# taz.de -- Schauen zu Modemacher Martin Margiela: Das Werden eines Avantgardisten
       
       > Schamanische Tierfelle mit Haarschnitt: Der belgische Modemacher Martin
       > Margiela wird gleich mit zwei Pariser Ausstellungen geehrt.
       
 (IMG) Bild: Die Maison Margiela Kollektion Frühjahr 2009 (Bildaussschnitt)
       
       Wahrscheinlich ist er doch der Größte. Jahrelang kannte niemand in der
       bilderversessenen Modewelt ein Bild von ihm oder wusste, wie er aussieht.
       Statt eines Labels nähte er ein weißes Stück Stoff in seine Outfits. Und
       doch gibt es in der westlichen Mode und ihren Codes nichts, was er nicht
       einmal umgestürzt hätte. In einem Kamikaze-Akt verbündete er sich
       schließlich für einige Zeit mit demjenigen Label, das in der ganzen Welt
       für die Bewahrung von Tradition und Luxus steht: Hermès.
       
       Dem belgischen Designer Martin Margiela sind derzeit in Paris zwei
       spektakuläre Ausstellungen gewidmet. Die eine im Palais Galliera, dem
       Modemuseum der Stadt Paris, zeigt einen Gesamtüberblick über Margielas
       Schaffen von 1989 bis 2009. Man sieht das Werden eines Avantgardisten,
       seine Arbeit mit surrealistischen Ver-rückungen von Bekanntem. Man sieht
       sein Spiel mit der Magie des Gesichts, wie er es verdeckt, verhüllt,
       löscht, durch verkehrt herum gewickelte Haare, überlange Ponys, Tücher und
       wie er es dann wieder auftauchen lässt.
       
       Man sieht seinen Ikonoklasmus, eine Bilderstürmerei, die vor Labels nicht
       Halt macht (ein ganzes Top ist zusammen genäht aus Labels). Man sieht
       schließlich auch die kultische Seite Margielas, die alles andere ist als
       kultig: schamanische Tierfelle mit Haarschnitt bis hin zu den berühmten
       Tabi-Schuhen, jenen „Zweizehern“ – etwas Japan, etwas Paarhufer (Kamel,
       Wiederkäuer, Giraffe) und ein wenig Teufel.
       
       ## Der unkonventionellste Designer und das konservativste Label
       
       Die zweite Ausstellung im Musée des Art décoratives ist einer unbekannten,
       ja rätselhaften Periode in Margielas Schaffen gewidmet: den Jahren der
       legendären Zusammenarbeit mit Hermès, 1997 bis 2003. Wie kann der
       unkonventionellste Designer der neunziger Jahre mit dem konservativsten,
       traditionellsten Label Frankreichs zusammenarbeiten?
       
       Hermès suchte etwas Neues, ganz anderes, etwas Außerirdisches, um sich auf
       ein neues Niveau zu bringen. Aber was suchte Margiela? Wie kann ein
       Designer etwas schaffen, das erkennbar bleibt in zwei völlig verschiedenen
       Kontexten, zwei polar unterschiedlichen Brands, zwei Stilen, zwei Welten?
       
       Wie ein Forschungsparcours zeigt die Ausstellung jeweils einen Entwurf
       Margielas für die Frauenkollektion von Hermès und direkt daneben einen
       gleichzeitigen, thematisch verwandten für das eigene Maison Martin
       Margiela. Zwei Seiten der gleichen Sache, These und Gegenthese. Beide
       treten in der Ausstellung als zwei unterschiedliche Farben auf: Orange als
       Farbe von Hermès und Weiß als Farbe des Hauses Margiela. Die zwei Farben
       führen durch vierzehn verschiedene Themen.
       
       ## Die Margiela-Welt verschiebt gewohnte Codes
       
       Das Thema des tiefen V-Ausschnitts etwa: Für Hermès wird daraus ein
       Pullover aus Kaschmir, getragen über einem Rollkragenpullover. Für das Haus
       Margiela ist es eine Lederjacke, die den gleichen tiefen Ausschnitt hat,
       aber auf dem nackten Körper getragen wird. Ein Kleid lässt durch diesen
       Ausschnitt einen Gürtel sehen, der direkt auf der Haut liegt statt das
       Kleid zusammenzuhalten. Die Margiela-Welt verschiebt, vertauscht gewohnte
       Codes. Beim Thema „Soir“ entfaltet ein Abendkleid für Hermès traditionell
       seinen ganzen Luxus aus edelsten Materialien.
       
       Die Kollektion für das Haus Margiela verwandelt das Abendkleid kurzerhand
       in ein Tageskleid, für das gefundene Materialien verwendet werden: gekauft
       auf Flohmärkten. Luxus beginnt, wo diese Stücke in einem endlosen und
       komplizierten Prozess verarbeitet werden. Patchwork, wie es bei Margiela in
       verschiedenen Formen immer wieder auftaucht, huldigt nicht zuletzt der Idee
       der Nachhaltigkeit: Neu ist eine designerische Idee, nicht ständig neue
       Erzeugnisse der Stoff- und Wegwerfindustrie.
       
       Heute, wo zu den beliebtesten Avantgardisten Demna Gvasalia (Label
       vêtements) gehört, der aus den Klischees der Gesellschaft Kleidungsstücke
       kreiert, mag man oft an Martin Margiela denken. Er hat diesen neuen Trend
       gesehen und gesetzt.
       
       5 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Razumovskaya
       
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