# taz.de -- Wenn Katalanen feiern: Mit dem Feuer spielen
       
       > Polytechnik und Knallkörper, fünf Tage am Stück. Bei der Patum im
       > Pyrenäenstädtchen Berga kehren die Menschen ihre anarchische Seite
       > heraus.
       
 (IMG) Bild: Nachtschwärmer auf dem Patum Fest im katalanischen Berga
       
       Lautes Knallen. Schüsse. Und plötzlich liegen ein paar Menschen auf dem
       Boden. Anderswo würde ich einen terroristischen Anschlag vermuten und so
       schnell wie möglich weglaufen. Nicht so in Berga, wo die Umstehenden
       fröhlich in die Hände klatschen. Tausende von Menschen stehen dicht
       gedrängt auf der Plaça de Sant Pere und sehen zu, wie zwei Engel die
       Macess, eine Art Dämonen, besiegen. Die hatten vorher Funken sprühende
       Keulen durch die Menge geschwungen. Nun ist die Gefahr gebannt. Die Bösen
       mit ihren grimmigen Masken sind erlegt, die Engel stellen sicher, dass
       keiner von ihnen noch mal aufsteht.
       
       Allgemeines Aufatmen? Keineswegs. Kaum haben sich die Schwerter in die
       letzte Brust gebohrt, treten die Guites auf: Wörtlich übersetzt Maultiere,
       sind es im Grunde zwei Fabelwesen aus Pappmaché, die einer Giraffe und
       einem Pferd, Kamel oder Drachen ähneln. Sie beginnen, sich inmitten der
       Menschenmenge um die eigene Achse zu drehen und dabei Feuer zu spucken. Je
       schneller die Musik, desto wilder die Bewegung. Mit den Funken kommen sie
       den Umstehenden bedrohlich nah.
       
       Die halten die Hände schützend vors Gesicht und weichen schreiend zurück.
       Dann nähern sie sich den Guites wieder an und fordern die Gefahr heraus.
       Mich packt indessen die Angst. Auf meinen Armen sind die ersten Funken
       gelandet, die sich wie kleine Stiche anfühlen. Die Luft ist von Rauch
       geschwängert. Zum unheimlichen Schlagen des Tabal, der großen Pauke, werde
       ich mal in die eine, mal in die andere Richtung geschoben.
       
       Wo ist Carles? Ich sehe mich nach meinem Begleiter um, muss ihn aber
       irgendwann verloren haben. Ich drücke mich an eine Hauswand, wo auch ein
       paar Väter mit Kindern auf den Schultern stehen. Ob ich hier einigermaßen
       sicher bin? Plötzlich wird es still. Gespräche und Schreie verstummen. Dann
       spielt die vorwiegend aus Blechbläsern bestehende Kapelle eine feierliche
       Melodie. Der Àliga, der Adler, tritt auf. Er ist das Symbol der Stadt
       Berga, jener provinziellen Kleinstadt am Fuß der Pyrenäen, wo die Patum
       stattfindet. Der komische Vogel aus Pappmaché verneigt sich erst vor der
       Kirche, dann vor dem Rathaus und beginnt zu tanzen. Erst langsam, dann
       immer schneller, als sich der Rhythmus verdoppelt.
       
       ## Kein Halten mehr
       
       Und irgendwann gibt es kein Halten mehr. Alle auf dem Platz tanzen, nein,
       sie springen zum Takt der Musik, schwingen die Arme über dem Kopf,
       schneller und immer schneller, kurzzeitig fällt alles in eine Art Trance,
       einen kollektiven Rausch. Ähnliches wiederholt sich, als die alten Zwerge,
       die Nans vells, mit ihren Riesenköpfen auftreten. Zuletzt kommen die
       Gegants, die Riesen. Wie Königspaare stolzieren sie majestätisch durch die
       Menge. Mit ihrem letzten Tanz endet die Patum am Mittag.
       
       Nachdem alle ausgiebig gegessen und eine Siesta gemacht haben, geht es um
       21.30 Uhr weiter mit der Patum completa, der vollständigen Patum. Die
       erreicht ihren Höhepunkt mit den Plens, den Vollen. „Wenn du das noch nicht
       erlebt hast, sieh es dir lieber erst mal aus der Entfernung an“, hatte mir
       Salvador Vinyes, den ich vorher in der Bar Cal Negre getroffen hatte,
       geraten und mir angeboten, das Ganze von seinem Fenster aus zu verfolgen.
       Das nehme ich dankend an. Bahne mir gegen 21 Uhr einen Weg durch die Menge
       und schaffe es gerade rechtzeitig zu Salvadors Haus.
       
       In seiner Wohnung haben sich bereits alle möglichen Freunde und Bekannten
       versammelt und mit kalten Getränken, Kameras und Handys für das Spektakel
       gerüstet. Das dann tatsächlich in die Vollen geht. Nach dem Auftritt der
       Riesen werden auf dem Platz sämtliche Lichter gelöscht. Dann mischen sich
       hundert Diables, Teufel, unter die Menge. Das kann ich allerdings nur dem
       lauten Knallen und dem Feuer entnehmen, das überall auf dem Platz
       aufflammt. Sie sollen an ihren Hörnern Knallkörper und Pyrotechnik tragen
       und selbst mit Masken und allerlei nicht brennbarem Grünzeug an Kopf und
       Körper geschützt sein, sodass sie wie archaische Ungeheuer aussehen.
       
