# taz.de -- Wie ein Blitz in der Muschel
       
       > Die Perlenkette, mit Neugier betrachtet: Sie kann vom Keuschen, Artigen,
       > Verführerischen und Lockenden sprechen. Man darf sie nicht unterschätzen,
       > vor allem nicht in der Politik
       
 (IMG) Bild: Nicht die eine, teure, nein viele und dann auch falsche Perlenketten klimperten über dem Pulli: Coco Chanel in Paris 1936
       
       Von Elisabeth Wagner 
       
       Zusammengerollt auf dem Tisch sieht sie aus wie ein schlafendes Tier, und
       eigentlich will ich sie nicht wecken. Meine Perlenkette. Ich habe sie in
       einem Museumsshop gekauft, weil ich an irgendeinem Sonntagnachmittag vor
       einigen Jahren plötzlich anfallsartig dachte, dass sie doch magisch ist,
       diese Kette, und dass ich mir nur einbilde, sie würde mich nicht mögen und
       an mir aussehen wie lebloses Plastik.
       
       Als junges Mädchen war ich beeindruckt von der Perlenkette meiner Mutter.
       Ich formte sie in meiner Handfläche zu einer Schnecke. Das fühlte sich kühl
       und glatt an, irgendwie abweisend. Ausprobiert habe ich sie nicht. So, als
       hätte ich Angst vor dem Urteil der Perlen gehabt. Bist du weiblich, bist du
       schön genug? Die Perlen sind wie ein Orakel, dachte ich, und heute, da ihr
       Exotismus, ihr Glamour, ihre Spießigkeit wieder so en vogue sind wie lange
       nicht mehr, kommt mir mein Argwohn immer noch plausibel vor. Ist das nicht
       albern?
       
       Unbekümmert, heiter, verliebt in die Aura der Kostbarkeit. So könnte man
       den Perlenschmuck des Augenblicks doch wohl eher beschreiben. Die Perlen
       sind überall, und nicht bloß an die Gestalt einer Kette oder an Ohrringe
       gebunden. An umzuschlagenden Jeansbeinen, an zierlichen Sandalen, Boots und
       Schnürsenkeln, an Kleidern und Hüten, an Taschen und Clutch Bags, Armreifen
       und Gürteln tauchen sie in der aktuellen Mode auf. Sie werden im Haar
       platziert oder auf Sweatshirts verteilt, und die Fashionblogs empfehlen,
       der Fantasie freien Lauf zu lassen.
       
       Auch die kleine, schlichte Perlenkette, die möglicherweise seit Jahren
       unbeachtet in der Schublade gewartet habe, könne man wieder mit Neugier
       betrachten. Man solle sie ohne Bedenken hervorholen und wenn es sein
       müsste, beim Juwelier neu aufziehen und kürzen lassen. Auf dass sie sich
       enger an den Hals schmiege und (ähnlich dem Halsband der Renaissance) die
       sinnliche Schönheit des Schlüsselbeines besser zur Geltung bringt.
       
       Wie verspielt das klingt, wie freundlich. Aber man darf die Perlen nicht
       unterschätzen, und was jenen Choker angeht, jene vermeintlich kleine,
       harmlose Perlenkette, die liegt als „Signature Peace“ auch um den Hals von
       Sarah Huckabee Sanders. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses tritt ohne
       sie nicht vor die Kamera. Dazu trägt sie knielange Kleidchen und vermeidet,
       wie die New York Times bereits bemerkte, das Kernstück des Professionellen,
       das Jackett.
       
       Der Style ist aufdringlich familiär. Sarah, die Ehefrau. Sarah, die Mutter.
       Sarah, die auf einer Pressekonferenz die Journalisten fragt, wofür sie an
       Thanksgiving dankbar sein werden. Ihre Perlenkette schwört die Treue. Es
       ist die Kette der Tochter, auf die sich der (symbolische) Vater verlassen
       kann.
       
       Auch die Perlenkette der AfD-Politikerin Alice Weidel wäre in diesem
       Vater-Tochter-Kontext zu deuten. Neben dem Patriarchen sitzt die Tochter in
       der ersten Reihe der Fraktion. Er in Tweed, sie in Sakko, Bluse und mit
       Perlenkette. Man demonstriert Eintracht mit sich und den bürgerlichen
       Gepflogenheiten. Die Tochter wird es mit ihrem Machthunger nicht
       übertreiben und die traditionellen Hierarchien respektieren. Keine andere
       Kette könnte das besser zu verstehen geben, denn keine andere Kette
       kommentiert den weiblichen Körper, sei es den der folgsamen Tochter oder
       der Sirene, stärker als sie.
       
       Das Keusche, das Artige, das Verführerische, Lockende. Alle Qualitäten, die
       der klassische Weiblichkeitsdiskurs in seiner unersättlichen Spaltungslust
       hervorbringt, lassen sich mit den Perlen assoziieren. Für Harper’s Bazaar
       fotografierte Richard Avedon Elizabeth Taylor in Tiffany-Perlen, die ihr in
       vier herrlichen Schlingen über der nackten Schulter lagen. Bert Stern
       zeigte Marilyn Monroe mit langen Perlenketten im feuchten Sandstrand.
       Irving Penn inszenierte Anjelica Huston 1972 für die Vogue unwiderstehlich
       mondän in Pelzmantel und Hosen und mit Perlen, die wie das luxuriöseste
       aller Versehen wirkten. Der Mythos der Perlen ist produktiv.
       
