# taz.de -- Dass ich nicht lache!
       
       > Ironisch dem Erzähler gegenüber, ernst in der humanistischen Sache und
       > streckenweise großer Slapstick: Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und
       > seine Brüder“ ist jetzt als Band 7 und 8 im Rahmen der Großen
       > Kommentierten Frankfurter Ausgabe erschienen
       
 (IMG) Bild: Thomas Mann im Garten seines Anwesens in Kalifornien, Pacific Palisades, Los Angeles, um 1944
       
       Von Tobias Schwartz
       
       Die Idee stammt von Goethe. In „Dichtung und Wahrheit“ berichtet der
       Weimarer Dichterfürst, dass er einmal an dem Versuch gescheitert sei, „die
       Geschichte Josephs zu bearbeiten“. Das tat dann Thomas Mann, der die
       Autobiografie seines Idols genauestens kannte. „Höchst anmuthig ist diese
       natürliche Erzählung“, heißt es darin, „nur erscheint sie zu kurz, und man
       fühlt sich berufen, sie in’s Einzelne auszumahlen.“
       
       Auch Thomas Mann fühlte sich berufen. Und wie. Er „malte“ die
       verhältnismäßig knappe biblische Erzählung, die im Alten Testament am Ende
       des 1. Buchs Mose steht und einen Übergang von den Vätergeschichten
       Abrahams, Isaaks und Jaakobs zum Exodus-Buch markiert, zu einer
       monumentalen Roman-Tetralogie von insgesamt rund 2.000 Seiten Umfang aus.
       Dabei ist die Handlung schnell umrissen: Joseph, der Sohn Jaakobs und
       Rahels, wird von seinen Brüdern verkauft, avanciert später zum Traumdeuter
       und „Wirtschaftsminister“ des Pharao und holt den Stamm Israel aus Kanaan
       nach Ägypten. Nach ziemlich genau der Hälfte der Mann’schen Tetralogie –
       Joseph ist da längst im Land am Nil angekommen – finden sich folgende
       Worte: „Offen gestanden, erschrecken wir vor der abkürzenden Kargheit einer
       Berichterstattung, welche der bitteren Minuziosität des Lebens so wenig
       gerecht wird wie die unsere Unterlage, und haben selten lebhafter das
       Unrecht empfunden, welches Abstutzung und Lakonismus der Wahrheit zufügen,
       als an dieser Stelle.“ So viel zum Thema Weitschweifigkeit.
       
       Ironie und Humor gehören bekanntlich zu den großen Markenzeichen Thomas
       Manns, auch deren Kombination mit Pathos. In „Joseph und seine Brüder“ –
       die Tetralogie enthält sogar zahlreiche echte Slapstick-Szenen – äußert
       sich der ironische Humor von vornherein in der Haltung des reflektierenden
       Erzählers, der sich als Kenner aller Quellen und Überlieferungen ausweist
       und beansprucht, allein im Besitz der den Mythos betreffenden „Wahrheit“ zu
       sein. „Endgültig richtiggestellt“ seien die Geschichten nun. „In Wahrheit“
       verhielten sich die geschilderten Begebenheiten exakt wie hier, also im
       Roman, dargestellt, heißt es gleich an mehreren Stellen. Von „den Fakten“
       ist die Rede. Vor allem, wenn es um zeitliche Abläufe geht – mit deren
       Darstellung Thomas Mann so virtuos spielt wie sonst innerhalb der Literatur
       der klassischen Moderne vielleicht nur Virginia Woolf, James Joyce oder
       Hermann Broch –, weiß der Erzähler haargenau Bescheid: „Daß Jaakob
       fünfundzwanzig Jahre bei Laban verblieb, ist erweislich wahr und das
       sicherste Ergebnis jeder klarsinnigen Untersuchung.“ Kurz: Der „Joseph“ ist
       – auch – ein Schelmenroman.
       
       Schon der Barockautor Grimmelshausen übrigens, der mit seinem
       „Simplicissimus“ den Inbegriff des Schelmenromans erst schuf und den
       wiederum der Felix-Krull-Schöpfer Thomas Mann entsprechend verehrte, hatte
       sich vorgenommen, die Joseph-Geschichte ausführlicher zu erzählen, als es
       die Bibel tut. Tatsächlich brachte er es mit seinem lange vergessenen Roman
       „Keuscher Joseph“, der 2014 in der Anderen Bibliothek neu aufgelegt wurde
       und den Mann bizarrerweise wahrscheinlich nicht kannte, auf gut 100 Seiten.
       Dass die Keuschheit auch für Thomas Mann Thema war, wundert nicht, hatte er
       sich doch bezüglich seiner homoerotischen Neigungen früh zum Triebverzicht
       entschlossen. Für ihn ist sie eine Erfindung des biblischen Monotheismus
       und hängt mit der Verehrung des einen Gottes zusammen.
       
       Seine Joseph-Figur verhält sich in der Situation erotischer Anfechtung
       allerdings ambivalent. Als er als eine Art Facility Manager im Haus
       Potiphars dient, eines der Würdenträger Pharaos, wirft dessen attraktive
       Gemahlin Mut-em-Enet ein Auge auf ihn. Zwar entzieht sich „der schöne
       Jüngling“ den recht brünstigen Avancen der reiferen Frau (ihre lakonische
       Einladung zum Beischlaf steht schon so in der Bibel), aber an dem ganzen
       Flirt-Spiel ist er doch stark beteiligt und treibt es wissentlich, wenn
       nicht genüsslich mit auf die Spitze.
       
