# taz.de -- Bildpredigt oder:Am Anfang war das Licht
       
       > Ist das ein Gottesdienst? Ein Film? Oder eine Hommage an Pier Paolo
       > Pasolini?Der Theaterregisseur Kay Voges inszeniert in Stuttgart „Das 1.
       > Evangelium“
       
 (IMG) Bild: Bei Kay Voges hagelt es Bildsplitter. Das Raumkonstrukt des Stuttgarter „1. Evangeliums“
       
       Von Judith Engel
       
       Es passiert permanent alles gleichzeitig. Der Schauspieler Manolo Bertling
       setzt sich einen Schuss. Nebenan wird ein Caravaggio-Gemälde nachgestellt.
       Eine junge Frau im Manga-Look schwenkt etwas, das dem Schweißtuch der Maria
       gleicht. Ein Engelstatist steht unter einer Palme. Und gleichzeitig wird in
       den unterschiedlichen Kulissen Pier Paolo Pasolinis Filmklassiker „Das 1.
       Evangelium“ gedreht, mit Paul Grill in der Rolle des Regisseurs und
       Julischka Eichel als weiblicher Jesusbesetzung.
       
       „Wenn zwei Bilder aufeinandertreffen, entsteht ein Drittes, eine andere Art
       zu sehen“, sagte einmal der Filmemacher Jean-Luc Godard. Der
       Theaterregisseur Kay Voges, könnte man meinen, hat diesen Satz
       radikalisiert. In seiner Adaption des „1. Evangeliums“, die am Freitag im
       Stuttgarter Schauspiel Premiere feierte, hagelt es Bildsplitter. Er lässt
       nämlich zwei Instanzen der Bildproduktion kollidieren, die unser visuelles
       Vokabular maßgeblich beeinflusst haben: Christentum und Kino. Und das
       verschnürt er noch durch die Fragen: Was ist ein Bild? Glaube ich, was ich
       sehe, oder sehe ich, was ich glaube?
       
       In Zeiten von Fake News erscheinen diese Fragestellungen aktuell. Doch im
       Streit ums Bild spiegelt sich auch ein alter philosophischer Konflikt, der
       von den trügerischen Schattenbildern in Platons Höhle über das christliche
       Darstellungsverbot im byzantinischen Bilderstreit bis hin zu
       filmtheoretischen Überlegungen der Moderne reicht. Bis heute erscheinen die
       Reaktionen auf eine von Bildern dominierte mediale Dauerberieselung
       polarisiert: Entweder gilt das Bild als Wirklichkeitszeugnis schlechthin,
       oder es wird vehement vor seiner manipulativen Gefahr gewarnt.
       
       Weihrauchwolken und sakrale Beschallung, die einen im Zuschauerraum
       empfangen, lassen allerdings zunächst vermuten, dass in dieser Inszenierung
       jeder aufklärerische Ansatz dem Format der Predigt unterworfen ist. Rahel
       Ohm in der Rolle des Erzengels Gabriel erscheint als Projektion auf einer
       riesigen Leinwand, die das Theater zum Kino macht. „Am Anfang war das
       Licht“, spricht ihr Bild, das sich aus unzähligen projizierten Lichtpunkten
       zusammensetzt. So webt die Inszenierung gleich zu Beginn Kino und
       Evangelium zusammen. Denn Gott ist Licht, ohne Licht kein Leben, ohne Licht
       kein Kino. Und, um den Kreis zu schließen, „Leben ist Film“, folgt man
       einem Zitat Rolf Dieter Brinkmanns im Programmheft.
       
       Die Poesie wird jäh unterbrochen von einer zeitgenössischen Interpretation
       Marias, gespielt von Marietta Meguid, die als Reality-TV-Ikone ein
       Plastikbaby zwischen Wohnwagentrailer und Junkie-Gatte gebiert. Mit einem
       lauten „Cut“ hebt sich die Kinowand und gibt den Blick auf die Bühne frei,
       vielleicht auch den Blick hinter das Bild? Nein.
       
       Kay Voges, das wird schnell deutlich, beharrt auf der Unmöglichkeit, hinter
       dem Bild eine höhere Wahrheit zu entdecken. Sichtbar gemacht werden können
       dagegen die Modi der Bildproduktion. So dreht sich auf der Bühne ein
       Raumkonstrukt verschiedener Filmsettings, das wie eine komprimierte
       Hollywoodversion wirkt: Zwischen Palmen ein Wohnwagentrailer, römische
       Säulen, eine Blackbox, Neonschriftzüge, eine David-Lynch-inspirierte Bar
       namens „Paradise“ und vier Projektionsflächen, die in, über und hinter dem
       Bühnenbild hängen.
       
       Die Bilder in dieser Inszenierung sind nie allein, man sieht immer
       mindestens auf drei Ebenen gleichzeitig und nie alles. Diese Inszenierung
       ist nicht nur Film im Film, sondern ein Theaterstück über die Produktion
       eines Filmes, der als Evangeliumsadaption selbst Erzählung über die
       Fleischwerdung einer religiösen Idee ist, also gewissermaßen Ur-Mythos der
       Bildwerdung. Es gibt kein Außerhalb des Bildes, sondern nur weiteres Bild
       im Bild.
       
       Die Schauspielenden hasten durch die Settings, und das „1. Evangelium“ wird
       zum Genresalat von Splattermovie bis Historienschinken. Dass das Machen
       von Bildern immer auch Geste der Macht des Machenden ist, zeigt sich, wenn
       Julischka Eichel als Jesus bei der Verkündung absoluter Gebote wie „Seid
       vollkommen, weil euer Schöpfer vollkommen ist“ zur Fratze wird und die
       ganze Bühne in stroboskopartiger Rammsteinkonzertatmosphäre erstarrt, weil
       neben der Forderung an ein vollkommenes Bild kein anderes Bild mehr Platz
       hat.
       
       Am Ende steigt Julischka Eichel, von Zweifeln an ihrer Rolle geplagt, als
       Jesusdarstellerin aus. Kay Voges’ Inszenierung ist in ihrem dialektisch
       formulierten Anliegen sehr entschieden. Wäre das wirklich eine Predigt,
       würde sie vielleicht so enden: Bilder sind Welt. Nicht an Bilder zu glauben
       heißt, nicht an die Welt zu glauben. Glaubt an Bilder statt an eine
       Wahrheit hinter dem Bild, aber glaubt zweifelnd mit dem Wissen, dass jedes
       Bild ein gemachtes ist.
       
       22 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judith Engel
       
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