# taz.de -- Das Gegenteil von laut
       
       > Mit seinem vierten Album „My First Piano“ stimmt der Berliner Malakoff
       > Kowalski ein Hohelied auf die Langsamkeit an und schafft traurig-schöne
       > Dias in Hirn und Herz
       
 (IMG) Bild: Die Stücke sind still, nachdenklich, minimalistisch – und allesamt zum Doof-in-die-Luft-Gucken schön. Malakoff Kowalski am Klavier Foto: Julija Goyd
       
       Von Philipp Fritz
       
       Eine alte, verrauchte Kaschemme irgendwo in Manhattan. 1987. Die Lichter:
       rötlich, gedimmt. Die meisten der kreisrunden Tische sind unbesetzt, nur
       hier und da spielt ein Schattenmensch entrückt und einsam an seinem Drink.
       Links oben, vor dem Piano, da wartet einer, übernächtigt, aber aufmerksam,
       breitbeinig sitzend mit durchgedrücktem Kreuz. Er sieht aus wie der junge
       Mickey Rourke oder der nicht mehr ganz so junge Robert De Niro. Auf wen
       wartet er? Einen Freund aus Kindertagen? Den verloren geglaubten Bruder?
       
       Der Pianist schlägt satte Dur-Akkorde an, er lässt sie klingen, einen Takt,
       zwei. Alles deutet auf eine friedliche Familienzusammenführung hin. Dann
       öffnet sich die Doppeltür, in den Raum tritt ein hochgewachsener,
       unrasierter Mann mit einer Narbe auf der Wange. Mit ihm zieht dichter Nebel
       die Treppen herunter. Die Akkorde lösen sich auf, hinzu kommen Septimen und
       Dissonanzen. Die Stimmung kippt ins Bedrohliche. Was hat der Bruder auf
       seiner langen Reise gesehen? Saß er im Knast? Hat der Übernächtigte ihn
       verpfiffen? Eines ist klar, seit der Pianist den Stimmungswechsel
       herbeigeführt hat: Heute wird Rache geübt.
       
       Diese Szene entstammt nicht etwa dem Hollywood-Klassiker „Angel Heart“,
       sondern dem Kopf des Autors. Entstanden ist sie beim Hören von „Dimanche
       Soir“, einem Stück auf „My First Piano“, dem gerade erschienenen, vierten
       Studioalbum von Malakoff Kowalski. Der Berliner, der mit bürgerlichem Namen
       Aram Pirmoradi heißt, liefert zehn Piano-Schmonzer, die in kaum
       deutlicherem Kontrast zum Vorgänger, zu „I Love You“ aus dem Jahr 2015,
       stehen könnten. Vor allem der Radio-Hit „How I Think of You“ mit seinem
       markanten Glockenspiel ist vielen in Erinnerung geblieben – und nun also
       Klaviermusik. Kowalskis Stücke sind das Gegenteil von laut, wild und
       virtuos. Sie sind still, langsam, nachdenklich, minimalistisch – und
       allesamt zum Doof-in-die-Luft-Gucken schön.
       
       Die Frage ist nur: Wer braucht im Jahr 2018 eine weitere Platte, auf der
       lediglich trauriges Piano-Gebimmel – keine Streicher, kein Gesang, nichts!
       – zu hören ist? Niemand. Trotzdem kommt „My First Piano“ zur rechten Zeit,
       um endlich mal die alten Alben von Chilly Gonzales auszusortieren. Bisher
       war der Kanadier der Pianist der Wahl derer, die sich eigentlich nicht für
       Jazz oder klassische Musik interessieren. Kowalski erscheint als Gonzales’
       kleiner, lässigerer Bruder, der ohne dessen oberlehrerhafte Art und nervige
       Könnerschaft auskommt. Er versucht nicht einmal, schneller zu spielen, und
       überholt Gonzales trotzdem rechts.
       
       Seine Referenzen kommen subtil daher, nur manchmal überdeutlich, wie etwa
       das Gustav-Mahler-Zitat aus dem Klavierquartett in a-Moll in „Shorou“,
       Persisch für „Anfang“, dem ersten Stück des Albums. Wenn der Hörer glaubt,
       langsamer wird’s nicht, dann hat er sich geirrt. Bis zu „Serge Chez
       Juliette – Encore Une Fois“ zieht Kowalski nicht richtig an, selbst hier
       bricht die Klimax plötzlich ab, als wären die Finger auf dem Weg nach oben
       müde geworden. Genau das aber ist Kowalskis Stärke, dieses Unentschlossene,
       diese Drosselung des Selbst.
       
       „My First Piano“ gewährt gewissermaßen einen Blick ins Wohnzimmer des
       Komponisten. Da sieht man, wie er am Piano der Eltern sitzt, auf dem Cover
       als einjähriges Kind in Hamburg, heute als Erwachsener in Berlin, und
       klimpert, sich ausprobiert, inne hält und Notizen macht. Kurzum: Der
       Schaffensprozess ist hörbar.
       
       Das ist zwar persönlich, aber keine Koketterie, schon gar keine
       Unbedarftheit; Langsamkeit und Minimalismus liegen dem Album als System
       zugrunde. Für Kowalski war das nicht absehbar, für ihn hätte es im Stil von
       „I Love You“ weitergehen können, also rasanter und lauter. Dann aber haben
       sich die Piano-Stücke einfach so entwickelt und er ist dabei geblieben.
       „Mir war nie klar, dass ich einmal mit Minimalismus in Verbindung stehen
       würde“, sagt er dazu. „Das ist nicht wirklich mein State-of-Mind.“ Dass er
       Dinge reduziert und sie auf ihre wesentliche Eigenschaft beschränkt, ist
       dann aber doch nicht ganz neu für Kowalski. „Ich esse keinen Obstsalat. Ich
       mag es, die verschiedenen Obstsorten einzeln zu essen, um die Essenz des
       einzelnen Geschmacks zu genießen“, erklärt er. Da ist es also: das System,
       das Konzept.
       
       Beim Hören dieses Albums entstehen immer wieder Szenen, Bilder, wie
       eingangs erzählt. Dass Kowalskis Stücke Hirn- und Herzdias anwerfen, ist
       kein Zufall. Immerhin komponiert er auch für Kino oder Theater, zuletzt
       lieferte er im Oktober 2017 den Sound zur Premiere der Inszenierung von
       „Faust I“ am Staatstheater in Stuttgart.
       
       Wer schwofen oder mitsingen möchte, der wird sich über diese
       Kowalski-Platte schwer wundern. Wer jedoch einen Sinn dafür hat, wie das
       Licht durch die weißen Vorhänge in diesem Zimmer in Tel Aviv, Palermo oder
       auf Kreta gebrochen ist, als sie gegangen war und es unten im Café bloß
       Espresso und süßes Gebäck gab, um den salzigen Geschmack runterzuspülen,
       der wird beim Hören von „My First Piano“ wohlig die Augen schließen können.
       Wieder so ein Bild. Zum Glück.
       
       „My First Piano“ ist am Freitag auf dem Label MPS erschienen
       
       11 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Fritz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA