# taz.de -- Wider den Zynismus
       
       > Steffen Siegmund ist das jüngste Ensemble-Mitglied des Hamburger
       > Thalia-Theaters und hat in diesem Jahr den Boy-Gobert-Preis bekommen. Es
       > lief aber nicht immer so gut
       
 (IMG) Bild: Schätzt am Theater vor allem die Ernsthaftigkeit: Steffen Siegmund Foto: Miguel Ferraz
       
       Von Hanna Klimpe
       
       Eines hat Steffen Siegmund, jüngstes Ensemble-Mitglied des Hamburger
       Thalia-Theaters und diesjähriger Boy-Gobert-Preisträger, doch sehr
       erstaunt: Dass er immer wieder zu hören bekommt, er sei ein „Körperspieler
       par excellence“. „Ich finde schon die Einteilung schwierig“, sagt der
       25-Jährige. „Für mich ist es eher so: Ich komme vom Kopf und der Körper
       führt aus. Im besten Fall habe ich ja sechs bis acht Wochen intensive
       Probenzeit hinter mir, und der Text ist so durch mich durchgegangen, dass
       ich nicht noch was darstellen muss. Ich gehöre nicht zu den Schauspielern,
       die sich überlegen, was man in einer Situation jetzt noch Krasses mit
       seinem Körper machen könnte.“ Kurz denkt er nach. „Vielleicht ist meine
       Anbindung aber auch besser, als ich das immer angenommen habe.“
       
       Der Einstieg direkt von der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig ins
       Thalia-Theater zur Spielzeit 2013/14 verlief für den Schauspieler ziemlich
       ungewöhnlich: Gleich seine erste Rolle war in Luk Percevals
       Erste-Weltkrieg-Collage „Front“ mit belgischen und deutschen Schauspielern,
       die ein Jahr auf Tournee unter anderem durch Belgien, Frankreich,
       Großbritannien, Bosnien-Herzegowina, Tschechien, China und Russland ging –
       so viel ist ein Ensemble-Spieler am Stück so gut wie nie unterwegs.
       
       Für Siegmund war diese Produktion ein zweischneidiges Schwert.
       „Mehrsprachig zu arbeiten, mit 21 Jahren in so vielen Ländern unterwegs zu
       sein und so viele Theatersysteme und Theaterkulturen kennenzulernen, war
       eine tolle Erfahrung“, sagt er. „Es war auch großartig, gleich bei der
       ersten Produktion mit einem Regisseur wie Luk Perceval zusammenarbeiten zu
       können.“ Andererseits habe ihm diese Produktion den Einstieg ins Ensemble
       erschwert. „Ich war das einzige feste Ensemble-Mitglied in der Produktion,
       und wir waren eine tolle Truppe. Aber als die Tour vorbei war, waren die
       eben auch weg. Er kam dann kam 2013 in ein gefestigtes Ensemble-Gefüge –
       als Jungschauspieler da seinen Platz zu finden, war nicht ganz einfach.
       
       Siegmund spielte hauptsächlich Übernahmen und Kinderstücke. In der Garage
       der Gaußstraße ist er nun in „Das Ende von Eddy“ nach dem Roman des
       Eribon-Schülers Edouard Louis zu sehen. Nach vier Jahren im Ensemble ist
       das seine erste größere Rolle.
       
       In „Das Ende von Eddy“, quasi die Romanversion von „Rückkehr nach Reims“,
       erzählt Louis autobiografisch von einer Jugend als Schwuler in der
       nordfranzösischen Arbeiterklasse, von Gewalt, Homophobie und
       Fremdenfeindlichkeit. Siegmund und Regisseur Alek Niemiero haben aus der
       analytischen Betrachtungsweise Louis’eine Coming-of-Age-Inszenierung
       gemacht, die für ihn durchaus Identifikationspotenzial hatte: „Wir kennen
       beide das Gefühl, anders zu sein oder damit konfrontiert zu sein,
       Schwierigkeiten zu haben, in etwas reinzukommen, wo man reinkommen will“,
       sagt Siegmund.
       
       Siegmund ist im mecklenburgischen Parchim aufgewachsen, einer
       18.000-Einwohner-Kleinstadt in der Nähe von Schwerin. „Das Theater war da
       für mich ein wichtiger Ort, weil man sich dort mit anderen Themen
       auseinandergesetzt hat als denen, die ein Großteil der anderen Jugendlichen
       beschäftigt hat: Wo trinke ich wann welchen Alkohol? Wie verhalte ich mich
       gegenüber ausländischen Mitschülern? Die ganzen Klischeesachen, die es halt
       tatsächlich gibt.“
       
       Am Theater schätze er vor allem die Ernsthaftigkeit. „Ich finde, es sitzen
       schon genug zynische Politiker und Unternehmer in Büros und entscheiden
       über Menschenleben, da muss ich mich nicht noch auf die Bühne stellen und
       auch zynisch sein.“
       
       „Die Mischung aus Kraft und Sensibilität, die auch zu innerer Zerrissenheit
       führen kann, weiß Steffen Siegmund so einzusetzen, dass seinen Rollen ein
       hohes Maß an Beachtung sicher ist“, schrieb die Jury des Boy-Gobert-Preises
       in ihre Begründung. Und: „Seinen Figuren eigen ist ein Staunen über die
       Zustände auf dieser Welt.“ So wundert es nicht, dass Siegmund bei der
       Verleihung des Boy-Gobert-Preises Mitte Dezember Peer Gynt als die Figur
       wählte, die er beim Festakt präsentierte.
       
       Die Laudatio auf der Matinee hielt der Schauspieler Jens Harzer, der diese
       Gelegenheit nutzte, um die Arbeitsüberlastung am Theater vehement
       anzumahnen und damit die Länge der ganzen Veranstaltung deutlich zu
       überziehen: „Am Anfang mag es für einen jungen Schauspieler toll sein, 35
       Vorstellungen im Monat zu spielen und dafür wenig bis gar kein Geld zu
       verdienen“, sagte Harzer. „Aber irgendwann muss das aufhören. Sonst bleibt
       einem nur das böse Stadttheatergesicht.“ Er forderte weniger Produktionen,
       mehr Zeit für Proben und weniger Druck.
       
       Teilt Siegmund Harzers Kritik? Er ist gespalten. „Wenn man weiß, dass
       dieses ganze viele Arbeiten zum Beispiel in den Kinderstücken, wo man 35
       Vorstellungen im Dezember hat und elf in der ersten Januarhälfte, dazu
       führt, dass man danach in einer Produktion arbeitet, wo man inhaltlich
       ordentlich was wegzutragen hat als Spieler, dann hält man das viel leichter
       aus. Wenn es aber zu nichts führt, dann ist und bleibt es eine Belastung.“
       Insofern stimme er Harzer zu. „Die Überbelastung ist auf jeden Fall da.“
       
       Was müsste sich am Theatersystem ändern? „Das Wichtigste ist, und das merkt
       man überall, das ist der wirtschaftliche Druck. Der muss verschwinden oder
       massiv weniger werden. Man hat zum Beispiel 60 Produktionen im Repertoire
       und die behält man, weil man dieses Abosystem hat. Ich verstehe, dass das
       wichtig ist, weil es einem Haus finanzielle Sicherheit gibt. Aber mir kann
       niemand erzählen, dass man alle drei Monate ohne intensive Nachproben ein
       Stück spielen kann, ohne dass die Qualität verwässert.“ Auch die Angst vor
       schlechten Auslastungszahlen, die sich schon vor der Premiere bemerkbar
       mache, präge die Arbeit viel zu stark.
       
       „Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, mit der Angst ranzugehen: Es
       darf bloß nicht floppen. Überhaupt finde ich es schwierig, einen Flop über
       Auslastungszahlen zu definieren.“ Vielleicht wäre es ein Weg, weniger zu
       produzieren und die Flops länger laufen zu lassen, schlägt er vor. „Die
       Leute, die wirklich gern ins Theater gehen, die sehen sich auch das gerne
       an. Das muss Kunst sich doch erlauben dürfen.“ Ansonsten drohe das, was
       Theater kann, verloren zu gehen: eine andere Art zu denken. „Man kann im
       Theater dieser spröden, zynischen Realität einen verwandelten Raum
       entgegenstellen, eine Gegenwelt, von der man sich gefangen nehmen lassen
       lässt, sodass man Raum und Zeit kurz total vergisst.“
       
       Steffen Siegmund ist derzeit in „Das Ende von Eddy“ zu sehen (Thalia in der
       Gaußstraße, 4./5./16. 2.), im Großen Haus unter anderem in „Tartuffe“
       (8./21. 2.)
       
       26 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Klimpe
       
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