       ## Der Patum ist heilig
       
       Die Menschen auf dem Platz haben sich ihrerseits mit alten Klamotten und
       Hüten aus Baumwolle gewappnet. Bald sehe ich nur noch Feuer, das über einem
       Meer von roten Hüten lodert, ein wilder Tanz der Flammen, begleitet von
       einem ohrenbetäubenden Knallkonzert. Wüsste ich nicht, was hier abläuft,
       würde ich denken, dass hier ein Bürgerkrieg tobt. In Deutschland wäre so
       etwas undenkbar. Aber hier? „Na ja, die Sicherheitsvorkehrungen werden hier
       auch immer strenger“, räumt einer der Anwesenden ein. „Aber keiner würde
       sich trauen, es zu verbieten. Die Patum ist uns heilig“, sagt Salvador.
       
       Wie bei vielen anderen Dorf- und Stadtfesten, bei denen Feuer zum Einsatz
       kommt, scheinen die Katalanen hier ihre vielbeschworene Rauxa auszuleben,
       jene Leidenschaft oder Verrücktheit, die ihrem ebenso sprichwörtlichen
       Seny, ihrem gesunden Menschenverstand, gegenübersteht. Es ist schon
       merkwürdig: Einerseits begehen sie gesittete Feste wie Sant Jordi, wo der
       heilige Georg, Schutzpatron Kataloniens, am 23. April mit Büchern und Rosen
       gefeiert wird, die man sich schenkt. Alles ganz brav und zivilisiert. Dann
       tanzen sie Sardana, jenen Tanz, wo man sich an den Händen fasst und nach
       einem komplizierten Schema hüpft. Auch wenn sie ihre Castells,
       Menschentürme, mit bis zu acht Stockwerken errichten, wo die einen auf den
       Schultern der anderen stehen und alle zusammenhalten müssen, damit es der
       leichteste bis nach ganz oben schafft, ist äußerste Disziplin gefragt. Und
       dann veranstalten sie so wilde, chaotische Feste mit einem Anflug von
       Anarchie.
       
       Eine Art Katharsis? „Mag sein“, meint Salvador Vinyes, der als
       Grafikdesigner auch das Logo der Patum entworfen hat. „Es gibt viele
       Theorien. In jedem Fall ist es auch ein großes Gemeinschaftserlebnis. Das
       ganze Jahr über sind wir Individuen, Verkäuferin, Arzt oder
       Bankangestellter. Aber während der Patum sind wir alle eins.“
       
       ## Freiheit für die politischen Gefangenen
       
       Und keiner, der aus Berga oder Umgebung kommt, möchte sich das Spektakel
       entgehen lassen. Von weit her reisen sie an, um es mit Familie und Freunden
       mitzuerleben. Wobei die Katalanen weitgehend unter sich bleiben. Anders als
       bei vergleichbaren Festen wie den Sanfermines in Pamplona kommen kaum
       Touristen von außerhalb. Erstaunlicherweise hat das Fest, obwohl es zum
       Welterbe der Unesco gehört, keinen kommerziellen Charakter angenommen.
       Selbst wenn sie das große Geschäft machen könnten – viele Läden, Bars und
       Restaurants bleiben geschlossen, weil ihre Besitzer lieber selber
       mitfeiern. Nur für Bier und Barreja, eine Mischung aus Anislikör und
       Muskatell-Wein, ist gesorgt.
       
       Ursprünglich soll die Patum im 13. Jahrhundert aus
       Fronleichnamsfeierlichkeiten entstanden sein, die in der Kirche szenisch
       dargestellt wurden. Ihrerseits mögen sie an heidnische Riten zur
       Sommersonnenwende angeknüpft haben. Als das Konzil von Trient im 16.
       Jahrhundert die Auftritte im Gotteshaus verboten hat, hat sich das Fest von
       der katholischen Kirche emanzipiert und nach draußen verlagert. Fünf Tage,
       von Mittwoch bis Sonntag, hält es die Kleinstadt in Atem. Der Ablauf ist
       derselbe geblieben. Nur Kleinigkeiten haben sich im Lauf der Jahrhunderte
       verändert.
       
       In letzter Zeit hat der Adler die Verbeugung vor der Kirche schon mal
       verweigert. Und inzwischen setzt Bürgermeisterin Montse Venturós von der
       linksradikalen CUP auf eine inklusive Patum, die es auch Älteren oder
       Behinderten ermöglicht, dem Spektakel beizuwohnen. Außerdem hat sie
       Familienangehörige der politischen Gefangenen Kataloniens auf die
       Ehrentribüne geladen. Ohnehin ist der Platz vor dem Rathaus unübersehbar
       mit Unabhängigkeitsfahnen und gelben Schleifen geschmückt. Und als am
       Sonntagmittag Quim Torra, neuer Präsident Kataloniens, auf dem Balkon des
       Rathauses erscheint, skandieren die Menschen immer wieder „Llibertat,
       presos polítics“ – Freiheit für die politischen Gefangenen.
       
       Eine politisierte Patum findet nicht bei allen Beifall. „Ich wehre mich
       dagegen, dass das Fest für politische Zwecke instrumentalisiert wird“,
       empört sich Salvador. Eine ältere Frau neben ihm ist da ganz anderer
       Meinung. „Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, um auf das Unrecht aufmerksam
       zu machen.“ So unterschiedlich die Meinungen sind – alle fiebern dem
       nächsten Feuerspektakel, der Johannisnacht, entgegen, in der überall in
       Katalonien Scheiterhaufen brennen und alter Hausrat in Flammen aufgeht.
       
       23 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Wiebrecht
       
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