# taz.de -- Des Hauptmanns heikle Mission
       
       > Die Bundeswehr braucht dringend Nachwuchs. Deshalb dreht sie nicht nur
       > hippe YouTube-Serien, sondern schickt Offiziere wie Florian Kling an
       > Schulen und selbst zu angehenden LehrerInnen in Hochschulseminare. Doch
       > nicht alle PädagogInnen erkennen darin Werbung
       
 (IMG) Bild: Im Visier der Bundeswehr: der Nachwuchs
       
       Aus HeidelbergMadeleine Hesse
       
       „Cool, wenn er Waffen mitbringen würde“, sagt eine Schülerin. Sie schaut
       auf die Tür, durch die kurz darauf Hauptmann Kling ins Klassenzimmer tritt.
       Er trägt einen schlichten blauen Dienstpullover – kein Tarnmuster, keine
       Waffe. Die elf SchülerInnen beobachten den Hauptmann dennoch interessiert.
       Er soll dem Kurs die Aufgaben der Bundeswehr und ihre aktuellen Einsätze
       vorstellen. Die Klasse der Heidelberger Abendrealschule redet ausgelassen
       und erleichtert – vor allem, weil statt einem angekündigten Test der
       Gastvortrag ansteht.
       
       Thomas Schmid, ihr Lehrer, setzt sich nach hinten und überlässt das Pult
       dem Jugendoffizier. Kling ist seit zwölf Jahren Soldat, auf der
       Bundeswehrhochschule in München studierte er Internationale Politik. Heute
       hält er selber Vorträge über die internationale Sicherheit – und welche
       Rolle die deutsche Bundeswehr dabei spielt. Damit hat er auch in Heidelberg
       die volle Aufmerksamkeit der Klasse. An der Wand erscheint ein Foto des
       31-Jährigen, in Tarnmuster und blauer Kappe. Wieder nicht mit Waffen,
       sondern mit Fernglas auf freiem Feld. Bilder von einer Atombombe und James
       Bond leiten über zum Einstiegsthema des Hauptmanns – der Rolle der
       Bundeswehr im Kalten Krieg.
       
       Seit drei Jahren können Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg
       Florian Kling zu seinen Einsätzen als Gebirgsjäger und IT-Offizier in den
       Niederlanden ausfragen und von den Aufgaben der Bundeswehr erfahren.
       Hauptmann Klings derzeitige Mission: die Öffentlichkeitsarbeit. Ein heikles
       Feld für die Bundeswehr.
       
       Seitdem seit 2011 die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt wurde, müssen
       deutsche Männer nicht länger den Wehr- oder Zivildienst antreten. Um ihren
       Nachwuchsbedarf zu stillen, investiert die Bundeswehr gehörig. 35,3
       Millionen Euro stand ihr vergangenes Jahr für Nachwuchswerbung zur
       Verfügung. Das Budget für 2018 ist vergleichbar hoch.
       
       ## 315.000 Fans auf YouTube
       
       Die Bundeswehr-Kampagnen richten sich vor allem auf die 17- bis
       35-Jährigen: YouTube-Serien wie „Die Rekruten“ über junge Menschen in der
       Grundausbildung oder die 2017 gestartete Nachfolgeserie über den
       Auslandseinsatz in Mali sollen das Image einer stocksteifen Truppe
       aufbessern. Offenbar mit Erfolg: Mehr als 315.000 Personen haben den
       Bundeswehr-Kanal abonniert. Diesen Freitag startet eine neue Serie – den
       Andeutungen nach über einen Einsatz im Schnee. Neben den Serien bietet die
       Bundeswehr auch Abenteuercamps für Jugendliche auf Mittelmeerinseln und im
       Hochgebirge an. Die Messsage: Soldat sein macht Spaß.
       
       Auch Hauptmann Kling räumt vor der Heidelberger Klasse die Personalsorgen
       seines Arbeitgebers ein. „Für die Bundeswehr ist es schwieriger geworden,
       nach dem Aussetzen der Wehrpflicht Nachwuchs zu gewinnen, da sich früher
       die meisten Zeit- und Berufssoldaten aus den Wehrpflichtigen rekrutierten.“
       
       Die Bundeswehr will nicht nur auf den Smartphones der SchülerInnen, sondern
       auch im Klassenzimmer präsent sein. Sie bietet Schulen und Hochschulen an,
       Offiziere zur „Karriereberatung“ vorbeizuschicken. Die Nachfrage hierfür
       sei hoch, so eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. 2016 und 2017
       haben Karriereberater jeweils rund 6.200 Vorträge an Schulen und
       Hochschulen gehalten.
       
       Bundeswehrsoldaten an der Schule? Das stößt auf Kritik.Tony Schwarz,
       stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
       (GEW) Hessen, sieht im „Umwerben von Kindern von der Armee“ einen
       eindeutigen Verstoß gegen die Intention der UN-Kinderrechtskonvention. „Die
       Offiziere sind direkte Akteure in den Themen, für die sie als Experten
       auftreten“, sagt Schwarz. „Schon hier fällt es schwer, zu glauben, dass sie
       neutral und unabhängig vor und mit einer Klasse agieren können.“ Die Kinder
       hätten „das Recht, von pädagogisch geschultem Fachpersonal unabhängig und
       neutral unterrichtet zu werden, um sich ein eigenes Weltbild aufzubauen“.
       
       Schwarz bemängelt, dass ehrenamtliche Friedensbewegungen oder
       Gewerkschaften in der Regel nicht zu Veranstaltungen über
       Sicherheitspolitik hinzugebeten würden. Er sieht Schulen zwar in der
       Pflicht, für Ausgeglichenheit zu sorgen. „Doch das Problem ist, dass die
       Lehrer dafür keine Zeit haben. Sie sind an ihren Belastungsgrenzen.“
       
       Der Heidelberger Politiklehrer Thomas Schmid hat schon mehrmals
       Jugendoffiziere eingeladen. Aufmerksam auf ihre Vorträge sei er über eine
       Mail geworden, in der die Offiziere seine Schule über die Vorträge
       informierten. Schmid kennt die Kritik an Schulbesuchen der Bundeswehr. Auch
       er wolle nicht, dass geworben wird: „Das ist mir wichtig und im Vorfeld mit
       dem Referenten geklärt worden.“ Vorgekommen sei das bisher nicht.
       
       Eine Schulstunde samt Lehrerpult einem Jugendoffizier zu überlassen sieht
       Thomas Schmid nicht als Möglichkeit zur Werbung oder gar Anwerbung: „Ich
       habe auch schon die Polizei oder Vertreter des Gesundheitsamts eingeladen,
       zum Thema Verhütung. Da würde man doch auch nicht sagen, das ist Werbung
       für das Gesundheitsamt.“ Es gehe ihm darum, Experten zu den jeweiligen
       Themen einzuladen und den Unterrichtsstoff abwechslungsreich zu gestalten.
       Die Vorträge arbeite er immer mit seinen Klassen nach, um zu besprechen,
       „wie die Stunde auf sie gewirkt hat“. Sollten AbendrealschülerInnen nicht
       zum Vortrag der Bundeswehr kommen wollen, müssten sie das nicht.
       
       ## Die Bedenken des Lehrers
       
       Thomas Schmid ist nicht frei von Bedenken, er mache eine Einladung der
       Jugendoffiziere „immer aufs Neue von bisherigen Erfahrungen“ mit den
       Referenten abhängig. Jugendoffizier Kling spricht an der Abendrealschule
       vor einer volljährigen Klasse, darauf legt Thomas Schmid Wert. „So kann ich
       für mich rechtfertigen, die Bundeswehr einzuladen. Es sind alles junge
       Erwachsene, sie bringen andere Lebenserfahrungen als Jugendliche mit. Bei
       ihnen habe ich keine Bedenken.“ Schmid arbeitet auch an einer
       Tagesrealschule. In eine Klasse aus 15- bis 16-Jährigen, beteuert der
       Politiklehrer, habe er die Jugendoffiziere aber „bisher bewusst nicht
       eingeladen“. Die Jugendoffiziere erreichen mit ihrer Arbeit jedoch auch
       Minderjährige.
       
       wMit OberstufenschülerInnen führen Florian Kling und seine Kollegen
       regelmäßig das Planspiel POL&IS durch, bei dem Jugendliche in die Rolle
       einzelner Weltregionen und der Vereinten Nationen schlüpfen, um
       Machtinteressen globaler Akteure gegeneinander durchzusetzen. Ein ganzes
       Wochenende verbrachte der Hauptmann im November zur POL&IS-Simulation in
       Heidelberg, diesmal aber an der Pädagogischen Hochschule. Eine Gruppe
       Lehramtsstudierende möchte das Spiel das sie auf der Bildungsmesse
       „didacta“ entdeckt hatten, auf Unterrichtstauglichkeit prüfen.
       
       Lisa-Marie Breitling lehnt Besuche der Bundeswehr an Schulen nicht per se
       ab. „Die Schüler sollten sich ihre Meinung zur Bundeswehr selbst bilden.
       Dazu muss sowohl der Bundeswehr als auch kritischen Gegenstimmen Raum
       gegeben werden“, sagt die Studierende. Ob die angehenden Lehrkräfte die
       Jugendoffiziere zum Planspiel in ihre zukünftigen Klassen bitten werden,
       bleibt nach dem Wochenende offen: „Falls das Spiel für unsere berufliche
       Zukunft in Frage kommt, müssen sich ein paar grundlegende Dinge ändern.“ Zu
       dominante Spielleiter, zu umfangreiches Regelwerk. Als Werbung hat
       Lisa-Marie Breitling das Planspiel jedoch nicht wahrgenommen. Zu keiner
       Zeit hätte die Bundeswehr im Fokus des Geschehens gestanden.
       
       So stellt auch das Verteidigungsministerium die Auftritte der
       Jugendoffiziere dar. Für die Nachwuchswerbung spielten sie gar keine Rolle.
       Die Jugendoffiziere erläuterten lediglich den Auftrag der Bundeswehr und
       nehmen Stellung zu sicherheitspolitischen Grundsatzfragen. Damit nehme die
       Bundeswehr ihre „Informationspflicht“ wahr und komme den
       „Informationsbedürfnissen der Schulen zu sicherheitspolitischen Themen“
       nach.
       
       ## Ministerium spricht von „Informationspflicht“
       
       Jugendoffizier Kling sagt vor der Klasse, er komme nicht zur
       Nachwuchsanwerbung, sondern „um dem Steuerzahler zu erklären, wofür die
       Bundeswehr da ist“. Bei Fragen nach dem Arbeitgeber Bundeswehr verweise er
       auf die Karriereberatung. Über Karrieremöglichkeiten fragt die Heidelberger
       Abendschulklasse den Jugendoffizier allerdings nicht aus.
       
       Tony Schwarz von der GEW sieht hingegen keine Trennung zwischen
       Nachwuchswerbung und der Arbeit der Jugendoffiziere. Diese solle „ganz klar
       dazu dienen, das Militärische an sich und militärische Lösungen in
       internationalen Konflikten normal und auch den Berufssoldaten attraktiv
       erscheinen zu lassen“.
       
       Das erkenne man generell an den Werbekampagnen der Bundeswehr. Darin, so
       Schwarz, drehe es sich nur um bestimmte Werte, nicht aber um Themen wie
       Kampf, Verletzung oder Tod: „So vermitteln diese Kampagnen der Bundeswehr
       nicht das Bild einer Armee, in der man auch kämpfen und töten muss oder
       traumatisiert, verletzt, getötet werden kann.“
       
       14 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Madeleine Hesse
       
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