# taz.de -- Revolutionsfunke aus dem Heizkessel
       
       > Ausgehend von Ernst Tollers historischem Schauspiel „Feuer aus den
       > Kesseln“ erinnertdie Landesbühne Niedersachsen Nord an die
       > Matrosenaufstände in Wilhelmshavenund Kiel vor 100 Jahren: der Auftakt
       > zur Novemberrevolution 1918
       
 (IMG) Bild: Matrosen voller Pathos vs. schablonenhafte Befehle-Brüller: mitunter wird Regisseur Michael Uhl überdeutlich
       
       Von Jens Fischer
       
       Stell dir vor, es ist Krieg – und du darfst nicht mitspielen. Darunter
       leiden die Helden in Ernst Tollers Drama „Feuer aus den Kesseln“, das in
       Wilhelmshaven als Zeitdokument ausgegraben wurde. Es fokussiert Proletarier
       im Bauch der kaiserlichen Marine und Matrosen an den Geschützen, die
       allesamt noch infiziert sind von der blinden Kriegsbegeisterung des Jahres
       1914. Ihr Auftrag: Warten auf den Feind.
       
       Es gibt zwar einen Tag Seegefecht auf der Doggerbank, zwei Tage Seeschlacht
       am Skagerrak. Ansonsten aber: nichts zu tun. Denn trotz großer Verluste –
       jeweils gut ein Dutzend Schiffe sowie 6.200 Tote auf englischer, 3.500 Tote
       auf deutscher Seite – hat sich nichts an der Nordsee-Blockade durch die
       Royal Navy geändert. Kriegstüchtig, aber kriegsunwichtig wird die
       Hochseeflotte vor Wilhelmshaven geparkt.
       
       Der Besatzung Langeweile gilt es durch Probealarme, Gefechtsübungen und
       Exerzier-Drill zu begegnen. Wobei die Offiziere mit demütigendem Verhalten
       darauf achten, dass das Empörungsniveau nicht die Grenze für mögliche
       Widerstandshandlungen überschreitet. Da aber auch die Ernährungslage der
       Mannschaften immer mieser wird, während die Offiziere weiterhin schlemmen
       und Champagner saufen, entlädt sich im Spätsommer 1917 „die Wut über die
       Untätigkeit, die schlechte Qualität des Essens und die herablassende
       Behandlung“ in Streiks und Ausmärschen, wie Stephan Huck, Leiter des
       Wilhelmshavener Marinemuseums, zusammenfasst.
       
       Aber nicht sozialrevolutionäre Ziele hätten im Vordergrund gestanden,
       sondern „aus einer konkreten Alltagssituation heraus geborene Proteste“
       sich „eine politische Heimat gesucht“. Angedockt wird beispielsweise an die
       SPD als Vertreter der urdeutschen Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung oder die
       frisch abgespaltete sozialistische Variante USPD. Und so erheben sich bei
       Toller aus der „durchhalten, aushalten, Maul halten“-Anspannung erste
       prollig kernige Monologe voller Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit-Raunen –
       und Morgenröten, die zum frühen Tod leuchten. Zwei Rädelsführer der
       Gehorsamsverweigerer werden als Meuterer hingerichtet. In Russland ist Zeit
       für die Oktoberrevolution.
       
       Tollers Drama blendet sich dann so langsam aus, auf der Wilhelmshavener
       Bühne aber wird weiter Geschichtsunterricht erteilt über die Folgen des
       Aufstands, der dieses Jahr 100. Jubiläum feiert: Am 29. Oktober 1918 nehmen
       die Heizer das Feuer aus den Kesseln der Kriegsflotte. Kollektiv verweigert
       die Besatzung den Wahn der Marineleitung, sich nie zu ergeben, sondern in
       eine Seeschlacht auszulaufen. Motto: „Wir verfeuern unsere letzten 2.000
       Schuss und wollen mit wehender Fahne untergehen.“ Ein Selbstmordkommando –
       während die Reichsregierung bereits über Waffenstillstand verhandelt.
       
       Eine Parolengischt aufschäumende Solidaritätswelle von Matrosen, Arbeitern
       und Soldaten ließ nun nicht nur Forderungen nach Frieden und Brot, sondern
       auch nach vollständiger Koalitions-, Versammlungs-, Rede- und
       Pressefreiheit aufkommen. Vom Arbeiter- und Soldatenrat Wilhelmshaven wurde
       der Oldenburgische Großherzog für abgesetzt, die Sozialistische Republik
       Oldenburg/Ostfriesland für existent erklärt – und der Aufstand nach Kiel,
       nach Berlin exportiert. Ratzfatz war die Monarchie Wilhelms II. abgeschafft
       und die parlamentarische Demokratie eingeführt. Weimarer Republik.
       
