# taz.de -- nordđŸŸthema: „Ich hasse das Wort KreativitĂ€t“
       
       > Die Hamburger Illustratorin Petra Schoenewald bietet an der
       > Volkshochschule den Kurs „Talentfreies Zeichnen“ an. Aber was heißt das
       > eigentlich: „talentfrei?“
       
 (IMG) Bild: Manchmal schafft man es gar ins Museum: Zeichnungen von Besuchern in der Ausstellung „DĂŒrer, Cezanne & Du“ im April 2017 im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig
       
       Interview Hannes Vater
       
       taz: Wieso zeichnen Sie, Frau Schoenewald? 
       
       Petra Schoenewald: Weil es mich glĂŒcklich macht. Ich kann auf einem kleinen
       Blatt Papier alles machen, was ich will. Eine ganze Welt schaffen.
       
       Ist Zeichnen gesund? 
       
       Extrem. Es werden die Feinmotorik, WahrnehmungsfÀhigkeit, die kognitiven
       FÀhigkeiten, Erinnerung, GedÀchtnis, all diese Dinge, bespielt.
       
       Was hat Zeichnen mit Malen zu tun? 
       
       Es ist schon ein ganz anderes Medium. In meinem Job als Theatermalerin ist
       es auch eine Basis. Da werden Sachen aufgezeichnet, die anschließen
       malerisch bearbeitet werden. Wenn man ein 100-Quadratmeter-Bild hat, ist es
       schon ganz gut, ungefÀhr aufzuzeichnen, wo was ist, damit man nicht völlig
       aus dem Ruder gerÀt.
       
       Warum sollte jeder mal zeichnen? 
       
       Es ist die einfachste, archaischste Art, sich auszudrĂŒcken. Wenn man an
       Höhlenmalerei denkt – das haben alle schon immer gemacht. Noch vor der
       Schriftsprache gab es die Bildsprache, um sich mitzuteilen. Dabei kann man
       sich etwas vergegenwÀrtigen. Man kann sich beruhigen. Man kann sich auch
       aufregen. Man kann sich Geschichten ausdenken. Man braucht sonst nichts. Es
       ist nie langweilig und macht glĂŒcklich.
       
       Sie lehren „Talentfreies Zeichnen“. Was ist Talent? 
       
       Keine Ahnung. Ich denke, wenn man Interesse hat, an dem, was man tut, wird
       es auch nicht schlecht. Man kann vielleicht etwas ungelenk die Hand
       bewegen, aber es kann trotzdem eine rĂŒhrend schöne Zeichnung sein. Auch
       wenn sie nicht nach den herkömmlichen Vorstellungen von „gekonnt“
       gezeichnet ist. Da gibt’s ja genug Beispiele aus der Kunstgeschichte.
       
       Also kann jeder zeichnen? 
       
       Es kann jemand gekonnt zeichnen, und einem schlafen dabei die FĂŒĂŸe ein, so
       langweilig ist die Zeichnung. Man spĂŒrt manchmal, dass jemand nur
       beeindrucken will, aber dass es ihn nicht interessiert. Das Problem bei
       Leuten, die denken, sie könnten nicht zeichnen, ist, dass sie natĂŒrlich
       Vorbilder im Kopf haben. Sie wĂŒrden dann gern zeichnen wie der oder die, wo
       sie meinen, so geht eine richtige Zeichnung. Da verstehe ich meine Aufgabe
       eher darin zu zeigen, dass die Schönheit einer Zeichnung nicht in der
       Perfektion des Handwerks liegen muss. Sondern darin, dass sie einen
       berĂŒhrt, zu einem spricht.
       
       Wie passiert das? 
       
       Zum Beispiel, wenn jemand ganz wĂŒtend ist, weil ihm die Zeichnung nicht
       gelingt und dann anfÀngt rumzukrickeln, erzÀhlt uns das was. Das kann
       spannend sein. Wenn man etwas ausradiert und alles verschmiert, kann es
       auch spannend sein. ZeichenanfĂ€nger teilen die Begeisterung fĂŒr
       verunglĂŒckte Zeichnungen nicht immer. Wichtig ist, dass was mit einem
       passiert, wenn man es betrachtet. Dann ist es egal, ob die Linie gerade
       oder schief ist. Aber ich zeige Ihnen natĂŒrlich, wie man eine gerade Linie
       ohne Lineal machen kann. Man darf nur nicht auf die Linie gucken. Man muss
       sie einfach laufen lassen, dann werden sie meistens gut.
       
       Was ist zum Anfang wichtig? 
       
       Dass man immer ein kleines Skizzenbuch dabei hat, dass man zeichnen kann,
       wenn man zum Beispiel auf dem Amt sitzt oder auf den Zug wartet. Ist die
       Zeichnung blöd, kann man einfach weiterblÀttern. Manche zeichnen gern was
       ab, manche kritzeln gern vor sich hin, es spielt eigentlich keine Rolle.
       
       Was hilft noch? 
       
       Zeichnungen angucken. Nicht nur von Profis, auch von Kindern. Wenn man sich
       damit beschÀftigt, was Linien machen können. Zeichnungen von Affen oder
       Elefanten können manchmal sehr schön sein.
       
       Elefanten? 
       
       Die malen eher. In Indien gibt es Reservate, in denen sie fĂŒr die Touristen
       Bilder im Akkord malen, die Armen. Man kann ErzÀhlungen zeichnen oder
       Tiere, die es gar nicht gibt. Mit acht Augen, 120 ZĂ€hnen und lauter Beulen.
       Man kann im AnfÀngerkurs auch Zeichnungen weitergeben. Es gibt verfahren
       wie Cadavre Exquis, wie man sie von den Surrealisten kennt. Kinder machen
       das oft. Mit, Kopf, Rumpf, wegklappen 
 Finden Erwachsene manchmal doof,
       aber man kann das auch auf einem offenen Blatt machen, das man immer
       weitergibt. Da geht es nicht darum, dass einer eine tolle Zeichnung abgibt,
       weil jeder daran herumfuhrwerkt. Dann gucken wir uns die an. Das ist ein
       guter Einstieg.
       
       Welche AnsprĂŒche haben ZeichenanfĂ€nger? 
       
       Die meisten setzen sich total unter Druck, die wollen unbedingt, dass was
       dabei rauskommt. Das heißt, ich versuche immer zu entspannen und ihnen den
       Druck zu nehmen, dass sie erst mal zum Machen kommen. Vor lauter Druck
       können viele gar nicht arbeiten.
       
       Was sind kreative Methoden? 
       
       VorstellungsĂŒbungen, Gruppenarbeiten 
 Ich hasse das Wort KreativitĂ€t. Das
       sagt alles oder nichts.
       
       Was ist KreativitÀt? 
       
       Eigentlich heißt es ja, dass man etwas erschafft, einfach was mit den
       HĂ€nden schafft. Ob das jetzt gut oder kĂŒnstlerisch wertvoll ist,
       interessiert mich erst mal ĂŒberhaupt nicht. Sondern nur, dass man was
       macht, was vorher nicht da war.
       
       Wo ist die Grenze? Ist alles, was man macht, kreativ? 
       
       Ja, natĂŒrlich. Es gibt nicht ohne Grund Kunsthochschulen, die
       Spazierengehen unterrichten. Man durchschreitet einen Raum, macht bestimmte
       Wahrnehmungen, die man einordnen kann. Es gibt auch Kochen als
       Unterrichtsfach an Kunsthochschulen – da wird auch etwas geschaffen. Ich
       komm aus einer BĂ€ckerei. Ich finde den Beruf meines Vaters sehr kreativ,
       ich bewundere, was Tischler machen, und die Schneider in der Oper. FĂŒr die
       ist das vielleicht nicht kreativ, weil sie ein Handwerk machen. Aber die
       mĂŒssen ganz viel improvisieren und sich Sachen ausdenken. Extrem
       anspruchsvoll. Alles, bei dem man mit Dingen umgeht, sie verÀndert. Aus
       Buchstaben einen Text machen.
       
       Wie wÀre die Welt ohne Zeichnungen und Malerei? 
       
       Wie der Hamburger Himmel. ZurĂŒckgenommen, bleiern.
       
       Was ist die Aufgabe der Kunst? Hat die Kunst ĂŒberhaupt eine Aufgabe? 
       
       Die Àndert sich im Laufe der Jahrhunderte. Die auftragsgebundene Kunst
       hatte immer die Aufgabe zu kommunizieren. Kirchen haben mittels der Kunst
       den Leuten die Welt erklÀrt oder wie sie sich zu verhalten haben, woran sie
       zu glauben haben, was sie nicht tun sollten. SpÀter haben Potentaten den
       Leuten erklÀrt, wie wichtig sie sind, indem sie sich in GemÀlden und
       Skulpturen manifestiert haben. In der Moderne hat die Kunst – sicher in
       Deutschland durch das Dritte Reich – eine andere Funktion bekommen und
       versucht, sich von dem ErzÀhlen, wie man etwas zu denken oder zu sehen hat,
       zu befreien. Daher gab’s natĂŒrlich diese RĂŒckbewegung in die konkrete
       Kunst, die ungegenstÀndliche Kunst. Einfach, weil Bilder, Figuren verbrannt
       waren.
       
       Das heißt konkret? 
       
