# taz.de -- zwischen den rillen: Wuchtige Mauern aus Klang
       
 (IMG) Bild: Günter Schickert: „Labyrinth“ (Marmo/Morr Music/Indigo)
       
       Es beginnt mit Perkussion indischer Tablas. Allerdings schlagen sie einen
       lässigen Beat im Jungle-Feeling. Und dann erklingt die weiche, aber doch
       metallische Gitarre, mit viel Delay, für die Günter Schickert bekannt ist.
       Und dann noch eine, die er auf eine Spur darüber eingespielt hat. Die
       Melodielinien tänzeln sanft um eine geheimnisvolle Mitte, von allen Tönen
       sind immer viel zu viele da. Hier geht es offensichtlich darum, einen
       Rausch per Musik herzustellen.
       
       Eigentlich muss man sagen: Schickert war für diese klaren, maximal
       verspielten Gitarrensounds bekannt. Denn wer schert sich schon ernsthaft um
       das Erbe von Krautrock. Seine Soloalben „Samtvogel“ und „Überfällig“
       erschienen auf dem Hamburger Label „Brain“. Auf ihnen verband er bizarres
       Spoken Word mit insistierenden Patterns. Daran erinnern sich heute nur noch
       Die-hard-Fans. Denen aber sind sie Wegmarken dafür, wie Krautrock in das
       überging, was man dann die Berliner Schule der elektronischen Musik nannte.
       Schickert ist Kreuzberger, gerade 69 geworden, begann er zunächst in der
       Free-Jazz-Szene Westberlins und tauchte Anfang der Siebziger dann ein in
       diese „Berliner Schule“, was eine Schublade war, die etwa für Tangerine
       Dream und Klaus Schulze erfunden wurde. Also: Musik, die weite Räume
       aufmacht, die auf Sequenzer-Patterns und weichen, warmen Sounds beruhte und
       immer auf der Suche nach der hypnotischen Kraft von Klängen war.
       
       Bald wurde diese Stilrichtung von Zeitgenossen wie dem Flötisten Georg
       Deuter zu (erfolgreicher) New-Age- und Meditationsmusik eingekocht. Der
       Westberliner Proto-Elektroniksound hatte das so eigentlich nicht verdient.
       Er war ein Versuch, mit analogen elektronischen Mitteln orchestrale Musik
       zu erzeugen, die Stücke sollten nicht einlullen, sondern eine Geschichte
       erzählen. Das war eher dem Stil des jungen Mike Oldfield verwandt und dem
       „Blade Runner“-Soundtrack von Vangelis.
       
       Schickert war dabei der Mann für die schrofferen, verwirrenden
       Sound-Landschaften. Synthesizer hat er früher nicht benutzt, sondern
       Gitarrenklänge mit Effekten nachbearbeitet. Seit über 30 Jahren hatte er
       keine Veröffentlichung mehr in Deutschland. Der in Berlin lebende
       italienische Booker und DJ Matteo Tagliavini hat ihn nun einfach
       angerufen, weil er ein besessener Fan ist – die beiden freundeten sich an
       und nun erscheint auf „Marmo“, Tagliavinis Label, ein neues Album von
       Schickert, für das er seine Arbeiten der letzten Jahre neu eingespielt und
       abgemischt hat. Darunter sind auch unveröffentlichte Stücke aus den
       Neunzigern, aber etwa mit der dichten Nummer „Tsunami“ auch ein ganz neues.
       
       Hier stöhnen und zwitschern Gitarren, kommen aus dem unendlichen Raum und
       springen den Hörenden manchmal überraschend an. Oft liefern Synthesizer die
       Grundierung dafür, mit weit ausholenden Mustern, die wiederholt und
       variiert werden. Da es ja unter Musikern zurzeit eine starke Bewegung zu
       Retro-Synthies gibt, könnte man sich leicht Heerscharen von nerdigen Fans
       vorstellen, die diese Sound-Attacken lieben werden. Die Klangflächen sind
       fett und reich, man hört aber auch viel Entwicklung im Vergleich zu den
       alten Alben. Der verträumte Elektroniksound dieser Tage ist einerseits
       übervoll, andererseits etwas klarer und durchsichtiger, und eins kann
       Schickert so gut wie niemand sonst: das Ohr überrollen mit wuchtigen Mauern
       aus Klang. Sein neues Album „Labyrinth“ ist sozusagen Noise für die Freunde
       elektronischer Musik. Man muss sich diesen Klängen einfach überlassen, sie
       sind der Moment, wenn der Rausch kommt, und nichts mehr daran zu ändern
       ist, dass man jetzt auf einen längeren Trip gehen wird.
       
       Thomas Lindemann 
       
       Live: Günter Schickert & Pyrolator, 16. Juni, Arkaoda, Berlin
       
       15 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Lindemann
       
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