# taz.de -- Lothar Matthäus bei der EM 2000: Ausweichen als Prinzip
> In der Bild-Zeitung schreibt Lothar Matthäus, Mesut Özil spiele im
> DFB-Trikot ohne Herz. Der Blick ins Archiv zeigt: Der Franke war auch
> nicht besser.
(IMG) Bild: Fühlte sich offenbar nicht wohl im DFB-Trikot: Lothar Matthäus während er EM 2000
„Özil fühlt sich nicht wohl im DFB-Trikot“, schreibt Lothar Matthäus
[1][auf der Titelseite der Bild]. Der Mittelfeldspieler trete ohne Herz auf
und habe nicht kapiert, was die Deutschen von einem Nationalspieler
erwarten. Das zeige sich schon daran, dass er [2][vor dem Spiel gegen
Mexiko] nach der Hymne nicht ins Publikum gewunken habe.
Immerhin: Damit ist Özil in guter Gesellschaft. Bei der EM 2000 in Belgien
und den Niederlanden machte sich Matthäus ums Vorrundenaus der deutschen
Mannschaft verdient. Vor der Partie gegen England schaffte er es nicht mal,
bei der Hymne strammzustehen. Im Spiel selbst tauchte er dann ab.
„Abtauchen, wenn es darauf ankommt“, stand über diesem Text, der am 19.
Juni 2000 [3][in der taz erschien].
***
Charleroi taz | Drei Minuten vor dem Anpfiff ein kleiner Schreck. Die
Nationalhymne läuft, Matthäus fasst sich an den Oberschenkel. Würde etwa
schon wieder eine der 39,24-jährigen Muskelfasern streiken? Schon beim
Strammstehen jetzt, vom Singen? Es geht gut.
In der 77. Minute, als Deutschland letztmalig auswechselte, hatte Lothar
Matthäus sein ehrgeiziges persönliches Ziel erreicht: Er durfte
durchspielen. Volle 90 Minuten, erstmals seit längerem also keine
Altersteilzeit. Und der Ewige hatte gespielt, wie sein Mentor Erich Ribbeck
redet: sich als Brennpunktflüchter immer aus allem raushalten.
Ausweichen als Prinzip – der eine den Zweikämpfen, der andere kritischen
Fragen. Abtauchen, wenn es drauf ankommt, in der Tiefe des Raumes oder im
Dickicht des vagen Wortes. Hier: andere arbeiten lassen, führerhaft
herumscheuchen und das Spielgeschehen meist aus sicherer Warte beobachten;
dort: Nullsätze produzieren und Konzeptlosigkeit kaschieren.
## Immer dorthin, wo kein Laufduell droht
Das Tor: Abwehrchef Matthäus, der angetreten war, den Kritikern „das Maul
zu stopfen“, steht beim Freistoß im Nirgendwo. Nicht in der Mauer, um
Beckhams Freistoß zu blocken. Nicht im Abwehrzentrum, wo Shearer wartet. Er
verfolgt nur staunend des Balles kunstvollen Flug. Matthäus ging auch stets
dorthin, wo kein Laufduell drohte. Bei eigenen Angriffen stets weit hinter
dem Defensivverbund. Wurde er da angespielt, konnte er scheinglänzen: Ball
annehmen, zur Seite weiterleiten.
Selten wurde eine Statistik deutlicher ad absurdum geführt: Wahrscheinlich
hatte Matthäus die meisten Ballkontakte (so wie Erich Ribbeck mit seinen
weitschweifenden Statements die meisten Wortkontakte hat), wahrscheinlich
machte Matthäus auch die wenigsten Fehler, aber er konnte keine Impulse
setzen. Schon gar nicht mehr in der Schlussphase, wo es drauf angekommen
wäre. Und er stattdessen ausgepumpt und nutzlos durch seine schiere
Existenz in der deutschen Zehn+Eins einen Platz blockierte.
Matthäus habe „seine Leistung gebracht“, sagte Ribbeck
nibelungentreuenfest. Sein Lodda sei „kein Leader“ gewesen, aber „auch kein
Loser“. Und, mit dem hilflosen Hilferuf des trainernden Konditormeisters:
Wer nach neuem Führungsspieler rufe, „soll uns einen backen“. Beide stehen
sie vor dem Ende ihrer Karriere. Der eine muss für das Geschichtsbuch
morgen noch die 150 Länderspiele voll kriegen und tritt dann vielleicht
wirklich ab, der andere … Ja, was der eigentlich?
19 Jun 2018
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(DIR) Bernd Müllender
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