# taz.de -- zwischen den rillen: Nächtliche Streifzüge durch den Sound
       
 (IMG) Bild: Hello Skinny: „Watermelon Sun“ (Brownswood/Rough Trade)
       
       Skinny sieht etwas. Jede Nacht, während er, sein abgeknicktes Bein hinter
       sich herziehend, die Straßen der Großstadt durchstreift, sieht er etwas.
       Skinny, dessen schmächtiger Körper sich mit der Spitze einer Pipette
       aufsaugen ließe und dessen Augenringe sich wie Schluchten unter seinen
       Augäpfeln auftun. Skinny, der diesen schwitzig-abgemagerten Heroin-Chic
       pflegt und in seiner ramponierten Gestalt an William S. Burroughs erinnert.
       
       Begleitet werden seine nächtliche Streifzüge von einem unheimlich
       klingenden Klarinetten-Thema, das treffsicher immer dann einsetzt, wenn
       sich die Nackenhaare aufzustellen beginnen – zum Beispiel als Skinny einen
       scheinbar beiläufig am Straßenrand abgelegten Unterleib mit Wasser aus
       einem Gehstock bespritzt. Die groteske Szenerie entstammt einem Video der
       Residents, jener obskuren nordkalifornischen Dada-Band der späten 1960er
       Jahre, aus deren Feder das sicherlich entrückteste Cover zum
       Stones-Klassiker „(I can’t get no) Satisfaction“ stammt. Und „Hello Skinny“
       heißt auch der Track, der obiges Szenario untermalt und dem sich nicht
       zuletzt Tom Skinners Pseudonym verdankt.
       
       Skinner ist umtriebig. Als Schlagzeuger taucht er in nahezu allen
       spannenden Londoner Jazz-Projekten der letzten Jahre auf, unter anderem in
       der Owiny Sigoma Band, bei den Sons Of Kemet und auch den großartigen Melt
       Yourself Down. Letzten Endes war es also lediglich eine Frage der Zeit, bis
       Skinners Drums auf Gilles Petersons Trommelfelle treffen würden. Dessen
       Affinität für Afrobeat, Jazz und – mehr oder weniger – jedwede Form
       elektronischen Dancefloors offenbart sich nicht nur in seiner
       wöchentlichen Sendung bei Radio BBC, sondern findet vor allem auf seinem
       eigens zum Frönen der musikalischen Vorlieben gegründeten Brownswood Label
       eine Plattform. Dort veröffentlicht Peterson alles, was sich nur schwer in
       Genrekonventionen einpassen lässt. Nun also Skinners zweites Soloalbum als
       Hello Skinny.
       
       ## Fragil, gläsern und unnahbar
       
       Ein weiterer Name, der in diesem Kontext fallen muss, ist Shabaka
       Hutchings, dessen charakteristisches Klarinetten- und Saxofonspiel weite
       Teile von „Watermelon Sun“ koloriert. Es zieht viel Inspiration aus Mulatu
       Astatkes Vision von Ethio-Jazz: kurze, scharfkantige Melodiesplitter, die
       immer wieder unvermittelt auftauchen, durch den Raum wirbeln und nach und
       nach das gesamte musikalische Gerüst in eine Art strudelnde Bewegung
       versetzen, um dann wie UFOs blitzschnell wieder im Nirgendwo zu
       verschwinden („Watermelon Sun“).
       
       Dem entgegnet Skinner mit ähnlich hart konturierten Beats – hier schwingt
       die rohe Kraft von Chicago-Acid-House-Tracks mit („Mr. P.Z.“, „Coda“), da
       das hypernervöse Getrappel von Footwork („Rashad“, das getrost als Hommage
       an die 2014 verstorbene Chicagoer DJ-Ikone verstanden werden kann). Und
       mehr noch: Wie in der Ferne, hinter der von Körperausdünstungen
       beschlagenen Fensterscheibe des Clubs, verbirgt sich ein Anklang queerer
       Sexualität – diese enthüllt dahinrumpelnden Beats sind in ihrer cruisenden,
       körperlichen Motorik ziemlich sexy. Sie erinnern darin an Arthur Russells
       Proto-Disco-Projekte, allen voran Dinosaur L und Loose Joints, deren
       knochiger Funk einen ganz ähnlich aufgeladenen Vibe versprühte.
       
       Und auch die Referenz zu den Residents scheint nicht willkürlich gesetzt:
       Denn bei aller Kraft wirkt das gesamte Gebilde zugleich fragil, fast
       gläsern und unnahbar. Die Stimmung auf „Watermelon Sun“ wird von einer
       schwelenden und bedrückenden Leere tingiert, als stecke da etwas
       Unartikuliertes in der Tiefe des Raums.
       
       Skinner sieht etwas. „Watermelon Sun“ verdeutlicht, dass hier an einer
       musikalischen Idee gewerkelt wird, die sukzessive an Struktur gewinnt. Wo
       es dem Debüt streckenweise noch an Kohärenz mangelte, scheint hier – mit
       Ausnahme der Gesangslinien auf „Signs“– alles zusammenzuspielen. Es bleibt
       der Cliffhanger zum nächsten Album.
       
       Robert Henschel
       
       5 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Henschel
       
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