       Dass in Wilhelmshaven die Initialzündung von so nationalgeschichtlicher
       Bedeutung entflammte, ist in der Stadt kaum präsent. Das Marinemuseum will
       ab 27. Mai mit der Sonderausstellung „Die See revolutioniert das Land“
       darüber informieren. Noch 2015 wurde aber lieber ein großes Bismarckdenkmal
       aufgestellt statt einen Erinnerungsort für die Opfer ihrer
       Friedenssehnsucht an prominenter Stelle zu schaffen – einen Gedenkstein
       gibt es bisher nur auf dem Ehrenfriedhof.
       
       Regisseur Michael Uhl widmete sich Tollers Agitpropstück im erhitzten Tempo
       der politischen Umwälzungen und legt passend einen im Maschinenrhythmus
       tuckernden Soundtrack darunter. Das mit dem Pathos des Librettos und ihrer
       Physis sich famos verausgabende Schauspieler-Sextett kehrt beeindruckend
       die Atmosphäre inneren Rumorens nach außen. Es gelingt eindrücklich, die
       vom Marinemuseumschef definierte Motivation des Aufstands zu verdeutlichen.
       
       Zu linear nacherzählt
       
       Aber nicht, Charaktere zu entwickeln. So scheitert auch der erklärte
       Versuch des Regisseurs, der Admiralität und den Offizieren ideologiefrei
       Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Sie sind meist nur als eiskalt
       martialische Machtmenschen und peinvolle Befehle-Brüller zu erleben. Das
       inhumane Gehorsamsprinzip wird überdeutlich zu einem antimilitaristischen
       Statement. Die Fortsetzung der Wilhelmshavener Geschichte im Kieler
       Matrosenaufstand hängt Uhl schlaglichtartig an, zeigt einen
       Sozialdemokraten, Günter Noske, der mit Amnestieversprechen den
       revoluzzernd hochkochenden Stimmungspegel senkt und zur SPD-Machtergreifung
       nutzt, während die Matrosen noch rote Laken auf der Bühne wedeln und die
       Internationale schmettern.
       
       Die lineare Nacherzählung von Historie wird zwar immer wieder
       expressionistisch überhöht, aber nie ästhetisch oder inhaltlich
       aufgebrochen, um Gedankenfäden auszulegen. Beispielsweise mal grundsätzlich
       zu gucken, wann gesellschaftliche Gruppen vom passiven zum aktiven
       Widerstand wechseln, oder noch anzudeuten, wie sich aus dem sozialistischen
       der nationalsozialistische Aufbruch entwickelte.
       
       Sehr hübsch aber funktioniert Uhls heimatgeschichtlicher Prolog: der
       Gründungsmythos des Kriegshafens. Ein friesisch herbes Moin ist das erste
       Wort, das ins Publikum fällt. Kohle-Simulationen und Tische liegen auf der
       Bühne. Die Marseillaise weht zur Einstimmung vorüber, „gegen Demokraten
       helfen nur Soldaten“ ist zu hören. Das Meer wird als Metapher der Freiheit
       beschworen, über die Nationalversammlung in Frankfurts Paulskirche
       geplauscht und der aggressive Expansionsgeist des Hohenzollern-Reiches
       verkündet:
       
       Es gilt aufzurüsten, eine Flotte muss her, um die Briten angreifen zu
       können. Ihren Hafen kaufen die Preußen am Jadebusen den Oldenburgern ab.
       Schon schippen die Naturburschendarsteller Kohle darstellende Requisiten
       und stapeln die Tische zu einem Hafenwall, der sich auch prima als
       Schiffsrumpf und Perkussionsinstrument nutzen lässt. Ein sehr praktikables
       Bühnenbild für zwei drangvolle Lehrstunden. Das Premierenpublikum war so
       begeistert, dass im ausverkauften Haus Bravo gerufen und im
       Militärmarschrhythmus applaudiert wurde.
       
       Nächste Aufführungen: Mo, 22. 1., 19.30 Uhr, Theater an der Blinke, Leer;
       Mi, 24. 1., 19.30 Uhr, Stadthalle Aurich; Do, 25. 1., 20 Uhr, Schulzentrum
       Brandenburger Straße, WittmundAlle Termine: landesbuehne-nord.de
       
       20 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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