# taz.de -- Sexuelle Nötigung beim Weißen Ring: Die Polizei kannte die Vorwürfe
       
       > Lübecks Ex-Polizeichef wusste bereits seit 2012 von den Vorwürfen gegen
       > den ehemaligen Außenstellenleiter des Weißen Rings Detlef Hardt.
       
 (IMG) Bild: Der Weiße Ring berät im privaten Rahmen – das bietet Gelegenheit zu Missbrauch
       
       NEUMÜNSTER taz | Eine Hand auf dem Oberschenkel, anzügliche Bemerkungen,
       der „gute Rat“, bei finanziellen Problemen als Prostituierte zu arbeiten –
       die Liste der Vorwürfe gegen Detlef Hardt, den ehemaligen Leiter der
       Lübecker Außenstelle des Weißen Rings, ist lang. Inzwischen ermittelt die
       Staatsanwaltschaft in bislang sieben Fällen, weitere Anzeigen würden
       geprüft, sagte die Lübecker Oberstaatsanwältin Ulla Hingst.
       
       Längst geht es nicht mehr um den mutmaßlichen Einzeltäter. Schon in den
       ersten Berichten über den Fall in den Lübecker Nachrichten und dem Spiegel
       stand die Frage im Raum, wer in Lübeck und darüber hinaus noch von den
       Vorwürfen gegen den heute 73-Jährigen wusste.
       
       Nun äußerte sich der ehemalige Polizeichef der Hansestadt, Heiko Hüttmann:
       Seit 2012 habe er von „mehreren Vorfällen“ erfahren, sagte Hüttmann dem
       NDR. Polizistinnen hätten ihn auf Beschwerden von Frauen aufmerksam
       gemacht, die sich zuvor an den Weißen Ring gewandt hatten. Hüttmann habe
       dann den Außenstellenleiter und auch den Landesvorsitzenden des Weißen
       Rings, den ehemaligen Landesjustizminister Uwe Döring, „zur Rede gestellt“.
       
       Döring hatte dagegen gesagt, er habe erst spät von den Vorwürfen erfahren,
       ihm seien auch nur wenige Fälle bekannt geworden. Der
       Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag zitiert ihn: „Leider hat sich auch
       keines der Opfer an den Landesvorstand gewendet, was mich erschüttert. Im
       Nachhinein ist uns klar geworden, dass Herr Hardt den Frauen vermittelt
       hat, ihnen würde sowieso niemand glauben, weil er die besseren Kontakte zu
       Polizei und Staatsanwaltschaft habe.“
       
       Inzwischen ist Döring zurückgetreten, aber sein Satz bleibt beachtenswert:
       Denn die Nähe zwischen Opferschutzorganisation und Polizei ist tatsächlich
       groß. So arbeitete der Beschuldigte aus Lübeck 38 Jahre bei der Polizei,
       bevor er ins Ehrenamt wechselte. Auch in anderen Außenstellen sind
       Ehrenamtliche beteiligt, die aus dem Polizeidienst kommen. Und mit Jörg
       Zierke – der „Jupp Heynckes in der Liga der Beschwichtiger“, wie die taz
       schrieb – hat gerade ein ehemaliger BKA-Chef den Landesvorsitz als
       Interimslösung übernommen.
       
       Nichts gegen PolizistInnen, die sich ehrenamtlich für Opfer engagieren,
       sagt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbandes der
       Frauenberatungsstellen in Schleswig-Holstein. „Aber beim Weißen Ring muss
       ein Bewusstsein dafür entstehen, eine Tat nicht aus der
       Ermittlungsperspektive, sondern aus der Opferperspektive zu betrachten.“
       
       Der Landesverband „plädiert massiv dafür, nicht nur auf Herrn Hardt zu
       schauen, sondern die Frage zu stellen, welche Strukturen es ermöglicht
       haben, dass jemand so lange agieren konnte. Das ist der eigentliche Skandal
       an dem Fall.“
       
       Der Weiße Ring arbeitet anders als eine Beratungsstelle, die feste Räume
       und Bürozeiten hat: Die Ehrenamtlichen treffen sich mit Opfern zu Hause, in
       Cafés, in privaten Autos – lauter Orte, die Chancen auf Übergriffe bieten.
       „Ehrenamtliche müssen ausgebildet sein, wenn sie diese Arbeit tun wollen“,
       sagt die Frauenberaterin Wulf. Das höchste Ziel der Beratung müsse sein,
       die Selbstbestimmung der Opfer wieder herzustellen. „Es gibt klare
       Qualitätsstandards, die auch für den Weißen Ring gelten müssen.“
       
       Nach dem Vorfall in Lübeck arbeitet der Bundesverband der Opferhilfe an
       Änderungen. Unter anderem sollen Gespräche mit Frauen, die sexuelle Gewalt
       erlebt haben, möglichst von Helferinnen geführt werden. Das Land
       Schleswig-Holstein hat sich hinter den Weißen Ring gestellt. Er sei weiter
       eine wichtige Anlaufstelle.
       
       ## Auch der Frauennotruf kannte die Vorwürfe
       
       „Wir sind froh über das Engagement des Bundesverbandes“, sagt Wulf.
       Allerdings sei wichtig, dass gerade Opfer von sexualisierter Gewalt
       professionell betreut würden.
       
       Zu den Stellen, die früh von Beschuldigungen gegen den Außenstellenleiter
       erfuhren, gehörte der Frauennotruf in Lübeck, ein Gründungsmitglied des
       Landesverbandes. Die Beratungsstelle wurde in Medienberichten kritisiert,
       weil Frauen ihr von Übergriffen berichtet hätten, aber nichts weiter
       passiert sei.
       
       Der Notruf weist das zurück: „Wir haben die Berichte sehr ernst genommen.
       Auf unsere Initiative hin kam es 2012 zu einem konfrontativen Gespräch mit
       Herrn H.“ An die Öffentlichkeit gehen konnte der Notruf nicht, weil er die
       Frauen schützen wollte.
       
       Dass es für Opfer eine Katastrophe ist, nach einem ersten Verbrechen erneut
       einen gewaltsamen – verbalen oder gar körperlichen – Übergriff zu erleben,
       ist auch dem jetzt Beschuldigten Detlef Hardt bewusst. Zu seiner
       Verabschiedung aus dem Ehrenamt beim Weißen Ring, das er nach seiner
       Pensionierung zwölf Jahre lang ausübte, sprach er in einem Interview mit
       den Lübecker Nachrichten über das Leid, das eine kriminelle Handlung
       auslöst: „Jedes Opfer kann entsetzliche Qualen leiden, egal, was es erlebt
       hat,“ sagte Hardt. „Man braucht bei allen Fällen gleich viel Mitgefühl und
       gleich viel Professionalität.“
       
       6 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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