       FrĂŒher war sie da, um die Welt zu erklĂ€ren, einzuordnen, die Leute
       einzunorden – in Diktaturen hat sie diese Funktion noch ganz stark.
       NatĂŒrlich kann Kunst politisch sein und auf Dinge hinweisen – sie ist immer
       zeitgebunden. Sie erzĂ€hlt immer etwas ĂŒber die Zeit, und deswegen ist sie
       manchmal nicht gern gesehen. Sie muss sich nicht instrumentalisieren
       lassen, um politische Aussagen zu machen – aber das passiert, wenn man sich
       mit dem beschĂ€ftigt, was um einen herum ist – und damit beschĂ€ftigen sich
       mehr oder weniger alle KĂŒnstler. In den seltensten FĂ€llen ist Kunst nur
       nett gewesen. Andererseits hat sie auch die Aufgabe zu schmĂŒcken. Welche
       Aufgabe hat die Kunst? Vielleicht, wie die Literatur, einfach zu sein. Das
       mögen andere beurteilen.
       
       Haben Sie Tipps fĂŒr angehende KĂŒnstler ohne kommerzielle Interessen? 
       
       Falls sich VierjÀhrige in ihrer Nachbarschaft befinden, können sie mit
       denen eine Kritzelsession machen, die zeigen ihnen alles, was sie wissen
       mĂŒssen.
       
       Und Tipps fĂŒr angehende KĂŒnstler, die sehr wohl Geld verdienen wollen? 
       
       Oh, das ist ganz schlecht. Meine Kinder wÀren verhungert, wenn ich mit
       meiner Kunst hĂ€tte Geld verdienen mĂŒssen. So musste ich mich notgedrungen
       der auftragsgebundenen Kunstmalerei hingeben und Scheiß zeichnen fĂŒr Film
       und Fernsehen, wenn es dafĂŒr Geld gab. Wenn ich weiß, wie etwas aussieht
       und ein BĂŒhnenbild gestalte, aber der BĂŒhnenbildner eine andere Vorstellung
       hat – auch wenn es scheiße aussieht – dann mal ich es halt scheiße (lacht).
       Ich bin nicht so der Markttyp.
       
       Gibt es Markttypen? 
       
       Ja, natĂŒrlich. Das ist vielleicht etwas generationenbedingt. In meiner
       Generation und bei meinen Lehrenden war es total verpönt, auf den Markt zu
       schielen – was nicht unbedingt förderlich ist, um davon zu leben.
       
       Unterscheiden sich die internationalen Kunstszenen? 
       
       Es verÀndert sich durch die Globalisierung extrem schnell extrem viel. Aber
       ich finde, noch sieht man die Unterschiede. Indische Maler haben einen
       anderen Zugang, einen anderen Erfahrungsschatz, andere Farben, mit denen
       sie groß geworden sind. Ich habe ein paar Jahre an einer Oberstufe
       unterrichtet, wo quasi nur SchĂŒler mit Migrationshintergrund waren. Die
       Russen haben ganz anders gezeichnet als die Perser. Die bringen ihre ganze
       Kunstgeschichte, ihre ganze Tradition irgendwie mit. Unbewusst! Auch wenn
       alle hier aufgewachsen sind. Wo man herkommt gibt es andere ZugÀnge. Was
       international lÀuft vermischt sich aber zunehmend. Es ist wie mit den
       InnenstĂ€dten – die sehen jetzt alle gleich aus.
       
       Ein Einheitskunstbrei? 
       
       Ich bin mit meiner Tochter in Indien zufÀllig an drei verschiedenen
       Kunsthochschulen gelandet, da waren auch immer Ausstellungen. Meine Tochter
       hat gesagt: „Es ist echt verrĂŒckt. Man kann hinkommen, wo man will – ihr
       seid alle gleich.“ Der Zugang auf die Arbeit ist ein anderer, aber die Art,
       wie man die Welt betrachtet, ist Àhnlich. Man ist sich sofort zugewandt,
       man erkennt sich sozusagen und freut sich. Quer ĂŒber die Landesgrenzen gibt
       es scheinbar was Gemeinsames: sich mit Dingen zu beschÀftigen, die
       vielleicht keinen direkten Nutzen haben, bei denen man aber ĂŒberzeugt ist,
       dass sie wichtig sind. Vielleicht ist es das – Beobachtungen zu machen, die
       man sich mitteilt. Ich weiß es nicht.
       
       Die nĂ€chsten Kurse „Talentfreies Zeichnen“ finden am 28. 4. im VHS-Zentrum
       Hamburg-Harburg statt, am 6. 5. im VHS-Zentrum Othmarschen, Kurszeiten
       jeweils 11–17 Uhr. Die Teilnahme kostet je 32 Euro, Anmeldungen ĂŒber
       www.vhs-hamburg.de
       
       7 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Vater
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA