# taz.de -- Spanien und seine Feste: Im Gewühl mit dem Maurentöter
       
       > Jedes Jahr im April feiert die spanische Stadt Alcoy die Reconquista, den
       > Kampf zwischen Christen und Mauren. Ein Fest, bunt, laut, beliebt,
       > identitär.
       
 (IMG) Bild: Der Einzug einer christlichen Fila, Gruppe im Stadtzentrum von Alcoy.
       
       Nach dem vierten Glas Plis Play, einer speziellen, gewöhnungsbedürftigen
       Alcoyer Mischung aus Kaffee und Likör, lässt sich nicht nur das Gedränge
       hinter der Absperrung, sondern auch der Lärm ertragen. Unterschiedliche
       Orchester mischen sich zu vielstimmigen Quodlibets und irgendwann schwingt
       der Körper kollektiv mit zum Paso-Doble-Rhythmus.
       
       Von überall in Spanien sind die Menschen ins Hinterland von Alicante
       gekommen. Sie sitzen auf reservierten Stühlen am Straßenrand, lassen sich
       von der Menge treiben oder winken von Balkonen und Fenstern. Mann trägt
       schwarze Plastiksonnenhüte, legere Anzüge, Frauen in kurzen, engen Röcken,
       hohe Pumps. Ausgehstimmung in Alcoy: Es wird getanzt, gejubelt, getrunken.
       Die Kinder naschen Zuckerwatte und Eis.
       
       Die spanische Stadt Alcoy in der Provinz Alicante feiert alljährlich im
       April die Vertreibung der Mauren, das Fest „Moros y Christianos“, Mauren
       und Christen. 28 Gruppen (Filàs), 14 christliche und 14 maurische mit rund
       je 40 Akteuren, haben dafür das ganze Jahr geprobt, Kostüme entworfen,
       geplant. Die christlichen Gruppen heißen Cruzados, Muntanyesos oder auch
       Gusmans, die maurischen Marrakesch, Mudéjares oder Berberiscos.
       
       Das jährlich im April stattfindende Fest ist eine Mischung aus
       Fronleichnam, Karneval, Heiligenverehrung Frühlingsanfang und
       Räuber-und-Gendarm-Spiel. Es ist Komödie, Verkleidung, Trachtenfest, Musik,
       Feuerwerk und politisch vollkommen inkorrekt.
       
       ## Die Pracht der Mauren
       
       „Das stimmt nicht“, sagt der Priester von Alcoy Manuel Gierno Bermejo im
       Präfektorium der Kirche Santa Maria. Er ist hier geboren, hat das Fest
       sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Damit der martialisch als
       Matamoros dargestellte Sant Jordi, der heilige Georg, nicht gar so
       drastisch wirkt, habe man die abgeschlagenen Köpfe der Mauren zu Füßen
       seiner Statue pietätvoll mit Blumen bedeckt, sagt der Priester. „Nein,
       nein, wir respektieren alle Religionen, aber die Geschichte war nun mal so.
       Es gab irgendwann einmal die Kritik eines Imams“, sagt er. Aber letztlich
       würden die Mauren ja mindestens genauso prächtig wie die Christen
       dargestellt. Das zeuge doch von Respekt.
       
       Das Fest der Mauren und Christen kann auf eine lange Tradition
       zurückblicken: Es wurde bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts in barocken
       Theateraufführungen am Königshof dargestellt und dann auf den Straßen
       nachgespielt. Es stellt die Kämpfe der maurischen und christlichen Truppen
       während des 13. Jahrhunderts um die Oberherrschaft in Spanien nach. Heute
       wird die Vertreibung der Mauren vor allem in den Provinzen von Alicante und
       Valencia gefeiert. Die Rückeroberung dauerte bis zum Fall der letzten
       maurischen Bastion Granada im Jahr 1492.
       
       Das Spektakel beginnt mit dem Einzug der beiden Heere in die Stadt. An fast
       jedem Balkon prangt das rote Kreuz auf weißem Grund zu Ehren von Sant
       Jordi. Die Zuschauer auf den Straßen, Balkonen und Fensterbänken jubeln den
       mehr als 5.000 Personen zu, die heute kostümiert durch die Straßen ziehen.
       Eigentlich reine Männermachtdemonstration, allerdings nehmen dieses Jahr
       auch zwei Frauengruppen teil. Es sind Hexen und Heilerinnen, wie es damals
       eben war vor rund 500 beziehungsweise 800 Jahren. Sexy Outfit, struppige
       Haare und dazu eine einstudierte Performance – sie machen was her, die
       Frauengruppen in diesem historischen Verkleidungsspiel.
       
       ## Die Gnade des Schutzheiligen
       
       Geharnischte Christen in Kettenhemden und Mauren in manchmal
       türkisch-opernhaft anmutenden knallbunten Pluderhosen, Turbanen, angeführt
       vom jeweiligen Kapitän. Die Anführer der maurischen oder christlichen
       Truppen beherrschen die Kunst der spanischen Reitschule perfekt. Sie haben
       dennoch Mühe, ihre nervösen Rösser im Pasa-Doble-Schritt durch die
       jubelnde, unruhige Menge zu lenken.
       
       Was wäre der Sieg der Christen ohne die Gnade eines Schutzheiligen, ohne
       ein göttliches Wunder. Das Fest findet auch zu Ehren des heiligen
       Schutzpatrons im historischen Zentrum Alcoys auf der zentralen Plaza de
       España statt. Dort wird Sant Jordis, katalanisch für Heiliger Georg,
       gedacht. Er, so sagt es die Legende, kam den Christen im Kampf gegen die
       Mauren zu Hilfe. Sein Eingreifen führte die christlichen Heere zum Sieg,
       und das, obwohl die arabischen Truppen zahlenmäßig weit überlegen waren.
       Georg der Drachentöter wurde in der spanischen Erzählung einfach zum
       Maurentöter: Matamoros. Ein bis heute durchaus üblicher Familienname in
       Spanien, an dem kaum jemand Anstoß nimmt. Glorreiches christliches Spanien!
       
       Tatsächlich aber sind die Gruppen der Mauren besonders beliebt. „Die sind
       so kleidsam“, kichert die junge Frau am Straßenrand, die sich gerade für
       ihren Einsatz im Umzug schminkt, im durchsichtigen Schleier und wallenden
       Gewand als Braut eines Moros-Anführers. Auch die marokkanische Familie in
       der Menge stört sich wenig daran; „Die machen ihr Ding, wir machen
       unseres“, sagt der Vater .Wenn Sant Jordi, dargestellt von einem
       sechsjährigen Jungen, durch die Straßen zieht, werden rote Nelken von meist
       gerührten älteren Damen in der Calle Santo Lorenzo geworfen. Sant Jordi
       wird von einem sechsjährigen Kind dargestellt. Das unterstreicht die
       Unschuld des Sant Jordi Matamoros, der den Mauren die Köpfe abschlug. Für
       den einmaligen Auftritt des Jungen müssen seine Eltern stolze 25.000 Euro
       berappen.
       
       Es ist auch das Fest der Honoratioren von Alcoy. Wer etwas auf sich hält in
       dieser einst wichtigsten Industriestadt Spaniens, ist Mitglied einer Filà.
       Das ist nicht billig: 800 Euro zahlt das einfache Mitglied. 60.000 Euro der
       Kapitän von Christen oder Mauren. „Das ist eine Art Umverteilung“,
       behauptet Jorge Linares, selbst Aktivist der Filà Realistas. Der Reichtum
       der Wenigen komme so der Gesamtheit der Stadt zur Ausrichtung der
       Festlichkeit zugute. Oder die Alcoyer Bourgeoise feiert sich hier selber.
       Hauptsache Party!
       
       6 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Edith Kresta
       
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