       Es gibt eine Urszene, die den Ein- und Ausschluss der Bilder gut erklärt.
       Sie findet sich in der antiken Überlieferung, von dort aus in der
       christlichen Tradition, wo sie eine heilsgeschichtliche Zuspitzung erfährt.
       Bei den Griechen entstand die Perle durch Blitzeinschlag. Bei Plinius dem
       Älteren steigt die Muschel vom Meeresgrund auf und nimmt einen Tropfen Tau
       in sich auf. Im Inneren der Muschel beginnt die Perle daraufhin zu wachsen.
       
       Die frühchristliche Naturlehre des Physiologus zieht daraus eine Analogie.
       Wie die Muschel den Blitz [oder den Tau], so empfängt Maria ihren Sohn
       durch den Heiligen Geist. Ihr Körper ist frei von Erbschuld, frei von
       Sexualität. Die Perle in ihrem Inneren ist makellos. Die Frage nach
       Reinheit und Wert der Perle stellte sich übrigens auch für den Römer
       Plinius, allerdings in weltlichem Kontext der Prunksucht. Berühmt ist seine
       Erwähnung der ägyptischen Königin Kleopatra, die, um Marcus Antonius zu
       imponieren, eine ihrer teuersten Perlen in Essig auflöste und trank. Sie
       ließ den Schöpfungsakt symbolisch rückwärts laufen und blieb im Akt der
       Verführung überlegen. Körper und Perle werden eins.
       
       Kein anderer Schmuck kann das. Vor allem der Diamant nicht, der in der
       Rangfolge des Schmuckes triumphiert. Selbst „körperlos“, sei er bloße
       Ausstrahlung und beweise, „dass der Mensch nicht mit der geometrischen
       Grenze seines Körpers zu Ende ist“, schrieb Georg Simmel. Bei Roland
       Barthes findet sich ein ähnlicher Gedanke. Auch er definierte den Diamanten
       als Quintessenz des Schmucks, und zwar durch seine Härte, seine Reinheit
       und Brillanz, allesamt Qualitäten jenseits der biologischen Körperwelten.
       Sie haben keinen Teil an der Verwandlung. Die Perle schon. Sie gehört der
       Zeit, den Lebenszyklen. Sie ist der Schmuck der Trauer, und bis ins 18.
       Jahrhundert wird sie in der Pharmakologie geschätzt. „Perlenmuttersaft und
       -Essenz“ sollen die Kraft zur Empfängnis und Zeugung stärken. Den „Weibs
       Personen“ diente abgeriebenes Perlmutt „zu einer Schmincke“.
       
       Kein Schmuck ist ambivalenter, näher an der Illusion, am Sex als die
       Perlen. Man muss es gar nicht aussprechen, so selbstverständlich ist die
       Perlenkette mit den Codes von Gender verknüpft.
       
       Eine Frau brauche die Perlen nur so reihenweise, soll Coco Chanel in ihrer
       zugleich anzüglichen und verächtlichen Weise gesagt haben. Sie überführte
       die Perlen der Belle Epoche in die moderne Mode und zitierte die Vorlieben
       der Privilegierten. Innerhalb des Zeichensystems der Mode kann man das als
       emanzipative Geste verstehen. Nicht die eine, teure, nein viele und dann
       auch falsche Perlenketten klimperten über dem Pulli oder dem Kostüm und
       stifteten sinnliche Verwirrung. Was sollte man aus diesen Perlen
       herauslesen? Welchen Beziehungsstatus? Welche erotischen Absichten? Die
       Arbeit am Mythos der Perlen zielt auf das Konterfei der Verführerin. Am
       Link zwischen Perlen und Weiblichkeit ändert sie nichts.
       
       Man kann es sich ganz aus der Nähe ansehen, in einem berühmten Film aus dem
       Jahr 1951, in Endstation Sehnsucht, und dort an der Figur der Blanche
       DuBois (Vivien Leigh), die weder mit der Perlenkette der guten Tochter noch
       mit den Perlen der Femme fatale glücklich werden kann. Als mittellose
       Lehrerin aus ehemals reicher Südstaatenfamilie sucht sie Schutz bei ihrer
       Schwester, die mit ihrem Mann Stanley (Marlon Brando) eine stark sexuelle
       Beziehung lebt.
       
       Blanche appelliert an Herkunft und Wohlerzogenheit, zugleich fürchtet und
       begehrt sie den männlichen Blick. Sie trinkt, nimmt heiße Bäder, kleidet
       sich wie zum Spaziergang auf dem Deck einer Luxusyacht. Ihre
       Schmuckschatulle quillt über vor falschen Perlen, und Stanley greift mit
       vollen Händen hinein. Er sieht in ihr die Verrückte. Eine Nymphomanin, eine
       Säuferin, die verwelkt. Sie habe, sagt Blanche nach einem Bibelwort, ihre
       Perlen vor die Säue geworfen. Am Ende ist sie eine vergewaltigte Frau, der
       man nicht glaubt und die man ins Irrenhaus einweisen lässt, um Ruhe vor den
       unangenehmen Wahrheiten zu haben, die nicht vergessen werden können,
       solange Blanche mit im Raum ist.
       
       Welches Bild von Weiblichkeit darf sich zeigen, welches nicht? Im Zeitalter
       des Populismus blüht er wieder auf, jener Wunsch nach Eindeutigkeit, an dem
       Blanche zugrunde ging. Die Perlen kommen zupass. Hat man am Körper der Frau
       nicht noch immer am eindrücklichsten demonstriert was Recht und was Sünde
       ist?
       
       3 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Wagner
       
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