# taz.de -- Flackerndes Irrlichtern
       
       > Michael Busch versetzt in seinem Filmkonzert „Seltsame Materie“ heute
       > Abend in der Zwingli-Kirche Bilder und Töne in instabile Aggregatzustände
       
 (IMG) Bild: Michael Busch hat mit „Seltsame Materie“ nicht nur einen Film gedreht, sondern übernimmt dessen Vorführung außerdem selbst
       
       Von Lukas Foerster
       
       Es gehört zu den eisernen Regeln einer „normalen“ Kinovorführung, dass der
       Projektor, also die direkte, physische Quelle der Bilder, die auf der
       Leinwand erscheinen, dem Publikum verborgen bleibt. Man muss für gewöhnlich
       schon sehr genau hinschauen, um überhaupt das kleine Glasfenster an der
       Saalrückseite wahrzunehmen, hinter dem der Lichtstrahl, ohne den es keinen
       Film gäbe, hervorschießt. Früher, als die Filme noch von analogen
       35-mm-Rollen vorgeführt wurden, konnte man, wenn man sich noch ein wenig
       mehr anstrengte, sogar einen kurzen Blick auf den Projektionisten
       erhaschen, der die Bildermaschine bediente. In der digitalen Gegenwart
       bleiben die Vorführkabinen freilich fast immer menschenleer, die Projektion
       läuft vollautomatisch und noch ein wenig unsichtbarer ab.
       
       Das genaue Gegenteil versucht Michael Busch mit „Seltsame Materie“, einem,
       laut Selbstbeschreibung, „Live Film Konzert“, das der Künstler heute Abend
       im KulturRaum Zwingli-Kirche zur Aufführung bringt. Live Film Konzert: Das
       verweist darauf, dass Busch nicht nur einen Film gedreht hat, sondern
       außerdem auch dessen Vorführung selbst übernimmt. Und zwar direkt auf der
       Bühne. Die Zuschauer haben also immer gleichzeitig den Film und die Technik
       seiner Hervorbringung im Blick. Und das ist noch längst nicht alles. Denn
       Busch bearbeitet während seiner für den Künstler auch körperlich
       herausfordernden Darbietung neben mehreren 8-mm-Filmprojektoren auch
       verschiedene andere Bild- und Tonmedien, darunter einen Konzertflügel. Dass
       dabei nicht alles reibungslos ablaufen kann, gehört zum Programm: Es geht
       nicht um ein perfekt durchkalibriertes Gesamtkunstwerk, sondern darum,
       Bilder und Töne in instabile Aggregatzustände zu versetzen.
       
       Die „Seltsame Materie“ des Titels bezieht sich auf Buschs Performance
       selbst, aber auch, etwas konkreter, auf Wasser. Die Flüssigkeit ist weniger
       Thema als eine Art Grundton des Filmkonzerts, ein Organisationsprinzip, das
       dessen einzelne Bestandteile nicht etwa brav auf einen Nenner bringt,
       sondern in immer neuen Mischverhältnissen ineinanderfließen lässt. Wenn es
       sich dem Wasser zuwendet, schreibt Deleuze, dann entdeckt das Kino „eine
       nicht bloß menschliche Wahrnehmung, die nicht auf Feststoffe zugeschnitten“
       ist. Tatsächlich geht es bei Busch nicht um brav kanalisiertes, in Rohren
       eingehegtes, sondern um überschäumendes, sprudelndes, alles mit sich
       fortreißendes Wasser.
       
       Busch hat eine ältere Version seines Filmkonzerts vor ein paar Jahren im
       Haus der Kulturen der Welt präsentiert, dieses Frühjahr war er in der
       Volksbühne zu Gast. Die Aufführung in der Zwingli-Kirche ist dennoch keine
       Wiederholung. Denn zum einen setzt sich Buschs Arbeit bei jedem Durchlauf
       neu und sogar für den Künstler selbst überraschend zusammen. Und zum
       anderen geht es immer auch um die Begegnung eines Kunstwerks mit einem
       konkreten Ort. Es macht eben einen Unterschied ums Ganze, ob die „Seltsame
       Materie“ durch die lichte, modernistische Architektur im Haus der Kulturen
       der Welt schwappt oder in der Zwingli-Kirche gegen hohe Wände brandet, die
       noch Spuren ihres früheren sakralen Gebrauchs tragen.
       
       Und anders als damals im Haus der Kulturen der Welt kommt Busch heute nicht
       alleine, sondern wird begleitet von Catherine Theiler und Jan Peters, deren
       Lecture-Performance „Kollisionen“ über das Europäische
       Kernforschungszentrum Cern den Abend eröffnet. Diese
       Programmzusammenstellung mag überraschen, aber sie ergibt schon deshalb
       Sinn, weil es in beiden Fällen um Experimente mit (aus irdischer
       Perspektive) offenem Ausgang geht. Und erst recht, weil Busch in „Seltsame
       Materie“ hauptsächlich mit 8-mm-Schmalfilm arbeitet, einem Medium mit
       geringer Halbwertszeit. Man hat, wenn man einen 8-mm-Filmstreifen
       projiziert sieht, fast das Gefühl, dass er einem unter den Augen zerfällt.
       Die flackernde, irrlichternde Anmutung dieser Bilder hat auch etwas damit
       zu tun, dass sie nicht dauerhaft konservierbar sind. Der Filmstreifen ist
       kein beliebig oft abrufbarer Speicher, sondern ein verletzlicher und
       letztlich sterblicher Körper – wobei gerade die Wunden und Schrammen Teil
       seiner Schönheit sind. Auch das macht Buschs Live Film Konzert erfahrbar:
       Film, zumal analoger, ist immer schon eine seltsame Materie.
       
       Film-Konzert „Seltsame Materie /Strange Matter“ von und mit Michael Busch &
       Lecture-Performance-Film „Kollisionen“ (2017) von Marie-Catherine Theiler
       und Jan Peters, 26. 10., Kulturraum Zwingli-Kirche, Rotherstraße 3, 19.30
       Uhr, 6/4 €
       
       26 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lukas Foerster
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA