# taz.de -- Jäger, Gejagte und Philosophen
       
       > Hanebüchen, aber toll: Unter dem Thema Menschenjagd exhumiert das
       > „Bahnhofskino“ Actionfilme zwischen Gewaltexzess und Kulturkritik
       
 (IMG) Bild: Erinnert an „Mad Max“: der Action-Trash-Film „Turkey Shoot“ von 1982
       
       Von Thomas Groh
       
       Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Filmische Umsetzungen dieser These
       finden sich meist im randständigen Kino, wo die Sumpfblüten jenseits des
       guten Geschmacks, bürgerlicher Qualitätskriterien und moralischer
       Vorbehalte gedeihen: B-Movies und Exploitation oder die Pre-Code-Filme aus
       dem Hollywood der frühen 1930er Jahre, bevor der „Hays-Code“, also die
       Richtlinien zur moralisch akzeptablen Darstellung von Kriminalität und Sex,
       das US-Kino handzahm machte.
       
       In Berlin ist für derartige Filme die monatliche Filmreihe „Bahnhofskino“
       im Filmrauschpalast Moabit zuständig. Der liegt tatsächlich unweit des
       Hauptbahnhofs, hat aber entgegen seiner Bezeichnung einen hemdsärmeligem
       DIY-Charme und überzeugt mit den besten Projektionen der Stadt. Am Freitag
       geht es dort in einem Triple-Feature um das reizvolle Thema „Menschenjagd“.
       Reizvoll ist das, weil die Reduktion auf das Wesentliche – Jäger hier,
       Gejagte dort, dazwischen existenzialistische Überlegungen – fast jeden Film
       aufwertet. Aber auch, weil das Thema ein breites filmhistorisches Panorama
       öffnet.
       
       Mit Ernest B. Schoedsacks und Irving Pichels Pre-Code-Film „The Most
       Dangerous Game“ stammt der älteste Beitrag von 1932. Mit knapp einer Stunde
       Laufzeit und dem deutschen Titel „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ kann er
       seinen B-Movie-Status kaum verhehlen: Tatsächlich handelt es sich um einen
       schön knackigen und mit einigen finsteren psychosexuellen Abgründen
       angereicherten Abenteuerreißer, der seinerzeit zwecks Profitmaximierung
       während der Drehpausen zu „King Kong“ in dessen Kulissen und mit dessen
       Hauptdarstellern gedreht wurde.
       
       Der russische Exilant Graf Zaroff lebt auf einer abgeschiedenen Insel in
       seinem persönlichen Reich, in das er mit allerlei Finten arglose
       Schiffreisende lockt. Was diese nicht wissen: Zaroff ist ein
       ausgesprochener Jagdfetischist und hat seine Insel als großen
       Dschungelabenteuerspielplatz eingerichtet. Dort pflegt er seine Gäste nach
       höflichem Geplänkel mit dem Schießgewehr zu haschen.
       
       Ist die Menschenjagd hier noch das exzentrische Hobby eines
       adlig-dekadenten Sonderlings, stellt sie in Brian Trenchard-Smiths
       australischem Low-Budget-Film „Turkey Shoot“ (1982) die politisch
       legitimierte Disziplinierungsmaßnahme einer dystopischen Gesellschaft dar:
       Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die sich allzu individuellen
       Verhaltens schuldig gemacht hat, landet hier zunächst in einem straff
       sadistisch geführten Umerziehungslager und muss sich anschließend auf einer
       Hatz quer durch das Outback beweisen.
       
       „Turkey Shoot“ entspringt in seiner Zurschaustellung von Devianz und Rasanz
       derselben filmischen Geisteshaltung wie die „Mad Max“-Filme. Im Effekt ist
       das mulmige wie grandiose Exploitation-Kunst: Die budget-bedingte
       Aufwandsarmut der Spielorte gleicht sich durch die beherzte Inszenierung
       aus, während den fiesen Sado-Spektakeln eine Action-Katharsis folgt, die
       sich nicht zuletzt wegen des manischen Soundtracks von Brian May zum
       furiosen Inferno hochsteigert und spätere Exzesse des US-Actionfilms mit
       bescheideneren Mitteln bereits vorwegnimmt. Als politische Dystopie ist das
       zwar hanebüchen, als delirantes Vollgas-Kino umso effizienter und
       umwerfender.
       
       Deutlich bekannter ist die als historische 35mm-Kopie gezeigte
       Stephen-King-Verfilmung „Running Man“ von 1987 mit Arnold Schwarzenegger
       als gejagter Ex-Cops. Was in „Turkey Shoot“ noch dystopischer Exzess fernab
       der Öffentlichkeit war, rückt unter den Bedingungen des entgrenzten
       Konsumkapitalismus der späten 80er nun vollends in die Öffentlichkeit: Die
       Menschenjagd als Medienspektakel in den dystopischen USA, die ihre
       politischen Spannungen durch Affektkontrolle vermittels sadistischer
       TV-Shows in den Griff kriegen.
       
       Eine Medienkritik mit dem Holzhammer, die paradox ist. Sie prangert das an,
       was sie im Grunde selbst auskostet, wirkt in mancher Hinsicht aber
       gespenstisch hellsichtig: Nicht nur, weil sich im Fernsehen längst eine
       Kultur der Demütigung breit gemacht hat, die schwer mit den letzten Grenzen
       des Anstands ringt. Sondern auch, weil hier ein schmieriger TV-Moderator
       das Geschäft des Totalitarismus besorgt – wer will, darf darin gerne
       Parallelen zu politischen Großereignissen der Gegenwart sehen.
       
       Bahnhofskino: „Menschenjagd“: Filmrauschpalast, 13. 4., 22 Uhr
       
       12 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Groh
       
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