# taz.de -- IOC-Entscheidung zum Dopingskandal: Russland ortet überall Feinde
       
       > Nur keine Reue zeigen und auch kein Fehlverhalten zugeben. Das scheint in
       > Russland die Devise zu sein. Schuld sind Feinde im Westen.
       
 (IMG) Bild: Die IOC-Strafe trifft auch Witalij Mutko, Russlands stellvertretenden Ministerpräsident und Präsident des Russischen Fußballverbandes
       
       Moskau taz | Russland hatte zwar mit einer [1][scharfen Entscheidung des
       IOC] im russischen Dopingskandal gerechnet. Dass das Urteil indes so hart
       ausfällt, überraschte Moskau. Niemand hatte erwartet, dass auch hochrangige
       Politiker, die als Sportfunktionäre wirkten, mit zur Rechenschaft gezogen
       würden. Das ist der politischen Kultur Russlands fremd.
       
       Vizepremier Witalij Mutko wurde auf Dauer von Olympischen Spielen
       ausgesperrt. Auch der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees,
       Alexander Schukow, wurde vom IOC erst einmal zusammen mit dem russischen
       Verband beurlaubt.
       
       Als Schukow in Lausanne vor die russische Presse trat, war ihm anzusehen,
       wie ihn die Entscheidung getroffen hatte. Statt im Stil russischer Medien
       mit antiwestlicher Hetze die Vorwärtsverteidigung anzutreten, korrigierte
       er falsche Berichte russischer Journalisten. Die russische Delegation sei
       ausführlich vom IOC angehört worden und hätte auch Zeit gehabt, den
       offiziellen Bericht der Schmid-Kommission vor dem Treffen zu lesen.
       
       Der Nachrichtenkanal Rossija24 hatte das Gegenteil behauptet, um die
       vermeintliche Verschwörung der Welt gegen Russland in Szene zu setzen.
       Schukow korrigierte und auch Ehrenolympier Witalij Smirnow, der der
       dreiköpfigen russischen Delegation angehörte, die um Gnade bitten sollte,
       rückte die Falschmeldungen mehrmals zurecht. Wohlverhalten war angesagt.
       
       An der Heimatfront bei Rossija24 nahm der Moderator die Aufrichtigkeit der
       Funktionäre mit Befremden auf. Es passte nicht zum politischen Kurs und den
       eingeladenen Gästen. Darunter befand sich auch der olympische
       Ehrenpräsident Leonid Tjagatschew, der über die „vielen bedeutenden
       Sportler Russlands“ in der Vergangenheit klagte, als würden sie
       regelwidriges Verhalten rechtfertigen.
       
       ## Angeblich eine Kampagne des Westens
       
       Auch Senator Igor Morosow von der Putin-Partei schlug in dieselbe Kerbe. Er
       sah einen hybriden Krieg des Westens am Werke, der jenseits des Ozeans
       entfacht würde. Ein gängiges Synonym inzwischen für „unsere amerikanischen
       Partner“. Morosow verknüpfte auch die Aufdeckung der vermeintlichen
       Doping-Affäre mit der anstehenden Wiederwahl Präsident Wladimir Putins im
       März, die der Westen verhindern wolle. Ein geläufiges Argument, das
       übersieht, wie lange sich der Doping-Skandal schon hinzieht. Nicht zu Letzt
       auch ignoriert, mit welcher Nachsicht das IOC ersten Verdachtsmomenten
       begegnete.
       
       Der Curling-Verbandschef, Dmitri Swischtschew, schlug vor, die IOC
       Entscheidung anzufechten, da „sie über das Schicksal einer ganzen
       Generation von Sportlern und Trainern bestimmt“.
       
       Senator Franz Klinzewitsch wetterte unterdessen, „große Nationen fahren
       nicht inkognito zu Olympia“. Moskau darf nicht unter der Trikolore, sondern
       lediglich als „Mannschaft russischer Sportler“ antreten, verfügte das IOC.
       
       Alle Befragten sahen darin eine bewusste Erniedrigung Russlands. Nicht ein
       Vertreter fand sich unter den Gästen, der es wagte, an den Grund der IOC
       Entscheidung zu erinnern.
       
       ## Nur nichts zugeben
       
       Russland ortet überall Feinde. Wie beim Krieg in der Ostukraine streitet es
       grundsätzlich alles ab. Zugeben hieße Schwäche zeigen. Landesgröße und
       Goldmedaillen erlaubten es Moskau jedoch, eigene Vorstellungen
       durchzusetzen und anderen Vorschriften zu machen, davon sind viele in
       Russland überzeugt.
       
       Wie absurd die Verschwörungstheorien in russischen Köpfen wirken, belegt
       der Fall des ehemaligen Leiters des russischen Anti-Dopinglabors, Grigori
       Rodschenkow. Der setzte sich in die USA ab und dient der Aufklärung als
       Kronzeuge. Er sei ein „Trojanisches Pferd“, eine „Marionette unserer
       Gegner“, die der Westen Russland untergejubelt hätte, meinte ein
       Funktionsträger. Kurzum: „Wir sind nicht schuld“, wollte dieser sagen.
       
       In der nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre ist Einsicht nicht zu
       erwarten. Fußvolk und politische Hinterbänkler überbieten sich gegenseitig.
       
       Die hochrangigen Vertreter überholten das Volk an Wahnvorstellungen
       bereits. So kamen aus dem Kreml kurz vor der IOC Sitzung moderatere Töne:
       man wolle die Rechte der Sportler nicht einschränken und ein Boykott werde
       nicht erwogen, meinte Putins Presssprecher Dmitri Peskow.
       
       Sehr viele Menschen sind aufgebracht, enttäuscht und für Fakten kaum
       zugänglich. Der Grund ist einfach und kompliziert zugleich. Der russische
       Staat erkennt sie weder als Bürger noch vollwertige Individuen an. Erst
       über die Verbindung mit dem Kollektiv erhält das Individuum in Russland
       eine Identität. Die Entscheidung des IOC, sie nicht unter einer Flagge und
       Hymne antreten zu lassen, beraubt sie dieser Möglichkeit.
       
       6 Dec 2017
       
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