# taz.de -- Überlebenstrick der Evolution​: Der Kiwi verliert seine Sehkraft
       
       > Der neuseeländische Nationalvogel kann schlechter sehen. Einige der Tiere
       > sind sogar schon blind. Trotzdem kommen die Laufvögel gut zurecht.
       
 (IMG) Bild: Kiwis, auch Schnepfenstrauße genannt, sind nachtaktive Laufvögel
       
       Er ist vom Aussterben bedroht, und fliegen kann er auch nicht: der Kiwi.
       Und jetzt wird der neuseeländische Nationalvogel auch noch blind. Doch was
       auf den ersten Blick wie ein hartes Schicksal aussieht, ist wohl ein
       Überlebenstrick der Evolution.
       
       So wie die Hunde für ihren Geruchssinn und die Fledermäuse für ihr
       Hörvermögen, so sind Vögel dafür bekannt, überragend sehen zu können. Man
       denke nur an den Adler oder die Eule. Doch für den Kiwi gilt das nicht.
       Denn weil er als Laufvogel keinen Überblick von oben braucht, hat er vor
       allem seinen Geruchs- und Tastsinn entwickelt, um nachts auf dem Boden
       erfolgreich krabbelnde Insekten erlegen zu können. Seine Augen sind seit
       jeher winzig. Und die Evolution hat offenbar im Sinn, sie völlig aus dem
       Rennen im Überlebenskampf zu nehmen.
       
       Ein Forscherteam um Alan Tennyson vom Te Papa Tongarewa Museum in
       Wellington untersuchte vor vier Jahren 160 Okarito-Streifenkiwis, um
       Näheres darüber herauszufinden, worauf man beim Schutz dieser extrem
       bedrohten Tierart, von der nicht einmal mehr 400 Exemplare leben, besonders
       achten müsste. Der Befund: Die Vögel präsentierten sich bei bester
       Gesundheit – doch mit ihren Augen stand es schlimmer denn je. „Jeder dritte
       von ihnen hatte Augenschäden“, so Tennyson. Drei Exemplare waren sogar
       absolut blind.
       
       Und genau diese drei Blindvögel wurden daraufhin mit Satellitensendern
       ausgestattet, um zu testen, wie sie in ihrer Umwelt zurechtkommen. Kürzlich
       ist nun diese Untersuchung abgeschlossen worden. Mit dem Ergebnis: Alle
       drei Kiwis sind noch am Leben und topfit. Einer hat sich – auch wenn man
       nicht weiß, ob etwas dabei herausgekommen ist – sogar verpaart. „Ihre
       Blindheit hat also offenbar keinerlei Nachteile für sie“, resümiert
       Tennyson.
       
       ## Überflüssige Gene
       
       Wie der neuseeländische Zoologe weiter ausführt, weiß man von keiner
       anderen Vogelart, bei der blinde Exemplare länger überleben würden.
       Tennyson vermutet, dass die zum Sehen notwendigen Gene zurückgebildet
       werden, weil der Kiwi sie einfach nicht braucht.
       
       So ähnlich wie beim Maulwurf. Denn Augen sind Organe, für deren
       Funktionstüchtigkeit ein Lebewesen einen enormen physiologischen Aufwand
       betreiben muss, und so etwas lässt die Evolution nur zu, wenn es auch
       wirklich Vorteile bietet. Der Kiwi sei jedoch nachts und auf dem Boden
       aktiv, erläutert Tennyson, „und deswegen sind für ihn Riechen, Tasten und
       Hören wichtig zum Überleben, nicht aber das Sehen“. Bleibt festzuhalten,
       dass der Kiwi – egal, ob sehend oder blind – nur dann überleben wird, wenn
       es gelingt, ihm eingeschleppte Raubtiere vom Leib zu halten.
       
       Naturschützer schätzen, dass auf dem neuseeländischen Festland über 90
       Prozent der jungen Kiwis von Katzen oder Wieseln getötet werden, bevor sie
       100 Tage alt sind. Und das liegt nicht daran, dass der Vogel diese Räuber
       nicht sieht. Sondern daran, dass er in seiner etwa zehn Millionen Jahre
       währenden Geschichte niemals mit ihnen zu tun hatte und daher nicht mit
       ihnen rechnet.
       
       21 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Zittlau
       
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