# taz.de -- berliner szenen: Wahlsonntag Wir sind nicht befugt
Wahlsonntag in Pankow. Im Wahllokal bin ich eine der Ersten. Die drei
Kreuze sind längst im Kopf. Ich mache es mir in der Kabine bequem, da
ertönt eine Frauenstimme. „Eigentlich bin ich gekommen, um meinen
Wahlschein ungültig zu machen. Jetzt habe ich doch noch meine Zweifel. Ich
könnte mir vorstellen, auch mit den Linken zu leben. Da wollte ich Sie
fragen …“
„Junge Frau“, unterbricht sie das Wahlkommissionsmitglied. „Wir sind nicht
befugt, Ihnen Empfehlungen zu geben.“ Ich verrenke mir fast den Hals, um
die Ruhestörerin zu erblicken. Kahlgeschorener Kopf mit einem grünen
Haarbüschel über der Stirn. Bestimmt Erstwählerin. Sie hält einen kleinen
Jungen an der Hand.
Die Frau gibt nicht nach. „Dann sind Sie vermutlich befugt, mir zu
erklären, was für Konsequenzen ein ungültiger Wahlschein haben wird.“
Plötzlich kommt alles in Wallung. Jemand bringt dem Jungen einen Stuhl, ein
anderer steckt ihm eine Tüte Gummibärchen in die Hand. „Ein ungültiger
Wahlschein macht eine höhere Wahlbeteiligung und eine Stimme weniger für
eine Partei“, sagt das Wahlkommissionsmitglied. Ich kritzele meine Kreuze
hin und flitze aus der Kabine. Die junge Mutter steht hinter ihrem Sohn und
studiert den Wahlschein.
„Sagen Sie“, spreche ich nun den Mann am Tisch betont laut an. „Könnte ich
vielleicht der Dame Empfehlungen geben?“ – „Das hieße Werbung im Wahllokal
und ist hiermit streng verboten“ lautet die Antwort. Dann schaut er milder
und fügt hinzu: „Aber selbstverständlich würde Ihnen keiner verbieten
können, mit wem auch immer ins Gespräch zu kommen“. Ich drehe mich der
jungen Frau zu und lächle sie an. Sie wendet sich ab und verschwindet in
der Kabine.
Am Montag nach der Wahl präsentiert mein Achtklässler die Wahlergebnisse
seines Gymnasiums. Die Wahlbeteiligung lag vermutlich bei 100 Prozent, weil
der Wahlgang zwei Unterrichtsstunden ersetzte. Irina Serdyuk
4 Oct 2017
## AUTOREN
(DIR) Irina Serdyuk
## ARTIKEL ZUM THEMA