       Das Schelmenhafte in „Joseph und seine Brüder“ aber steht in keinem
       Widerspruch zur Ernsthaftigkeit des Roman-Unternehmens, dazu, dass sich
       Thomas Mann über 16 Jahre lang in seinen Stoff vertiefte, dass er zweimal
       nach Ägypten reiste, dass er Fachliteratur regelrecht studierte und in
       Ägyptologie, Judaistik, alttestamentarischer Theologie, Religionsgeschichte
       und Mythenkunde so bewandert war wie wohl kein Schriftsteller vor oder nach
       ihm. In seiner Monografie „Thomas Mann und Ägypten“ warnt der Ägyptologe
       und Gedächtnisforscher Jan Assmann gleichwohl davor, „der berühmten
       Mannschen Ironie auf den Leim zu gehen“, da sie sich nur auf die Rolle des
       kundigen Erzählers, des „Historikers“, beziehe und nicht auf den
       gedanklich-philosophischen Kosmos, womit es Mann durchaus und zwar
       existenziell ernst war. Er erzählt nicht nur, sondern ergründet. Der Autor
       ziehe „mit dem Mittel der ironischen Distanz eine deutliche Grenze zwischen
       Dichtung und Wissenschaft, die er jedoch vielfältig überschreitet und
       unterminiert“, so Assmann. Das mache „die Modernität und den Rang“ der
       Joseph-Romane aus.
       
       Neben den Germanisten Dieter Borchmeyer („Was ist deutsch?“) und Stephan
       Stachorski ist Jan Assmann einer der Herausgeber der Joseph-Ausgabe, die
       jetzt endlich als Band 7 und 8 der Großen Kommentierten Frankfurter Ausgabe
       (GKFA) der Werke Thomas Manns im Fischer Verlag erschienen ist. Abgesehen
       davon, dass damit nun eine wesentlich authentischere Textfassung vorliegt
       als in allen früheren Editionen, in denen auf mitunter abenteuerlich
       sinnverfremdende Weise Mann’sche Formulierungen angeglichen und
       „korrigiert“ wurden, verfügen beide Textbände (wie in der GKFA üblich)
       jeweils über einen separaten Kommentarband. Insgesamt macht das noch einmal
       2.000 Seiten Sekundärliteratur zusätzlich zu den 2.000 Romanseiten.
       
       Die beiden Zusatzbände enthalten einen ausführlichen Stellenkommentar und
       gehen auch auf die Text- und Quellenlage sowie die Entstehungs- und
       Rezeptionsgeschichte ein. Hier erfährt der Leser etliches über die
       Hintergründe, vor denen der „Joseph“ gelesen werden muss – oder kann,
       Pflicht ist es nicht, das Ganze liest sich auch so sehr unterhaltsam –,
       über literarische Einflüsse wie den Laurence Sternes oder eben
       Grimmelshausens, über Manns eigenwillige Beschäftigung mit Sigmund Freud
       und der Psychoanalyse, über die Parallelen zu Wagners Ring-Tetralogie, über
       Briefwechsel etwa mit dem Mythenforscher Karl Kerényi, über Manns
       Befürwortung des Zionismus, seinen Antinationalismus, seine persönliche
       Bedrohung durch den Aufstieg Hitlers, Anfeindungen der Nazis und
       schließlich die Ausbürgerung, die polarisierenden Besprechungen der
       Joseph-Romane und auch das Verbot von Rezensionen in Deutschland ab Mitte
       der 1930er Jahre.
       
       Thomas Mann schuf mit seinem „Joseph“ ein Monument gegen den Faschismus.
       Die Romane stellen zudem ein Bekenntnis zu den jüdischen Ursprüngen der
       europäischen Kultur dar. Dabei ist die Tetralogie universalistisch
       konzipiert und vereint altorientalische, griechisch-antike und
       jüdisch-christliche Religion und Kultur. Und sie vermenschlicht und
       psychologisiert den Mythos. Das ist vielleicht ihre größte Stärke.
       
       Begonnen hatte Mann sein Romanprojekt bereits Mitte der 1920er Jahre, zur
       Zeit der Weimarer Republik, als er sich als kultureller Repräsentant für
       Demokratie im Allgemeinen und speziell für die SPD engagierte, als er noch
       vor der „Machtergreifung“ der Nazis Artikel gegen Hitler publizierte,
       gegen den primitiven rechten Populismus Front machte und für einen die
       Kulturen verbindenden Humanismus warb. Wesentliche Teile sind dann im Exil
       entstanden, der letzte Band erschien 1943.
       
       Manns Abneigung gegen die Nazi-Diktatur und ihre Schergen fließt auf
       vielfältige Weise mit ins Geschehen ein und gipfelt in einer veritablen
       Hitler-Karikatur, einer Art Anti-Hitler-Figur wie bei Lubitsch oder
       Chaplin. Dessen Filmklassiker „Der große Diktator“ (1940) hatte Mann in
       Amerika im Kino gesehen. „Dass ich nicht lache“, heißt es dann auch ganz am
       Schluss des „Joseph“, als dessen Brüder seine Rache fürchten, weil sie ihn
       einst misshandelt und verkauft hatten: „Dass ich nicht lache! Denn ein
       Mann, der die Macht braucht, nur weil er sie hat, gegen Recht und Verstand,
       der ist zum Lachen. Ist er’s aber heute noch nicht, so soll er’s in Zukunft
       sein, und wir halten’s mit dieser.“
       
       Thomas Mann,Große kommentierte Frankfurter Ausgabe: Joseph und seine Brüder
       I: Text und Kommentar in einer Kassette. Fischer Verlag, Frankfurt/Main
       2018, 1.660 Seiten, 85 Euro. Joseph und seine Brüder II: Text und Kommentar
       in einer Kassette. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2018, 2.350 Seiten, 96
       Euro
       
       4 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schwartz
       
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