# taz.de -- Qualitätssprung in die Vergangenheit
       
       > In Sachsen wird gerade an einem neuen Polizeiaufgabengesetz gewerkelt.
       > Gegen die Kompetenzerweiterung der Beamten formiert sich Widerstand, auch
       > weil sich die SPD in der Koalition den sicherheitspolitischen Fantasien
       > der CDU gebeugt hat
       
 (IMG) Bild: Leitungsschau: In Leipzig zeigt die Polizei bei einer Schauveranstaltung ihr zupackendes Wesen
       
       Von René Loch
       
       Normalerweise erhält die Polizei wenig Beifall von Schaulustigen, wenn sie
       brennende Straßenbarrikaden mit Wasserwerfern und Räumpanzern beseitigt
       oder vermummte Randalierer zu Boden reißt. Doch an diesem Samstag Anfang
       Juni ist das anders. Auf dem Gelände der sächsischen Bereitschaftspolizei
       in Leipzig präsentieren die Ordnungshüter*innen beim „Tag der offenen Tür“
       nicht nur ihre Dienstwaffen, -fahrzeuge und -tiere, sondern auch sich
       selbst – als bürgernahe, familienfreundliche und vertrauenswürdige
       Institution. Bei den meisten Besucher*innen hinterlässt das einen guten
       Eindruck; die zahlreichen Kinder sind begeistert.
       
       Dass die Polizei in Sachsen jedoch nicht uneingeschränktes Vertrauen
       genießt, zeigte sich auf der entsprechenden Veranstaltungsseite bei
       Facebook, wo jemand provokativ fragte, ob es vor Ort möglich sein werde,
       „friedliche Demonstranten aufs Übelste zu verprügeln“. Eine weitere
       Nachfrage lautete: „Wird es Handgranaten geben?“ – eine Anspielung auf die
       geplanten Änderungen im sächsischen Polizeigesetz.
       
       Die Landesregierung aus CDU und SPD möchte das Gesetz nach fast 20 Jahren
       umfassend überarbeiten. Am 25. April veröffentlichte das Nachrichtenportal
       Buzzfeed auf seiner deutschen Seite den Gesetzentwurf. Noch am selben Tag
       verschickte eine Initiative mit dem Namen „Polizeigesetz stoppen“ eine
       Einladung zu einem offenen Bündnistreffen in Leipzig.
       
       Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die Spezialeinheiten mit
       Handgranaten auszustatten. Da diese Waffen allerdings nur erlaubt sind, um
       „einen Angriff abzuwehren“, und Polizist*innen sie nicht „gegen Personen in
       einer Menschenmenge“ anwenden dürfen, werden die meisten Bürger*innen
       damit wohl nicht in Berührung kommen. Andere Maßnahmen könnten jedoch tief
       in den Alltag der Menschen eindringen.
       
       So soll es der Polizei künftig erlaubt sein, Notrufe aufzuzeichnen,
       Videoüberwachung mit Gesichtserkennung durchzuführen, Alkoholkonsumverbote
       im öffentlichen Raum auszusprechen und – sofern ein Gericht das anordnet –
       Telefonate zu unterbrechen. Für Menschen, bei denen die Polizei in
       „absehbarer Zeit“ mit „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ rechnet,
       gelten besondere Regeln: Ihnen kann untersagt werden, bestimmte Personen zu
       kontaktieren oder bestimmte Orte zu betreten beziehungsweise zu verlassen.
       
       Wer nach Ansicht der Polizei eine terroristische Straftat plant, kann
       gezwungen werden, sich einer „elektronischen Aufenthaltsüberwachung“ zu
       unterziehen. Bislang kommen sogenannte Fußfesseln nur bei verurteilten
       Personen zum Einsatz, vor allem bei Sexualstraftätern, die aus der Haft
       entlassen wurden.
       
       Der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) bezeichnete den
       Gesetzentwurf nach dessen Veröffentlichung als „Qualitätssprung“. Doch jene
       Personen, die Ende Mai der Einladung zum Bündnistreffen gefolgt waren,
       sehen das erwartungsgemäß anders.
       
