# taz.de -- Leyla YenirceInselstatus: Nachts verwandeln sich die Straßen der Insel in eine Rennstrecke
       
       Liebe Insel, ich kann nicht genug über mein Rad reden. Ich liebe
       Fahrradfahren und als Insulanerin erst recht, weil man hier ohnehin keine
       andere Wahl hat. So viel steht fest. Ich bin mit Sicherheit auch nicht die
       einzige Bewohnerin im Viertel, die das so empfindet. Auch wenn die Ökos,
       Studierenden und Kinder sich mir bestimmt gerne anschließen, bin ich mir
       bewusst, dass das Rad leider nicht an erster Stelle der beliebtesten
       Fortbewegungsmittel in Wilhelmsburg steht.
       
       Denn egal wie hübsch, schnell oder schnittig der Drahtesel ist, es wird das
       Auto leider nicht einholen können. Und am deutlichsten wird das, wenn das
       Fenster auf Kipp steht und die Motoren richtig dröhnen. Das ist zwar nicht
       nur ein Problem auf der Insel, immerhin gibt es seit Neuestem eine extra
       Sondereinheit der Polizei, die gegen zu schnelle oder zu laute Autos
       vorgeht, Rennfahren hat aber auch hier auf der Insel Tradition und die
       großen Hauptstraßen des Viertels verwandeln sich nachts kurzerhand in
       Rennstrecken.
       
       Ich habe sogar ein wenig Verständnis, denn Rennfahren macht bestimmt Spaß,
       Gesetze brechen auch. Aber in Wahrheit geht es doch wohl eher darum,
       Statussymbole zu präsentieren. Das denke ich mir oft, wenn die dicken
       Schlitten an mir und meinem Fahrrad vorbeidüsen und ich mich wieder dafür
       rüge, noch kein neues Fahrradlicht gekauft zu haben.
       
       Warum sind die Autos nicht auf der Autobahn unterwegs? Dort gibt es
       immerhin nicht überall eine Geschwindigkeitsbegrenzung und es gibt vor
       allem keine Passanten, die auch mal bei Rot eine Ampel überqueren. Tja,
       wahrscheinlich sind sie nicht auf der Autobahn, weil sie dort eben niemand
       sehen würde – außer eben andere Autofahrer*innen. Aber hier im Reiherstieg
       können die Raser*innen ihre Autos wie auf einem Catwalk zur Schau stellen
       und für einen Moment zumindest die Illusion des sozialen Aufstiegs
       verbreiten. Denn wer hier einen dicken Schlitten fährt, ist noch lange
       nicht reich, sondern wohnt meist trotzdem im Sozialbau, hat aber das
       Leasing für sich entdeckt oder sehr hart gearbeitet.
       
       Auch das kann ich verstehen. Die Momente in meinem Leben, in denen mich
       meine Cousinen in ihren fetten Karren abholten, um bei McDonalds durch den
       Drive-in zu fahren, habe ich genossen. Meistens haben wir nicht Mal Burger,
       sondern nur irgendeinen Nachtisch bestellt. Immerhin vegetarisch.
       
       Konsum macht ja auch Spaß und Kapitalismus kann manchmal richtig geil sein.
       Aber mein nachhaltiges Herz ist oft größer als meine Schwäche für teure
       Autos, deswegen, liebe Inselbewohner mit dicken Autos, macht die Straßen
       nachts bitte nicht zum zweiten Nürburgring. Denn das ist nicht nur
       umweltschädlich und laut, sondern auch ziemlich gefährlich. Denn genau so
       nachlässig wie manche Autofahrer*innen Geschwindigkeitsgrenzen
       überschreiten, gibt es andere, die gerne mal monatelang ohne Licht am
       Fahrrad fahren, weil sie zu faul sind, es zu reparieren.
       
       Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus
       Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den
       urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
       
       16 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leyla Yenirce
       
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