# taz.de -- zwischen den rillen: Kristalle funkeln am Sternenhimmel
       
 (IMG) Bild: The Green Child: „s/t“ (Upset the Rhythm/ Cargo)
       
       Wenn sich eine Band nach einem Buch benennt, muss sie den Pathos-Verdacht
       schon aushalten können. Die Idee ist reichlich ausgelutscht, man denke nur
       an Namen wie The Doors, The Velvet Underground oder Genesis. Nun trifft es
       also The Green Child, das obskure Werk des britischen Lyrikers und
       Anarchisten Herbert Read. Die utopische Science-Fiction verhandelt auf
       surreale Weise die Frage nach dem Sinn irdischer Existenz. Das 1935
       erschienene Werk blieb Reads einziger Roman.
       
       Das australisch-amerikanische Popduo The Green Child gibt es seit 2014. Es
       besteht aus den Thirtysomethings Raven Mahon und Mickey Young. Mit seinem
       dekonstruktivistischen Projekt Total Control hat der Melbourner Young in
       den letzten Jahren kräftig dazu beigetragen, die vielseitige Szene der
       australischen Stadt international bekannt zu machen. Mahon ist Teil der
       US-Post-Punk Band Grass Widow.
       
       Zwar mag das krakelige Cover etwas anderes nahelegen, doch auf seinem
       selbstbetitelten Debüt besinnt sich das Duo der eher introspektiven Seiten
       des jeweiligen Schaffens. Im Mittelpunkt steht Mahons Gesang, der, teils
       mechanisch zerstückelt, teils ätherisch-mehrstimmig, wunderbar kristalline
       Harmonien erzeugt. Darunter legen sich Youngs metallisch-bleepende
       Drumbeats und Achtziger-Jahre-Synthesizer.
       
       ## Verführerische Logik
       
       Im Eröffnungsstück scheint es zunächst so, als biederten sich die
       Tonsequenzen allzu willfährig einer gewissen Knight-Rider-Nostalgie an, die
       sich mit dem „Stranger Things“-Soundtrack der texanischen Band Survive
       zuletzt wieder im Mainstream festgesetzt hatte. Doch schon bald entledigen
       sich die Arpeggios ihres historisch bedingten Ballasts und dürfen eine
       eigene, verführerische Logik entfalten. Diese kommt spätestens beim
       entschleunigten „Bertha“ auf betörende Weise zum Zug.
       
       Ab und an sind E-Gitarren, sogar Bläser zu hören. Aber es sind vor allem
       die Harmonien, die sich einprägen, Erinnerungen an und Hoffnungen auf ein
       anderes Leben wecken. An einer Stelle umschreibt Mahon die alte, in Reads
       Roman thematisierte Suche: „I had no one to find me out / no language I
       could speak / I’m hungry all the time.“
       
       So mühelos, wie Mahon diese Zeilen ausspricht, so ratlos ist man gegenüber
       der einfachen Schönheit der Musik. Trotz des eigentlich überflüssigen
       Schlussstücks „Destroyer“, dessen Space-Rock-Geschrammel wohl daran
       erinnern soll, dass die Band auch Punk-sozialisiert ist, offenbart sich am
       Ende doch eine Essenz, die ist reduziert und utopisch. Das passt gut zu
       ihrem Londoner Label Upset the Rhythm, einem der kompromisslosesten
       Rock-Labels zurzeit.
       
       Die Idee von der Eigentlichkeit mag pathetisch klingen, ist aber zentral.
       Eigentlich verstanden in dessen umgangssprachlichem Sinn, dass etwas nicht
       so ist, wie es anfangs erschien. Beispielsweise möchte man gute Popmusik
       nach wie vor als innovativ und neu preisen, obwohl man es eigentlich besser
       weiß. Denn oberflächlich betrachtet klingen The Green Child sicherlich
       nicht wie die Speerspitze der Avantgarde. Trotzdem sollten sie, ähnlich wie
       der US-Amerikaner John Maus, zu den interessanteren Repräsentanten der
       internationalen DIY-Szene gezählt werden.
       
       Auch Maus beschwört in seinen Kompositionen ein Pathos der Eigentlichkeit.
       So verwendet er zum Beispiel Sounds, die gemeinhin nach „retro“ klingen,
       ohne elegische Revival-Hits zu produzieren. Er wolle die
       „transhistorischen, transkulturellen Potenziale von Musik“ ausnutzen, um
       Pop zu einer neuen Sprache zu verhelfen. The Green Child sehen das ähnlich.
       Mahon singt von Sternen, die funkeln würden wie „diamonds in the sky“. Ist
       das kitschig oder doll? Für Maus wäre es sicherlich Letzteres.
       
       Reads Roman endet damit, dass der Protagonist den eigentlichen Sinn des
       Lebens in der Kontemplation von Kristallen findet. Weiß man das, kommt
       alles zusammen. Bleibt nur noch zu hoffen, dass sich hierzulande bald eine
       Band traut, Paul Scheerbarths Geschichten zu vertonen.
       
       Frederic Jage-Bowler
       
       9 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederic Jage-Bowler
       
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