       „Ich kann darin überhaupt nichts Positives erkennen“, sagt etwa Marco
       Santos, ein Aktivist, der sich in der vor vier Jahren gegründeten
       Gefangenengewerkschaft engagiert. Er hat sich schon viele
       Auseinandersetzungen mit staatlichen Behörden geliefert, um die Rechte von
       Inhaftieren und Demonstrant*innen zu stärken. Erst vor wenigen Wochen
       feierte Santos einen Erfolg am Verwaltungsgericht Leipzig, als dieses
       feststellte, dass mehrere Demoverbote für Silvesternächte im
       linksalternativ geprägten Stadtteil Connewitz rechtswidrig waren. Im
       Gespräch berichtet er davon, dass ihm einmal der Zugang zu einer
       Versammlung verwehrt worden sei, für die er selbst als Leiter vorgesehen
       war.
       
       „Meine Einstellung zur Polizei hat sich in den vergangenen Jahren drastisch
       verändert“, betont Santos, der sich nun in einem „kompromisslosen
       Abwehrkampf“ gegen die geplanten Änderungen und weitere Befugnisse für die
       Staatsmacht sieht. Um Verbesserungen bei der Polizei zu erreichen, müsste
       man seiner Ansicht nach „den Laden komplett auf den Kopf stellen“.
       
       Willie Wildgrube spricht ebenfalls von „schwerwiegenden Vorfällen“ bei
       Demonstrationen und beklagt unter anderem Gewalt gegen Protestierende. Als
       Mitglied des Aktionsnetzwerkes „Leipzig nimmt Platz“ war er zu
       Legida-Zeiten nahezu wöchentlich auf der Straße, um gegen Islamhasser und
       Nazis zu protestieren. Er wünscht sich eine Kennzeichnungspflicht für
       Polizist*innen, um Übergriffe besser aufklären zu können. Doch bislang
       konnte sich die SPD mit diesem Vorhaben nicht gegen ihren
       Koalitionspartner durchsetzen. Unabhängige Beschwerdestellen sind im
       Gesetzentwurf ebenfalls nicht vorgesehen. „Das zerstört das Vertrauen in
       die Funktion des Gewaltmonopols“, sagt der Aktivist.
       
       Die geplanten Änderungen hält er für nutzlos: „Dass öffentliche Überwachung
       und allgemeine Ermittlungstätigkeiten zunehmen, hat den Großteil der
       Anschläge bislang nicht verhindert.“ Es sei ein Irrglaube, dass mehr
       Technik automatisch für mehr Sicherheit sorge. Wildgrube vermutet, dass die
       Polizei aufrüstet, um unter realen Bedingungen die Aufstandsbekämpfung im
       urbanen Raum zu trainieren – ein Verdacht, den Aktivist*innen schon während
       der G20-Proteste äußerten.
       
       Laut Albrecht Pallas, dem innenpolitischen Sprecher der
       SPD-Landtagsfraktion, ist die Gesetzesnovelle eine Reaktion auf eine neue
       Datenschutzrichtlinie der EU sowie zunehmende Gefahren durch Extremismus
       und Terrorismus. Der ehemalige Polizist verweist zudem auf Anregungen aus
       der Praxis: „Bei der Handyortung von vermissten Personen können es im
       Zweifelsfall wertvolle Minuten sein. Das habe ich in meiner Zeit bei der
       Polizei selbst erlebt.“ In den kommenden Monaten – die Abstimmung im
       Landtag ist für Anfang 2019 geplant – muss Pallas nicht nur die Opposition,
       sondern auch den eigenen Parteinachwuchs überzeugen. Die Jusos zählten zu
       den Initiatoren des Protestbündnisses. Dieses soll nun breiter aufgestellt
       werden und demnächst über konkrete Aktionen beraten.
       
       An diesen könnte sich dann auch Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns
       beteiligen. Bereits in den letzten Jahren der DDR war sie auf der Straße,
       um zu demonstrieren – und landete im Gefängnis. Die Aufrüstung der Polizei
       empfindet sie als „Drohgebärde“ und als Teil des anstehenden
       Landtagswahlkampfes. Besonders die geplanten Maßnahmen gegen Personen, die
       als gefährlich eingestuft werden, aber noch keine Straftaten begangen
       haben, sind für sie nicht nachvollziehbar: „So eine Willkür kann ich in
       einem Rechtsstaat überhaupt nicht akzeptieren. Da fühle ich mich echt an
       die DDR erinnert.“
       
       Passend dazu präsentierte sich die sächsische Polizei schon beim „Tag der
       offenen Tür“. Neben modernen Einsatzfahrzeugen wurden den Besucher*innen
       auch zwei alte Wagen der Volkspolizei vorgeführt.
       
       8 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Loch
       
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