# taz.de -- Frankfurter Buchmesse: Die Türkei ist nicht ganz verloren
       
       > Auf der Buchmesse herrschte großes Interresse für die Entwicklung in der
       > Türkei. Kritische, in Deutschland selten zu hörende Autoren und
       > Journalisten erhielten viel Aufmerksamkeit.
       
 (IMG) Bild: Diskussion über Meinungs- und Pressefreiheit: „Kritische Stimmen aus der Türkei“
       
       Neben Frankreich, dem Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse,
       stand ein anderes europäisches Land im Fokus der Aufmerksamkeit. „Die
       Türkei ist noch immer das größte Gefängnis für Journalisten und Autoren
       weltweit“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des
       Deutschen Buchhandels, bei der Eröffnung der Messe.
       
       Auf zahlreichen Panels wurde über die Lage in der Türkei diskutiert. Eines
       der großen Themen war die Einschätzung, inwiefern das Land sich auf dem Weg
       in eine Diktatur befindet. So beispielsweise auch am Sonntagnachmittag
       unter dem Titel „Kritische Stimmen aus der Türkei“. Gemeinsam mit der
       Buchmesse hatte die Initiative „FreeDeniz“ den kurdischen Kolumnisten Irfan
       Aktan, die Frau des inhaftierten Journalisten Ahmet Şık, Yonca Şık, Şıks
       Anwalt Can Atalay, sowie die Schriftstellerin Asli Erdogan eingeladen.
       
       Der Kolumnist Aktan sagte: „Die Türkei hat sich noch nicht einer
       autoritären Ordnung ausgeliefert. Macht euch keine Sorgen. Es ist nicht so,
       dass wir weinend durch die Straßen gehen“. Eine Aussage, die als
       Quintessenz dieser Veranstaltung gelten kann, die viele Interessierte wegen
       des großen Andrangs gleich von mehreren Stehreihen aus verfolgten. Der
       Anwalt Atalay kritisierte das Gastgeberland der Buchmesse. Auch Deutschland
       habe dazu beigetragen, dass die AKP so mächtig werden konnte.
       
       ## Es war absehbar
       
       Asli Erdogan ergänzte: „Wir hätten sehen müssen, dass ein dunkle und
       schreckliche Ära anbricht. Es gab sehr viele Anzeichen dafür.“ Die
       Schriftstellerin Erdogan, gegen die derzeit ein Gerichtsverfahren wegen
       Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und versuchter
       Umsturz der staatlichen Ordnung geführt wird, in dem der Staatsanwalt ihre
       lebenslange Haft fordert, war in Frankfurt die prominenteste Stimme der
       intellektuellen Opposition der Türkei.
       
       In einem Gespräch am Freitagabend über „Bücher gegen die Zensur“ mit den
       Verlegern Ragıp Zarakolu und Christoph Links sagte sie über diejenigen, die
       sie ins Gefängnis gebracht hatten: “Sie haben mich gegessen, konnten mich
       aber nicht verdauen. Sie haben die Kraft der Literatur unterschätzt“. Auch
       junge und in Deutschland weniger bekannte Akteure erhielten auf der
       Buchmesse die Möglichkeit, ihre Eindrücke zu teilen.
       
       Auf dem Podium „Journalistische Lösungen für eine Krise in der Türkei“, die
       von Maximilian Popp, Türkei-Korrespondent des Spiegels, moderierte wurde,
       beklagte die kurdische Journalistin Nurcan Baysal, dass sich die
       europäsiche Öffentlichkeit jenseits von bekannten Namen nur wenig um
       andere, vor allem kurdische Kollegen kümmere – obwohl ein Großteil der
       verhafteten Journalisten kurdisch sei: „Kennt hier jemand den Namen eines
       verhafteten kurdischen Journalisten?“, fragte sie das Publikum. Eine
       Antwort bekam sie nicht. Journalisten, Publizisten und Aktivisten in der
       Türkei leben zwischen kämpferischer Haltung und pessimistischer
       Einschätzung.
       
       ## Immer noch Raum für Kritik
       
       Die Journalistin Onur Burçak Belli unterstrich, dass es für Oppositionelle
       ein tägliches Pendeln zwischen diesen beiden Polen sei, sie aber trotzdem
       weitermachten. Sie selbst kenne diese Zerrissenheit seit ihrer Kindheit. Da
       die Türkei aber eben noch keine Diktatur sei, gebe es immer noch Raum für
       Kritik und Protest, betonte Belli. Zugleich gebe es aber kein
       Mainstreammedium mehr, dass sie beschäftigen würde. Belli zeigte ein Foto,
       auf der Journalisten einen Neujahresgruß an inhaftierte Kollegen schickten.
       Auf diesem Bild war auch der Journalist Ahmet Sik zu sehen.
       
       Wenige Stunden, nachdem sie das Foto aufgenommen hatten, wurde er
       verhaftet. „Ahmet winkt sich auf diesem Bild selbst zu“, sagte Belli.
       
       Die andere Seite, die Erzählung der türkischen Regierung, fand sich auf der
       Buchmesse ebenso. Das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus
       beanspruchte eine Fläche von knapp 300 Quadratmetern – so viel Platz, wie
       kaum ein anderes Land auf der Buchmesse. Das wirkte trotzig, als ob der
       türkische Staat den zahlreichen kritischen Stimmen vor Ort mit gekauften
       Quadratmetern entgegenhalten wollte.
       
       ## Absurder Wettbewerb
       
       Ein Buch, das die türkischen Aussteller gratis ausgaben, zeigte, mit
       welchen Mitteln der türkische Staat um die Deutungshoheit ringt. Auf dem
       Cover ist Rauch und Feuer, eine Türkeifahne und ein kleiner Junge auf den
       Schultern eines Mannes zu sehen, der die rechte Faust in die Höhe reckt.
       Die Texte in dem Buch sind eine Zusammenstellung verschiedener Autoren, die
       den Tag des gescheiterten Militärputsches am 15. Juli 2016
       nationalpathetisch und regierungskonform erzählen.
       
       Das kurioseste an dem Buch ist, dass die Texte durch die Jury eines
       Wettbewerbs ausgesucht wurde. Absurd, mag man denken. Wer die Entwicklungen
       in der Türkei mitverfolgt und die traurige und immer verwirrendere Lage im
       Land kennt, wird kaum überrascht sein. Es zeigt aber auch, dass das
       autoritäre Regime seine Erzählungen in akuter Gefahr sieht und
       Gegenerzählungen installieren muss. Insofern ist es ein großes Verdienst
       der Buchmesse, den Stimmen, die eine andere Geschichte über den Putsch und
       seine Folgen zu erzählen haben, eine Bühne geboten zu haben.
       
       17 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
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