# taz.de -- Patriarch  in  Wartestellung 
       
       > Der derzeitige Vereinspräsident Martin Kind möchte die Stimmenmehrheit
       > bei den Fußball-Profis von Hannover 96 übernehmen. Bei der Deutschen
       > Fußball-Liga hat er darum einen Ausnahmeantrag gestellt
       
 (IMG) Bild: Name: Shahid Khan, hier bei einem Spiel des Fulham FC gegen Arsenal FC London, 2013Besitzer von: Fulham FC (seit 2013)Vermögen (laut Forbes): 7,4 Milliarden Dollar
       
       Von David Joram
       
       Für eingefleischte Fans des Fußballvereins Hannover 96 mag es hart klingen,
       aber die Zukunft des Hannoveraner Fußballs entscheidet sich in diesen Tagen
       zwischen Hildesheim und Großburgwedel. Hier wie dort ist es eher
       beschaulich, dann aber enden die Gemeinsamkeiten.
       
       Zehn Minuten Fußmarsch sind es vom Hildesheimer Hauptbahnhof bis zur
       Osterstraße, vorbei an wenig einladend wirkenden Dönerbuden, Casinos und
       Ramschläden. In einem unscheinbaren Hinterhof liegt die Kanzlei von Ralf
       Nestler, Fachanwalt für Steuerrecht – aber vor allem eine der Hauptfiguren
       im Hannoveraner Machtpoker um die Zukunft des Profifußballs.
       
       Nestler ist ein Mann mit markant-eckigen Gesichtszügen und einer klaren
       Sprache. Einer, der wenig Wert auf Schnörkel legt. Das Besprechungszimmer
       entspricht Nestlers Natur, ein paar Stühle, ein Tisch – viel mehr ist
       nicht. Während der Anwalt noch ein Telefongespräch in seinem persönlichen
       Büro zu Ende führt, bleibt der Blick am Wasserglas hängen. Nestlers
       Mitarbeiterin hat es auf den Tisch gestellt.
       
       Es ist ein grauer Tag im Oktober 2017. Unter der Oberfläche tobt längst ein
       intensiver Kampf um die Macht bei Hannover 96. Nach allem, was geschrieben
       wird, liegt Nestler zurück.
       
       Wenige Minuten verstreichen. Dann nimmt mit Nestler die Person Platz, die
       viele für eine der wichtigsten Figuren bei Hannover 96 halten: Der Mann ist
       hauptberuflich Anwalt, nebenberuflich aber sitzt er im Aufsichtsrat seines
       Lieblingsvereins; dadurch zählt er zum gewählten Kontrollorgan, und
       innerhalb dieses Kontrollorgans zum Widerstand – besonders gegen
       Fußball-Investoren.
       
       Wer sich mit Ralf Nestler einlässt, stellt schnell fest, dass der Anwalt
       ein harter Kontrolleur ist. Dass er auch eine gewisse Liebe fürs Detail
       pflegt, die in seinem Hauptjob wahrscheinlich ratsam ist. Nestler, 52 Jahre
       alt, kann die Fußballgeschichte von Hannover 96 bis in die letzte Ecke
       ausleuchten. Der Unterschied zu anderen 96-Fans und Mitgliedern, die
       dasselbe von sich behaupten, besteht darin, dass Nestler auch die Dinge
       neben dem Rasen genau im Blick behält.
       
       Er nimmt sich Zeit dafür, diese Dinge zu erklären, die seiner Meinung nach
       Hannover 96 schaden: Es geht um Vereinsrechte, Rechte der Mitglieder, des
       Aufsichtsrats, das Hannoveraner Stadion, um Markenrechte, um
       Förderzeiträume, um Finanzen geht es sowieso. Und letztlich geht es um die
       eine, die entscheidende Frage: Darf ein Investor in Deutschland einen
       Fußballklub übernehmen? Für Ralf Nestler ist diese Frage schnell
       beantwortet. „50+1 muss erhalten bleiben“, sagt er. 50+1 ist die Regel, die
       besagt, dass ein Fußballverein die Stimmenmehrheit behält, auch wenn er die
       Profi-Abteilung zu einem eigenen Unternehmen macht und Investoren ins Boot
       holt. Und nein, sagt Nestler, für Hannover 96 dürfe es keine Ausnahme geben
       – weil der Verein die Bedingungen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) nicht
       erfülle. Die DFL, das ist der Schiedsrichter in diesem Machtspiel.
       
       50+1 gilt als letzte Bastion vor Scheichs und Oligarchen, finden
       Befürworter der Regel. Als Schutzwall gegen einen globalen
       Finanzkapitalismus, der längst auch Fußballklubs als lukrative
       Anlagemöglichkeit entdeckt hat. Paris Saint-Germain, AC Mailand, Manchester
       City, überhaupt die englische Premier League – allesamt Spielbälle ihrer
       Eigentümer, mal besser, mal schlechter geführt. Entscheidend aber ist:
       Dort, wo Investoren ihr Geld reinstecken, wollen sie auch entscheiden, was
       passiert.
       
       Das ist in Deutschland anders. Zwar kann ein Investor 100 Prozent der
       Kapitalanteile eines Klubs aufkaufen – die Stimmanteile aber nur zu maximal
       49 Prozent. In Hannover liegen 100 Prozent des Kapitals an der Hannover 96
       GmbH & Co. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) in Investorenhand, aber
       100 Prozent der Stimmanteile beim e. V. – formell gehalten von einer
       100-prozentigen e. V.-Tochtergesellschaft, der Hannover 96 Management GmbH.
       Mittels der Stimmenmehrheit soll gewährleistet sein, dass deutsche
       Profifußballklubs einer demokratischen Kontrolle unterliegen.
       
       Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht ein Mann, der Hannover
       96 ebenfalls verbunden ist: Martin Kind, der Vereinspräsident und
       Deutschlands härtester 50+1-Gegner. Dass er gegen 50+1 ist, gibt er offen
       und oft zu – Kind ist nicht nur Vereinspräsident, er ist in Personalunion
       auch Investor bei Hannover 96, hält die Mehrheit der Aktien an der
       Profi-Abteilung. Doch er strebt nach mehr: Kind möchte endlich auch die
       Stimmenmehrheit haben und dafür die 50+1-Regel kicken, wie es bei
       Werksvereinen wie Bayer Leverkusen oder dem VfL Wolfsburg bereits geschehen
       ist: 50+x für sich selbst.
       
       Kind, 73, hat sein Geld mit einer gleichnamigen Hörgerätefirma verdient,
       Hauptsitz: Großburgwedel, vom Hannoveraner Hauptbahnhof 19
       Regionalbahn-Minuten entfernt. Kind sagt: „Wer sein Geld gibt, will auch
       darüber bestimmen.“ Oder: „Fußballklubs sind Wirtschaftsunternehmen.“ Kinds
       Vermögen wird auf über 600 Millionen Euro geschätzt, auf der vom
       Manager-Magazin herausgegebenen Liste der reichsten Deutschen rangiert die
       Familie Kind derzeit auf Platz 194.
       
       Es ist September, über Großburgwedel scheint die Sonne. Kind schlendert
       durch den Kokenhof, sein restauriertes Hotel, über 450 Jahre alt. Lässig
       wirkt der Hausherr in seiner schwarzen Lederjacke, so gibt er sich auch
       beim Gespräch: entspannt, freundlich. Die Augen huschen aufmerksam hin und
       her, im Innenhof grüßen ein paar wichtig aussehende Menschen, zwischendurch
       kommt 96-Manager Horst Heldt an den Tisch, Hände werden geschüttelt, man
       tauscht sich kurz aus. Dann spricht Kind wieder über Hannover 96, „über die
       Marke 96“ – und darüber, warum der Profifußballbetrieb von der 50+1-Regel
       abgekoppelt werden sollte. Für Hannover 96, findet Kind, sei das ohnehin
       die beste Lösung; sie verspreche neue Millionen, mit denen man
       konkurrenzfähig bleibe. Kind geht davon aus, dass er eine Ausnahme von der
       50+1-Regel für 96 erreichen kann – theoretisch ist das möglich.
       
       In gewisser Weise ähnelt Kind seinem Gegenspieler Ralf Nestler. Auch er
       wirkt kantig, klar im Ausdruck. Wenn er seinen Argumenten Nachdruck
       verleihen will, haut er mit der Hand leicht auf den Tisch. Ansonsten:
       sachlich, ein Kopfmensch, einer, der gern die Kontrolle hat.
       
       Derzeit allerdings vermehren sich die Anzeichen, dass Kind in Sachen 50+1
       die Kontrolle entglitten ist. Im Duell zwischen ihm und Nestler, zwischen
       dem 50+1-Abschaffer und dem -Befürworter, ist seine letzte Hoffnung der
       Schiedsrichter: die Deutsche Fußball-Liga. Den Ausnahmeantrag, den Kind bei
       der DFL eingereicht hat, muss sie bewerten. Und dann entscheiden: für Kind
       oder gegen Kind.
       
       Klar ist: Nach den internen DFL-Richtlinien, die der taz vorliegen, erfüllt
       Kind die Kriterien zur Aufhebung der 50+1-Regel nicht. Er hat über 20 Jahre
       hinweg zu wenig in die Hannoveraner Profifußball-KGaA investiert. Über 60
       Millionen Euro hätten es wohl sein müssen. Die Summe berechnet sich nach
       den Zahlungen, die der jeweilige Hauptsponsor pro Jahr für Trikotwerbung
       leistet. Mindestens so viel hätte auch Kind jährlich in den Profibetrieb
       stecken müssen, in Hannover also etwa drei bis vier Millionen Euro. Das
       haben die Hauptsponsoren dem Klub gebracht – Kind hat vor allem sein
       strategisches Geschick walten lassen. Auch damit habe er 96 ja gefördert,
       argumentiert der 73-Jährige.
       
       1997 kam Martin Kind als Sanierer zum Verein Hannover 96, der vor der
       Insolvenz stand. Eine ausgegliederte Profifußball-KGaA gab es noch nicht,
       die gründete Kind erst wenig später. Das Kapital stellten verschiedene
       vermögende Hannoveraner Geschäftsmänner wie der Finanzunternehmer Carsten
       Maschmeyer oder der Drogerieketten-Besitzer Dirk Roßmann bereit – und
       natürlich Kind selbst. Investiert wurde aber nie mehr als nötig.
       
       Das wird Kind nun zum Verhängnis, laut taz-Informationen tendiert die DFL
       dazu, Kinds Antrag abzulehnen. Ursprünglich hätte die Entscheidung der DFL
       bis zum 31. Dezember 2017 fallen sollen, dann schien im Januar eine
       Verkündung möglich. Nun, so heißt es aus DFL-Kreisen, wird wohl im Februar
       mit einer Verkündung gerechnet.
       
       Es scheint, als habe Hildesheim gegen Großburgwedel in der Nachspielzeit
       doch noch gewonnen. Aber wer weiß, vielleicht steht auch noch ein
       Elfmeterschießen an. Offenbar ist im Fußball alles möglich.
       
       27 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Joram
       
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