärchen fühlen sich auch viele
       marokkanische Belgier eingeschlossen, da Nacer Chadli und Marouane Fellaini
       bislang prominent in Erscheinung traten.
       
       Die politische Tragweite des Aufschwungs hält der Journalist Jeroen De
       Preter allerdings für begrenzt. „Der Zusammenhalt wächst, keine Frage, aber
       ob das den ‚Belgicisten‘ hilft, bezweifele ich doch ziemlich“, so De
       Preter, Redakteur der progressiven Wochenzeitung Knack und
       Fußballliebhaber.
       
       Auf die „belgische Psyche“ könnte das Turnier dagegen durchaus Einfluss
       haben. „Für Flandern waren die Niederlande immer der arrogante ältere
       Bruder. Für Wallonien ist es Frankreich. Das bewirkt einen gemeinsamen
       Minderwertigkeitskomplex“, analysiert De Preter.
       
       Gerade aufgrund dessen enthält das Halbfinale einen zusätzlich brisanten
       Aspekt: Kulturell fühlt man sich im frankophonen Belgien Frankreich oft
       näher als Flandern. „Unsere Identität als frankophone Belgier wird darum
       auf irrationale Weise auf die Probe gestellt“, so die Tageszeitung La Libre
       Belgique.
       
       ## Teil Belgiens
       
       Weniger ambivalent geht es dagegen im deutschsprachigen Ostbelgien zu.
       Traditionell ist man dort den „Roten Teufeln“ besonders zugeneigt. Am Tag
       vor dem Halbfinale lässt die regionale Zeitung Grez-Echo Jean-Marie Pfaff
       stolz verkünden: „Belgien wird Weltmeister.“ Ralph Thomassen, Vorsitzender
       der Jugend-Abteilung beim lokalen Erstligisten KAS Eupen, bekräftigt: „Wir
       sehen Ostbelgien definitiv als Teil Belgiens und stehen einer Aufspaltung
       negativ gegenüber.“
       
       Entsprechend löst das Abschneiden der „Roten Teufel“ Begeisterung aus. Und
       wie sieht das mit den Deutschen aus? „Nicht wenige haben sich über das
       Ausscheiden der ‚Mannschaft‘ gefreut“, sagt Thomassen. Und fügt versöhnlich
       hinzu: „Das ist generell so, wenn ein Großer kippt.“
       
       10 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /WM-Favorit-Belgien/!5519087
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) WM-taz 2018: Neben dem Platz
 (DIR) Belgien
 (DIR) Fußballweltmeisterschaft
 (DIR) Halbfinale WM 2018 
 (DIR) Fußball
 (DIR) Belgien
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) Frauen-WM 2019 
 (DIR) Viertelfinale WM 2018
 (DIR) Viertelfinale WM 2018
 (DIR) Frauen-WM 2019 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Belgischer Internationalismus im Fußball: Gemischte Hymne
       
       Belgiens Fußballer singen am Dienstag vor dem EM-Qualifikationsspiel gegen
       Estland ihre Hymne erstmals dreisprachig. Das ist vorbildhaft.
       
 (DIR) Belgien vor dem WM-Halbfinale: Taktik als Staatsgeheimnis
       
       Wie sich Belgien auf das Halbfinale gegen Frankreich vorbereitet, weiß
       niemand. Der verletzte Stürmer Nacer Chadli spielt auch auf einem Bein.
       
 (DIR) Fan sein bei der Fußball-WM: Hauptsache, du spielst gut!
       
       Das Nationale zählt nur bis zum Ausscheiden der eigenen Mannschaft. Für wen
       soll man danach sein Fähnchen in den Wind hängen, etwa beim Halbfinale?
       
 (DIR) Viertelfinale Brasilien – Belgien: WM ist vorbei, es folgt die EM
       
       Im zweiten Viertelfinale der WM 2018 trifft Brasilien auf Belgien. In einem
       offensiven Spiel muss wieder ein Favorit gehen.
       
 (DIR) Liveticker Viertelfinale Brasilien – Belgien: Belgier blanchieren Brasilien
       
       In dieser Form ist Belgien für Brasilien einfach eine Nummer zu groß.
       Deutschland, Argentinien, Braslilien – Kasan, Friedhof der Dinosaurier.
       
 (DIR) Gruppe G: Belgien – Panama: Pflichtaufgabe erfüllt
       
       Belgien besiegt Panama mit 3:0. Die Mittelamerikaner spielen bei ihrer
       ersten WM-Partie aber mutig und leidenschaftlich.