# taz.de -- Leyla YenirceInselstatus: Es geht auch ganz gut ohne Fortschritt
       
       Liebe Insel, immerhin, du versuchst es ja. Grün und nett zu sein. Dass du
       leider oft an diesem Versuch scheiterst, ist ein wenig tragisch, macht dich
       aber gleichzeitig auch sympathisch. Nicht nur im Kleinen geht oft mal etwas
       den Bach runter. Wie zum Beispiel, wenn Gentrifizierer*innen ihren
       Fair-Fashion-Store schließen müssen, weil du doch nicht reif oder reich
       genug bist für schöne, gerechte Mode. 
       
       Du scheiterst auch im großen Stil. Der Umweltbehörde nahe der S-Bahn
       Wilhelmsburg geht es an den Kragen, denn die Mitarbeitenden berichten mehr
       und mehr von unerträglichen Arbeitsplatzbedingungen.
       
       Dabei hätte es so schön werden können. Ein opulenter Neubau mitten auf der
       Insel mit eigenartig bunter Fassade und wabernden Hausfronten. Wären da nur
       nicht das Nasenbluten durch schlechte Raumluft, von dem die Mitarbeitenden
       berichten und die arktischen Verhältnisse im Erdgeschoss, weil das Gebäude
       an vielen Stellen nicht richtig gedämmt wurde.
       
       Anscheinend war die Idee mal wieder besser als die Umsetzung. Das Gebäude,
       2013 eingeweiht, soll exemplarisch für nachhaltige Architektur stehen.
       Glänzt aber vor allem durch Mängel. Ob sich die Vermieterin, die
       Sprinkenhof GmbH, darum kümmern wird? Stadtentwicklungssenatorin Dorothee
       Stapelfeldt (SPD) ist zwar schon hinterher, aber so wie wir dich kennen,
       liebe Insel, oder sagen wir, die Menschen, die hier diverse Gebäude und
       Institutionen verwalten, kann es auch sein, dass vielleicht gar nichts
       passiert. Oder die Umweltbehörde in ein bis zwei Jahren schließt, der
       Millionenbau irgendwann abgerissen wird.
       
       Vielleicht ist es ja auch deine klammheimliche Rache, weil du gar nicht so
       viel Lust auf Experimente und Innovation hast, aber Menschen von außen
       dieses Potential in dir sehen und ständig auf dich projizieren. Du bist
       nämlich eigentlich von der konventionellen, gemütlichen Sorte, liebe Insel.
       Du magst, dass das schnelle urbane Leben sich südlich der Elbe ein wenig
       langsamer abspielt. Dass der Bus im Moment nicht alle fünf, sondern zehn
       Minuten kommt, diktierst du mit Absicht.
       
       Du bist zwar keine Vorreiterin der Innovation aber wahrscheinlich ein
       Pionierin der Entschleunigung. Du zeigst den Menschen, wie man trotz
       Fortschritt entspannt bleibt und einfach klar kommt, auf das was man hat:
       heruntergekommene Sozialbauwohnungen, ein paar öffentliche Plätze und Lidl.
       Eine energieeffiziente Umweltbehörde braucht doch kein Schwein und erst
       recht keine Insulaner*innen.
       
       Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus
       Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den
       urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
       
       6 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leyla Yenirce
       
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