# taz.de -- Vom Selbstgespräch der Deutschen
       
       > Ein Flüchtling geht unter in den Meinungen über ihn: In Maik Siegels
       > Debüt „Hinterhofleben“ kommen alle zu Wort, nur nicht der, um den es geht
       
       Von Michael Watzka
       
       Es ist einer der Gründe für den Erfolg der AfD, dass in Deutschland seit
       2015 zwar viel über Flüchtlinge, aber oft nicht mit ihnen gesprochen wird.
       Wie dieses Selbstgespräch auch im kleineren Maßstab ein fatales Ende nehmen
       kann, zeigt ein kürzlich erschienenes Romandebüt. Statt vom Schicksal
       seines aus Syrien über Nordafrika nach Europa geflüchteten Protagonisten
       erzählt der 1990 geborene Autor Maik Siegel in „Hinterhofleben“ lieber von
       denen, die dieses Schicksal ausgerechnet am vermeintlich sichersten dieser
       Orte besiegeln: den Deutschen.
       
       Die Ausgangsbasis des Romans ist schnell erzählt. Eine Hausgemeinschaft im
       Prenzlauer Berg, wohnhaft an der Nummer 68, beschließt, einen syrischen
       Kriegsflüchtling aufzunehmen. Die „68er“, das sind unter anderen ein
       schwuler jüdischer US-Expat, zwei von den üblichen Vorbehalten geplagte
       Alteingesessene, die obligatorischen Helikoptereltern, ein zum Zynismus
       neigender Bayer und eine Einwandererfamilie aus Kenia.
       
       Und weil über all dem im Hof die, na klar, nur scheinbar deutsche Linde als
       Metapher wacht, stellt sich bei so plakativer Vielfalt zunächst
       Happy-End-Verdacht ein. Doch weit gefehlt: Zwar geben anfangs alle ihr
       Bestes, sich auf den Neuen einzustellen, doch schon kurz nach dessen
       Ankunft gleitet diese Unternehmung ins Absurde ab. Dann nämlich, wenn
       Siegel abwechselnd aus der Warte einzelner Bewohner erzählt, wie sich der
       Syrer Samih im Haus einrichtet, ohne dabei ein einziges Mal zu Wort zu
       kommen.
       
       Absurd, zumal die Sprachbarriere nur anfangs ein Hindernis ist. Doch
       Samih, bis weit über die Hälfte des Buchs hinaus eine stumme Rolle, bleibt
       auch trotz Deutschkurs weiter nichts als Projektionsfläche. Da ist etwa die
       Förderschullehrerin Inga, die die „Rettungsmission“ initiiert und in ihrem
       Schützling partout den hilfsbedürftigen Exoten sieht. Gerecht wird sie ihm
       dadurch genauso wenig wie die, denen es der wortkarge Mitbewohner wahlweise
       an Dankbarkeit oder „dramatischer“ Aura fehlen lässt.
       
       Schnell verbreiten sich Gerüchte. Der schweigsame Syrer, heißt es, sei
       Anhänger der Assad-treuen Minderheit. Während die einen Angst um die
       Tochter haben, andere Familiennachzug fürchten, gerät nicht nur das
       „sichere Spielzeugleben“ der 68er allmählich unter die Ränder, sondern auch
       Samih in all dem Gerede über, aber nie mit ihm: „So drehten sie sich im
       Kreis, um Symptome und Ursachen, eingetrichtert zunächst durch
       Fernsehbilder und Zeitungsberichte, schließlich lebendig zwischen ihnen
       gelandet in Person eines stummen Mannes, der nichts zu sagen hatte zu dem,
       was diese Menschen über seinesgleichen zu erzählen wussten.“
       
       Lediglich der kleine Tumaini ermittelt – nach dem Vorbild seiner Helden vom
       TKKG – in der Sache Flüchtling und sitzt, ein schönes Bild, an einem
       regnerischen Sommernachmittag wortlos neben den stillen Syrer im Hof. Zwar
       erweist sich auch der Hauszyniker Ott am Ende noch als Menschenfreund und
       befragt den Syrer zu seinem Schicksal – doch da ist es bereits zu spät:
       Samihs Geschichte geht, als plötzlich die Polizei im Haus steht, abermals
       in den Befindlichkeiten der Bewohner unter.
       
       Zwischen Frühjahr und Herbst entwickelt sich so ein Krimi, den am Ende
       nicht alles – und alle – im Haus unbeschadet überstehen –, die Wandlung
       einiger Bewohner inbegriffen. So wird, als sich Neonazis an Samihs Fersen
       heften, aus dem Polizeifunkmithörer Günther ein Helfer in der Not, der den
       neugewonnenen Skatbruder kurzerhand bei sich einquartiert. „Niemand
       verändert sich von jetzt auf gleich“, heißt es, „er hatte nur etwas
       entdeckt, das schon immer in ihm gesteckt hatte.“
       
       Sätze wie diese zeigen zugleich die Schwäche des Romans: Während sich
       Schreibende meist auf „zeigen“ oder „erzählen“ als Verfahren verlagern,
       nutzt Siegel stets beide; anstatt auf tiefenscharfe Figuren greift er zu
       oft auf eindimensionale Charakterisierungen zurück. Zusammen ergeben die am
       Ende eine Melange aus Klischee und Nachrichtenlage, die zuweilen zwar etwas
       redundant wirkt, letztlich aber gar nicht so weit an der bundesdeutschen
       Realität vorbeigeht.
       
       Denn ein Happy-End gibt es nach 250 Seiten nicht. Es ist eine Stärke des
       Buchs, dass sich Siegel via Samih nicht an der Aneignung einer Perspektive
       versucht, die nicht die seine ist. Stattdessen zeigt er eine Gesellschaft,
       der es in ihrer Mischung aus ausgestellter Hilfsbereitschaft und
       insgeheimen Vorbehalten ähnlich schwerzufallen scheint, sich in der neuen
       Realität einzurichten, wie dem Syrer Samih – und die dabei fulminant
       scheitert.
       
       17 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Watzka
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA