# taz.de -- Sein Name ist Programm
       
       > Wahl I Zehn Kandidaten wollen es in Berlin ohne Partei in den Bundestag
       > schaffen. Einer ist Sebastian Blume – er kämpft um das Direktmandat in
       > Friedrichshain-Kreuzberg
       
 (IMG) Bild: Sebastian Blume erledigt seinen Wahlkampf allein und auf dem Fahrrad
       
       Von Rebecca Barth
       
       Morgens um halb neun schwingt sich Sebastian Blume auf sein Rennrad. In
       seinem Fahrradanhänger stapeln sich Wahlplakate und Flyer, die er seit zwei
       Monaten täglich verteilt. Der 31-Jährige ist einer von zehn Kandidaten in
       Berlin, die es ohne Partei in den Bundestag schaffen wollen. Blume und
       sechs weitere dieser Einzelkämpfer wollen im Wahlkreis
       Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost die Nachfolge der
       Grünen-Ikone Hans-Christian Ströbele antreten. Man könnte sagen, Blume habe
       keine Chance. Er sieht das anders.
       
       „Das Ergebnis wird definitiv eine Überraschung“, sagt der studierte
       Informatiker. Ein anderer Wahlkreis kam für Blume nicht infrage. Hier wohnt
       er, hier hat er Kontakt zu Wählern und vor allem: Hier kann er Wahlkampf
       auf dem Fahrrad machen. Pausen gönnt er sich nur, wenn der Magen knurrt.
       Auf dem Weg zum Imbiss drückt er noch schnell einem Passanten seinen Flyer
       in die Hand. Der bleibt stehen, wirft einen kurzen Blick darauf und sagt:
       „Welche Blumen denn? Aber nicht die Grünen?“ – „Nein, ich bin der Herr
       Blume“, sagt Blume mit sächsisch geprägtem Zungenschlag. Ursprünglich kommt
       er aus Leipzig.
       
       Seine Plakate, gespickt mit Blümchen und Herzchen, hat er selbst entworfen
       und aufgehängt. Insgesamt 1.000 Stück, die gepflegt, repariert und
       gerichtet werden wollen. „Eigentlich zu wenig, aber ich muss die
       Möglichkeiten nutzen, die ich habe.“ Die Grünen haben im selben Wahlkreis
       4.700 Plakate aufgehängt. Blumig liest sich auch das Wahlprogramm: Nach
       einem „Hey Leute, Eltern und Kinder“ folgt ein bunter Mix aus grünen und
       linken Ansichten, gespickt mit einer Prise Pirat.
       
       Blume schiebt sein Rad mit dem Anhänger durch den Kreuzberger Wrangelkiez.
       Vor einem Späti genießt eine ältere Dame ein Glas Weißwein. „Hallo, ich bin
       Herr Blume und kandidiere für den Bundestag“, sagt er und drückt ihr einen
       Flyer in die Hand. „Schöner Name!“, ruft die Frau und beklagt sich über
       niedrige Renten und Angela Merkel. Blume versucht mit festem Blick sein
       Hauptanliegen zu vermitteln: „Das Krankenkassensystem ist unfair und
       undurchsichtig.“ Hastig und mit sich überschlagender Stimme fährt er fort:
       „Für viele Kleinunternehmer und Sozialhilfeempfänger ist die Krankenkasse
       schon zur Schuldenfalle geworden. Ich fordere einen Mindestbeitrag von
       einem Euro!“ Es folgt eine schnelle Rechnung verschiedener
       Krankenkassenbeiträge, die die Dame verwirren: „Ich komm schon nicht mehr
       mit“, sagt sie, „aber schöner Name.“
       
       Einer Partei möchte sich Blume nicht anschließen, weil er da einer
       Parteilinie folgen müsste. Früher suchte er an Ständen Kontakt zu
       Politikern, um zu diskutieren. Er ging auf eine Veranstaltung eines grünen
       Arbeitskreises, der sich als Podiumsdiskussion entpuppte. Blume aber möchte
       sich keine Vorträge anhören. Er will sich einbringen, und er will, dass
       seine Lösungsansätze gehört werden.
       
       Ist er gerade nicht im Wahlkampf, gibt er an einer Schule Computerworkshops
       an einigen wenigen „Schrottcomputern“. Weil ihn diese Situation ärgerte,
       entwarf er ein Konzept, um Schulen für weniger Geld mit besseren Computern
       ausstatten zu können. Damit wendete er sich an den Grünen Öczan Mutlu aus
       dem Bildungsausschuss. Doch nichts passierte.
       
       Er muss es also selbst machen. Anfang des Jahres sammelte er 217 von 200
       benötigten gültigen Stimmen, um kandidieren zu dürfen. Mittlerweile hat er
       4.000 Euro in seinen einsamen Kampf investiert. Die ersten 2.000 Flyer
       faltete er noch per Hand, dann kaufte er sich eine Faltmaschine und einen
       Laserstrahldrucker, weil der alte zu langsam war. Jetzt schiebt er sein
       Fahrrad 100 Stunden pro Woche durch seinen Bezirk, um in den letzten Tagen
       vor der Wahl noch mal möglichst viele Menschen zu erreichen. Flyer wirft er
       nur in Briefkästen, auf denen Werbung nicht explizit abgelehnt wird. Er
       möchte dem Volk nicht auf die Nerven gehen, bevor es ihn gewählt hat. Geht
       irgendwo eine Tür auf, hechtet er über die Straße, dann muss er nachher
       nicht klingeln. „Wahlkampf hält fit“, sagt er, während er sich die Treppen
       eines Altbaus hoch kämpft. Lohnt sich die ganze Schinderei? Auf bento.de,
       dem Jugendangebot von Spiegel Online, schaffte er es immerhin in die
       Auswahl der „Wahlplakate aus der Hölle“.
       
       19 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rebecca Barth
       
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