# taz.de -- nord🐾thema: Da gibt’s noch mehr als Döner und Erdoğan
       
       > Die Veranstaltungsreihe „Die Türkei – Partner und Paria?“ der Hamburger
       > Volkshochschule in Kooperation mit der Türkischen Gemeinde Hamburg
       > thematisiert die Geschichte und die aktuelle Situation in der Türkei
       
 (IMG) Bild: Wer war eigentlich Mustafa Kemal Atatürk? Auch mit dieser Frage beschäftigt sich eine der VHS-Veranstaltungen
       
       Von Jördis Früchtenicht
       
       Wenn zurzeit über die Türkei gesprochen wird, dann fast ausschließlich über
       ihre aktuelle politische Situation – und die ist alles andere als
       erfreulich. Eine in diesem Monat unter dem Titel „Die Türkei – Partner und
       Paria?“ beginnende Veranstaltungsreihe der Hamburger Volkshochschule (VHS)
       greift Themen aus Vergangenheit und Gegenwart der Türkei auf – auch
       jenseits der allgegenwärtigen aktuellen Debatten.
       
       „Die Türkei ist in den Medien und Alltagsgesprächen präsent und sorgt für
       Zündstoff“, so Anke Schwarzer von der Programmabteilung der VHS. „Das gilt
       zum einen für die politische Situation dort, aber auch für die hier
       lebenden türkischen MigrantInnen oder auch MuslimInnen allgemein.“ Sie
       würden mit Stereotypen und undifferenzierten Aussagen über die Türkei
       konfrontiert. „Die Veranstaltungen sollen Hintergründe beleuchten und
       Grundlagen schaffen, um eigene Sichtweisen zu entwickeln.“
       
       Die in Kooperation mit der Türkischen Gemeinde in Hamburg und Umgebung
       (TGH) entwickelte Kursreihe umfasst vier Vorträge im Februar, im April
       schließt sich ein deutsch-türkisches interkulturelles
       Kommunikationstraining an. „Es sind vor allem Grundlagen und
       Geschichtsthemen, die dann im Anschluss eine Diskussion auch zu aktuellen
       Themen ermöglichen“, erläutert Schwarzer.
       
       „Mit den Vorträgen wollen wir zu einer Versachlichung der Debatte um die
       Türkei beisteuern“, sagt Dirk Tröndle, Geschäftsführer der TGH und
       Mitinitiator der Kooperation. „Natürlich ist das nur ein kleiner Tropfen
       auf den heißen Stein. Wir hätten eine andere Reichweite, wenn wir diese
       Themen im ZDF zur Primetime besprechen könnten.“ Es sei aber ein Anfang.
       
       „Durch die sozialen Medien gibt es eine Unwucht in der öffentlichen
       Meinung“, meint Tröndle. Es werde kaum sachlich über die Türkei gesprochen.
       Die wissenschaftliche Herangehensweise, etwa an Universitäten, sei
       neutraler. Diese Sachlichkeit solle auch in den Vorträgen erreicht werden.
       
       Die DozentInnen der Kurse sind Mitglieder aus den 27 Einzelvereinen,
       Gruppen und Initiativen, die der TGH als Dachverband angehören. „Die VHS
       ist auf uns zugekommen. Wir haben dann in einem offenen Prozess mit unseren
       Mitgliedsvereinen Veranstaltungen entwickelt“, sagt Tröndle. In den
       Vorträgen geht es um türkisch-osmanische Geschichte, den Staatsgründer
       Atatürk, das politische System der Türkei sowie die Rolle der Frauen –
       jenseits von gängigen Klischees und Vorurteilen. „Die ReferentInnen kennen
       die Türkei gut, etwa weil sie dort gelebt haben, und haben zudem fachliche
       Expertise“, sagt Schwarzer. Die Kurse finden an unterschiedlichen
       Standorten der VHS statt.
       
       Tröndle selbst ist der Referent des ersten Vortrags und wird eine
       Einführung in die türkisch-osmanische Geschichte geben. „Wenn Erdoğan als
       Sultan betitelt wird, kommt das nicht von Ungefähr.“ Traditionell gilt das
       Jahr 1299 als Gründungsjahr des Osmanischen Reichs. Bei der mehrere
       Jahrhunderte umfassenden Geschichte gebe es natürlich verschiedenste
       Epochen. „Bei einer Länge von neunzig Minuten ist das natürlich nur ein
       Aufschlag, ein Teaser für andere Themen“, so Tröndle.
       
       Auch ein Vortrag zum politischen System der Türkei wird es geben. Dabei
       werden neben Staatsaufbau und Verfassung auch das Wahlsystem und die
       Parteien betrachtet und die Unterschiede zum politischen System
       Deutschlands herausgearbeitet. Hierzulande für Unverständnis sorgte etwa
       das Ergebnis des im April 2017 durchgeführten Verfassungsreferendums, bei
       dem sich eine knappe Mehrheit der TürkInnen – auch der türkischen
       WählerInnen in Deutschland – für die Einführung des Präsidialsystems
       aussprach.
       
       „Beim Verfassungsreferendum hat sich die TGH dezidiert für ein Nein zum
       Präsidialsystem ausgesprochen“, sagt Tröndle. Da habe es bei der deutschen
       Mehrheitsbevölkerung Fragezeichen gegeben. Die politischen Entwicklungen
       ließen sich nur mit Kenntnissen des politischen Systems nachvollziehen.
       
       Der Staatsgründer der Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, wird in einem
       weiteren Vortrag beleuchtet, wobei es neben seinen Reformen auch um sein
       politisches und kulturelles Erbe gehen wird. Der letzte Vortrag dreht sich
       um die Frauen in der Türkei, deren Situation je nach ökonomischen und
       sozialen Bedingungen sehr unterschiedlich ist. Neben den geschichtlichen
       Hintergründen während der Gründungsphase der Republik werden auch
       bestehende Fehlwahrnehmungen über die Stellung der Frauen in der Türkei
       betrachtet.
       
       Im April folgt schließlich ein Kommunikationstraining, in dem
       interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden sollen. Neben Kurzvorträgen
       zu Inter-, Multi- und Transkulturalität wird es bei dem zweitägigen
       Training Simulationsübungen und Falldiskussionen geben, die unter anderem
       die Rolle der Sprache oder auch Begegnungen von Frauen und Männern im
       öffentlichen Raum thematisieren.
       
       „Wenn die Resonanz stimmt, gibt es eventuell weitere Kurse“, berichtet
       Tröndle. Dann solle das Themenspektrum erweitert werden, Veranstaltungen zu
       Kunst und Kultur etwa seien denkbar. „Wir wollen zeigen, dass es in der
       Türkei nicht nur Politik gibt. Die Thematik ist diverserer. Was kennen wir
       denn aus der Türkei? Wenn man sich etwa fragt, welche Autoren es gibt,
       fallen einem vielleicht noch Orhan Pamuk und Yasar Kemal ein, aber mehr
       nicht.“
       
       Auch Kochkurse seien möglich. Beim Thema Essen, sagt Tröndle, falle den
       meisten Menschen nämlich nur Döner ein – und der sei in seiner hiesigen
       Form nicht einmal türkisch.
       
       3 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jördis Früchtenicht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA