# taz.de -- europäische union: Plan B für Mittelmeerstaaten
       
       > Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Das gilt auch in
       > der Frage der solidarischen Verteilung der Geflüchteten innerhalb der EU
       
       Darin sind sich die Kommentatoren einig: Die Krise innerhalb der Großen
       Koalition wegen der Flüchtlingsfrage ist nur vertagt. Kanzlerin Merkels
       Suche nach einer „europäischen Lösung“ ist ein gewagtes Spiel, war doch
       Europa hier bisher nicht wirklich gewillt, eine faire Lastenverteilung zu
       akzeptieren. Auch Deutschland hatte sich in der Vergangenheit immer dagegen
       gewehrt, an der Dublin-Regelung substanziell etwas zu ändern. Man war in
       Berlin zufrieden damit, dass die Mittelmeeranrainer Italien, Griechenland
       und, etwas abgeschwächt, Spanien das Problem von uns fernhielten.
       
       Selbst das Aussetzen von Dublin 2015 hat nicht dazu geführt, seitens der
       Großen Koalition intensiv nach neuen, solidarischeren Lösungen zu suchen.
       Man wollte sich wohl vorbehalten, die Aufnahme von Geflüchteten in
       Deutschland auch jederzeit wieder beenden zu können. Zugegeben, auch die
       meisten anderen Mitgliedstaaten der EU waren nicht gerade scharf auf eine
       Reform von Dublin und versteckten sich gerne hinter den passiv bleibenden
       Führungsmächten. Dieses Merkel’sche Aussitzen rächt sich jetzt. Am
       Kabinettstisch sitzt nun ein zunehmend wahlpanischer Innenminister der CSU,
       passenderweise in der taz auch als Lega-Süd bezeichnet.
       
       Dabei ist es nicht so, dass die EU in den letzten Jahren so gar nichts
       versucht hätte. Es gab vor allem den Aufschlag der EU-Kommission vom
       Frühling 2016. Damals wurden in Brüssel einige interessante Vorschläge
       gemacht. Vor allem sollte ein weitreichendes Umverteilungsschema von
       Flüchtlingen in Kraft treten, um die Mittelmeerstaaten zu entlasten.
       Daneben gab es jedoch auch die Möglichkeit eines Opting-Outs. Wer als Land
       dabei partout nicht mitmachen wollte, sollte pro nicht aufgenommenen
       Asylbewerber einmalig 250.000 Euro zahlen. Anders gerechnet: bereits 4.000
       nicht aufgenommene Geflüchtete hätten eine Strafzahlung von 1 Milliarde
       Euro bedeutet. So wären schon ordentliche Summen zusammengekommen.
       Natürlich heulten die notorischen Abschotterstaaten wie Polen, Ungarn,
       Tschechien da auf, der ungarische Außenminister etwa sprach von
       „Erpressung“. Aber auch die CDU fand die Summe dann doch zu hoch und
       fürchtete europafeindliche Reaktionen. Damit war der Vorschlag tot, und
       passiert ist seitdem in dieser Richtung nichts mehr.
       
       Jetzt, wo Matthäi am Letzten ist, könnte der Zeitpunkt gekommen sein, noch
       einmal über monetäre Anreize nachzudenken. Nehmen wir das Beispiel Italien
       mit seiner Protestregierung. Dort sind laut UNCHR etwa 250.000 Flüchtlinge
       registriert. Unterstellen wir weiter, dass es ein landesspezifisches
       Wohlfahrtsniveau gibt und konkretisieren das, indem ein Drittel des
       jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Einwohner als zuschussfähige
       Kosten für einen Flüchtling angenommen wird. Daraus sollen Unterkunft,
       Verpflegung, medizinische Betreuung, Mindesttaschengeld und
       Bildungsausgaben samt einem administrativen Overhead abgedeckt werden.
       Italien hat im Moment ein BIP pro Kopf von etwa 28.000 Euro. Ein Drittel
       davon sind 9.200 Euro. Dies wieder mit den 250.000 Flüchtlingen
       multipliziert, macht 2,3 Milliarden Euro. So viel Anspruch hätte also
       Italien, wenn die EU die Kosten für Flüchtlinge übernehmen würde.
       
       Ist das viel, ist das wenig? Italien zahlt aktuell etwa 14 Milliarden Euro
       in den EU-Haushalt ein und erhält knapp 12 Milliarden Euro zurück. Es ist
       Nettozahler im Umfang von etwa 1,5 Milliarden Euro. Mit den oben
       angesprochenen zusätzlichen Einnahmen würde es zu einem Nettoempfänger.
       Gälte das System allgemein, erzielte aufgrund der höchsten
       Pro-Kopf-Aufnahme Schweden die relativ meisten Einnahmen. Und, obwohl
       Deutschland bei dieser Relation weit dahinterliegt, absolut wäre aber die
       Bundesrepublik der größte Nutznießer. Bei knapp 1,3 Millionen aufgenommenen
       Flüchtlingen nach der UNCHR-Definition und einem BIP pro Kopf von gut
       39.000 Euro würde es fast 17 Milliarden Euro erhalten. Da käme vielleicht
       sogar die CSU ins Grübeln, ob das letzten Endes für manch strukturschwache
       Region in der Oberpfalz nicht sogar ein Geschäft wäre.
       
       Rechnet man im Bereich der EU mit 4 Millionen Geflüchteten und einem
       durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukt von 32.700 Euro, wären für einen
       vollen Ausgleich etwa 44 Milliarden Euro aufzubringen. Das könnte sich
       reduzieren, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt, aber mit
       Ausgaben in etwa dieser Größenordnung muss man rechnen. Ist das viel, ist
       das wenig? Der jährliche Haushalt der Europäischen Union wird mit 145
       Milliarden Euro veranschlagt. Aus der Portokasse also lässt sich das
       definitiv nicht finanzieren. Aber man könnte ja mal damit anfangen, dass
       die neuen Asylbewerber von 2018 auf diese Weise finanziert werden. Das sind
       nämlich vermutlich nur gut 650.000, das war jedenfalls die Angabe im
       letzten Jahr. Das dafür nötige Budget umfasst somit nur noch 7 Milliarden
       Euro. Italien und anderen Ländern würde damit aber ein starkes Signal
       gegeben: Wir lassen euch nicht in Stich, wenn ihr weiter Flüchtlinge
       aufnehmt.
       
       7 Milliarden Euro als Anfangszahlung sind nicht so schwer zu schultern.
       Sollten die meist anfallenden nicht abgerufenen Mittel im EU-Haushalt nicht
       zulangen, wäre eine lineare Kürzung aller Zuschüsse das Mittel der Wahl.
       Man kaufte sich mit den 7 Milliarden Euro Zuschuss für die neuen
       Asylbewerber jedenfalls die nötige Zeit. Zeit, um den EU-Haushalt
       grundsätzlich zu überdenken und eine europäische Finanzierung der
       nationalen Ausgaben für Geflüchtete als mindestens so dringende Aufgabe wie
       die Subvention des Agrarsektors zu sehen.
       
       Natürlich bleibt eine Verteilung nach Quoten die prinzipiell bessere
       Lösung, anstatt alles à la Dublin den Ländern mit den südlichen Grenzen
       aufzubürden. Aber wenn die nicht zu haben sein wird, ist zumindest ein
       Ausgleich der höchst unterschiedlichen finanziellen Belastungen immer noch
       eine akzeptable B-Lösung.
       
       21 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerd Grözinger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA