# taz.de -- Frederic Jage-Bowler Ausgehen und rumstehen: Händchenhaltend,die Baumkronenüber uns verschlossen
Ausgehen. Für den Vormittag hatte ich mir eine kleine Tour vorgenommen. Die
Bedingungen waren gut. Es war kalt, aber ab und zu kroch die Sonne blass
aus den Wolken hervor wie aus einem zerbrochenen Milchglas. Ich fuhr mit
dem Fahrrad an den Berg und begann ihn über die lange Kante im Südwesten zu
besteigen. Furchen wanden sich von der Spitze herab ins Tal bis zum
Kiessee. Arterien. Regenrinnen.
Die Aussicht vom Gipfel genoss ich und ärgerte mich gleichzeitig, dass ich
nicht von der gegenüberliegenden Seite hochgeklettert war. Denn dann wäre
ich der Sonne entgegengewandert wie ein aztekischer Hohepriester auf eine
seiner Pyramiden, die ersten Zeilen eines Metalsongs in den Ohren: „Stay in
/ Go out / Get sick / Get well / Light falls.“ Oben hätte ich schließlich
meinen Blick schweifen lassen über die weißen Hochhaussiedlungen im
Märkischen Viertel und Spandau im Westen. Windräder, Marzahn oder
Hellersdorf im Südosten, wo heute außer Nebel nichts zu sehen war. Ich
blickte vom Gipfel des Arkenbergs, 120,7 Meter hoch und seit ein paar
Jahren, mit einem halben Meter Abstand zum Teufelsberg, Berlins höchste
Anhöhe. Wie die meisten der Stadt sind auch die zwei Gipfel der Arkenberge
künstlich aufgeschüttet. Bis in die 70er Jahre soll es an gleicher Stelle
eine ganze Hügelkette gegeben haben, deren Kies für Bauvorhaben in der
Umgebung genutzt wurde. Zumindest einige der Häuser, die man von hier oben
sehen kann, sollten also Hügelkies enthalten.
Rumfahren. Auf dem Rückweg fahre ich am Mauerstreifen entlang durch ein
kleines Birkenwäldchen. Parallel zum Weg windet sich ein selten befahrenes
Stück Schiene. Mit 14, manchmal noch mit 17 hatte ich mir oft vorgestellt,
zu zweit auf diesen Gleisen zu laufen, händchenhaltend, die Baumkronen über
uns verschlossen, den Tunnelblick nach vorn gerichtet. Wie auf einem
kitschigen Tumblr-Blog. Heute sehe ich den Birkenwald neben der grauen
Lagerhalle und denke bloß an Grenzstreifen und die Weite der russischen
Taiga, die ich aus Filmen kenne. Dort nennt man diese unspezifische
Sehnsucht toska. Andrei Tarkowski widmet ihr in seinem Werk „Nostalghia“
lange Kameraeinstellungen. Als ich an Auto Teile Unger vorbeifahre, sehe
ich den Obdachlosen zwischen seinen zugestopften Camouflage-Zelten stehen,
und wie jedes Mal fällt mir zu spät ein, dass ich ihm einen Tabak
mitbringen wollte. Einen dunklen, der nach Räucherschinken riecht.
## Joe Cocker hören
Konsumieren. In der U6 nach Tempelhof lese ich bei Franz Dobler, er würde
sich lieber mit Hippies im Schlamm wälzen und Joe Cocker hören, als mit
einem Dr. zu Guttenberg in Bayreuth einzumaschieren. Obwohl ich diese Zeile
schon öfter gelesen haben muss, breche ich in lautes Gelächter aus. Als ich
aussteige und die Treppe zur Straße besteige, ist der Himmel oben so weiß,
dass ich mir kurz einbilde, ich würde auf eine riesige weiße Hauswand
blicken. Stattdessen befinde ich mich vor der monumentalen Backsteinfassade
des Ullsteinhauses, welches auch mal Deutschlands höchstes Gebäude war.
Ich blicke den Kanal entlang und entdecke in der Ferne meine Freunde. Wir
haben uns zum Einlochen bei Mondschein verabredet und bisher keine Gedanken
daran verschwendet, was das eigentlich soll. Am Rande der Shopping-Mall der
Eingang zum Paradies. Geruch nach Schweiß und Windeln. Minigolf bei
Schwarzlicht, psychedelische Malerei an den Wänden, es läuft New-Age-Musik.
Als wir wieder draußen sind, nehme ich die 3-D-Brille ab und nehme mit
beängstigender Klarheit die Lustlosigkeit wahr, die in den Anbau am
ursprünglichen Ullsteingebäude geflossen ist. Sieht aus wie das
Alexa-Kaufhaus. Nur schlimmer.
13 Feb 2018
## AUTOREN
(DIR) Frederic Jage-Bowler
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