# taz.de -- Leyla YenirceInselstatus: Warum machen wir einander das Leben nicht ein wenig geschmeidiger?
       
       Liebe Insel, wo bleibt bloß deine Zivilcourage? Ich bin empört und zutiefst
       erschüttert. Mag sein, dass ich selber schuld bin. Es ist ja auch ziemlich
       tollpatschig, noch ehe man in die Pedal tritt, über sein eigenes Rad zu
       stolpern. Aber so etwas kann einem nun mal passieren. Im besten Falle steht
       man schnell wieder auf. Oder es stehen Menschen herum und helfen einem
       dabei.
       
       Ich dachte wenigstens, dass das hier auf der Insel der Fall sei: Als ich
       nämlich vergangenes Jahr einen Umzug machte und dachte, ich könnte einen
       Kühlschrank auf einer Sackkarre transportieren, ganz alleine, kamen mir auf
       Anhieb mehrere Menschen zu Hilfe, und zwei von ihnen trugen mir das schwere
       Ding sogar bis in die Wohnung. So lobe ich mir das. Was mir aber neulich
       passierte, hat leider einen langen Schatten auf die Hilfsbereitschaft im
       Viertel geworfen.
       
       Das Ereignis trug sich mitten auf der Veringstraße zu, als ich mein Rad
       aufschloss und kurzerhand auf der zweispurigen Straße landete, weil mein
       Schloss sich in die Speichen verheddert hatte. Die Straße war voller
       Menschen, das nächste Auto aber glücklicherweise noch weit weg. Und was
       passierte? Alle haben zugeguckt, aber niemand hat mir geholfen. Da lag ich
       wie ein weicher, gedellter Haufen, bereit vom nächsten Auto angefahren zu
       werden – und die einzige Person, die sich nach meinem Wohl erkundete, war
       ein kleines Roma-Mädchen vom Bürgersteig aus. All die Männer, die vor dem
       Café gleich nebenan saßen, haben geguckt, aber nur aus Schaulust – nicht
       etwa, weil sie vorgehabt hätten, mir zu helfen.
       
       Was erzählt das über dich, liebe Insel? Ich möchte dir nicht vorwerfen,
       dass du rücksichtslos bist, aber manchmal hat man Glück und die Menschen
       helfen einem – und manchmal hat man Pech und kann nur hofften, dass kein
       Auto über einen drüber fährt. Ich fand neulich wieder zurück auf mein Rad,
       aber die Wunde, die die Ignoranz der Passanten und Mitmenschen hinterlässt,
       ist weitaus größer als die blauen Flecke, die ich davontrug.
       
       Das Leben im urbanen Raum kann ganz schön hart sein, im wahrsten Sinne des
       Wortes dann, wenn der eigene Schädel auf den Asphalt knallt. Gerade dann
       wäre es doch umso schöner, wenn wir uns gegenseitig das Aufprallen ein
       wenig geschmeidiger machen würden, indem die Menschen in einer
       Nachbarschaft vielleicht nicht gleich fröhliche Großfamilie spielen – aber
       wenigstens ein bisschen aufeinander Acht geben. Nur mal so, als kleiner
       Vorschlag für ein erträglicheres Miteinander.
       
       Vielleicht verheilen beim nächsten Mal dann ja sogar die blauen Flecke
       etwas schneller.
       
       Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus
       Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den
       urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
       
       9 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leyla Yenirce
       
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