# taz.de -- Das koloniale Grauen
       
       > Eine neue Sprache finden: In der Reihe „Das Milieu der Toten“ hat das
       > Humboldt Forum das Nachleben der Sklaverei und die Lücken der Archive in
       > den Blick genommen
       
 (IMG) Bild: Impression eines Skandals: In seinem Gemälde „Das Sklavenschiff“ aus dem Jahr 1840 hielt William Turner den Massenmord an versklavten Afrikanern fest
       
       Von Daphne Weber
       
       Ein Vorhang schwappt vor und zurück. Er verändert die Sichtbarkeit in der
       schneckenförmigen Arena, die das Humboldt Forum zusammen mit der Mobilen
       Akademie Berlin in der Kulturkirche St. Elisabeth aufgebaut hat. Durch den
       Vorhang lassen sich Zuschauer*innenhälften abtrennen, verdecken und
       sichtbar machen. Einschließen. Ausschließen. In der Mitte befindet sich ein
       Podium, auf dem an diesem Dienstag im Rahmen der Reihe „Das Milieu der
       Toten“ die US-amerikanische Professorin mit Schwerpunkt Colonial Studies,
       Christina Sharpe, sitzt.
       
       Sie beginnt aus ihrem Buch „In the Wake. On Blackness and Being“ zu lesen.
       Ihre Ausführungen gruppieren sich um den Begriff „wake“, der Fahrwasser,
       Kielwasser, aber auch Wachheit und Bewusstsein bedeuten kann. Sie erzählt
       die Geschichte des Sklavenschiffs „Zong“, dessen Crew Afrikaner*innen über
       Bord warf. In einer Videoinstallation ist das Bild von William Turner zu
       diesem Ereignis zu sehen: Die „Zong“ kam 1781 nach drei Monaten in der
       Karibik an. Von 442 gefangenen Afrikaner*innen wurden 142 ins Meer
       geworfen. Man hat eine Wasserknappheit auf dem Schiff befürchtet.
       
       In seinem Bild „Das Sklavenschiff“ hat Turner diesen Massenmord
       verarbeitet. Es ist das einzige visuelle Element, das in der Veranstaltung
       Verwendung findet. Ansonsten ist es vielmehr eine sprachliche Suche nach
       einer neuen, anderen Sprache, in der schwarze Menschen heute über Sklaverei
       und ihr Nachleben sprechen können. Eine Sprache, die nicht die der
       Kolonialisatoren ist. Welche Worte können die Toten zurückbringen? Wie
       können Schwarze endlich handelnde Subjekte werden und sich aus dem
       Imperialismus und dem Kolonialismus heraus emanzipieren?
       
       „Living in the wake of slavery“, im Kielwasser der Sklaverei zu leben oder
       ein Bewusstsein für deren Geschichte zu haben, heißt für Sharpe
       festzustellen, dass sie noch präsent ist. Sharpe verknüpft assoziative
       Gedankenstränge miteinander, es gelingt ihr so, die Geschichte der
       damaligen Sklavenschiffe mit den heutigen Schlepperbooten zu verbinden, die
       in untauglichem Zustand flüchtende Menschen über das Meer transportieren.
       Oder untergehen. Sharpe schildert eine Katastrophe aus dem Jahr 2013, in
       dem ein Boot kenterte, die toten Menschen aus dem Wasser geborgen wurden
       und eine Mutter noch über die Nabelschnur mit ihrem Neugeborenen verbunden
       war.
       
       Sharpe setzt die Brille ab, ihre Stimme bricht. Doch ihr Vortrag will keine
       Betroffenheit erzeugen. Er will aussprechen und offenlegen, was verborgen
       war, Namen nennen, Vergessene zurückholen. Er möchte deutlich machen, dass
       die Geschichte der Sklaverei im Alltag schwarzer Menschen fortlebt und in
       den Objekten, die sich die Kolonialherren angeeignet haben.
       
       „Das Nachleben der Sklaverei und die Lücken der Archive“, so lautet der
       Titel dieses Abends in der Reihe „Das Milieu der Toten“, mit der das
       Humbold Forum auch auf die Kritik an seinen Plänen, was ab 2019 in dem
       wiederaufgebauten Stadtschloss passieren soll, reagiert: Koloniale Objekte
       würden als Weltkunst präsentiert, lautete der Vorwurf, und damit werde die
       Welt aus einem europäischen Blickwinkel betrachtet und alles am Maßstab
       Europas gemessen. Zuletzt war auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy
       aus dem Expertenbeirat mit der Begründung ausgetreten, dass beim Humboldt
       Forum die Provenienzforschung nicht genug ernst genommen würde.
       
       Jene Lücken in den Archiven aufzuarbeiten und Kolonialgeschichte sichtbar
       zu machen, kündigt das Humboldt Forum nun an. Nach Christina Sharpe spricht
       an dem Abend der Kulturanthropologe Friedrich von Bose, der in seiner
       Doktorarbeit die Konflikte um das Humboldt-Forum begleitet und dokumentiert
       hat. Er erläutert, wie schwierig es sei, ein umfassendes Projekt anzugehen,
       das alle miteinbeziehe und kritisch wie auch verantwortungsvoll mit
       Raubkunst und Kolonialismus umgehe, ohne eurozentristisch zu sein.
       
       Das Bewusstsein der Verantwortlichen scheint sich in Reaktion auf die
       Kritik geändert zu haben. Mit „Das Milieu der Toten“ hatten nun die
       Nachfahren der von Sklaverei Betroffenen, schwarze Frauen und Männer, die
       das Nachleben des Kolonialismus immer noch und aufs Neue beeinträchtigt,
       das Wort, anstatt dass nur über sie geredet wird. Oder wie es Christina
       Sharpe sagt: Es gehe nicht darum, wie François Hollande ein Denkmal zur
       Abschaffung der Sklaverei in Guadeloupe einzuweihen und so die Geschichte
       wegzuschließen. Es gehe darum, die Namen der Vergessenen zu nennen und
       festzuhalten, was heute ist: „Diese EU-Einwanderungspolitik tötet“, sagt
       Sharpe, „wir leben immer noch ‚in the wake of slavery‘.“
       
       9 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daphne Weber
       
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