# taz.de -- Freiwillige Das Programm kulturweit schickt junge Deutsche in die Welt. Die Macher*innen im Gespräch: Was bringe ich zurück nach Deutschland?
       
 (IMG) Bild: Freiwillige bei einem kulturweit-Seminar in Kolumbien: Im Vordergrund steht das Lernen
       
       Interview Thilo Adam und Annika Maretzki
       
       taz.am wochenende: Frau Veil, Herr Martin, wer hilft, jungen Leuten
       Auslandsaufenthalte zu ermöglichen, war bestimmt selbst viel unterwegs,
       oder? 
       
       Anna Veigel:Während Studium und Beruf war ich für längere
       Auslandsaufenthalte in Togo, Italien, Ungarn und Schottland. Am stärksten
       geprägt hat mich aber die Zeit in Indien. Ich musste alles selbst
       organisieren. Über einen Großonkel, der Missionar in Indien war, kam der
       Kontakt zu einem Krankenhaus mit angeschlossenem Behindertenheim in
       Südindien zustande. Wir haben zwei Briefe hin- und hergeschrieben. Im
       zweiten stand: Flieg nach Mangalore, setz dich in ein Taxi nach Udupi, da
       erwartet man dich. Damit habe ich mich aufgemacht und ein halbes Jahr als
       einzige Ausländerin dort gelebt. Das prägt fürs Leben.
       
       Peter Martin: Ich habe einen sozialen Freiwilligendienst in Westrumänien in
       einem Altenheim gemacht. Letztlich haben sich meine Erfahrungen nicht sehr
       von denen meiner Freunde unterschieden, die in Deutschland Zivildienst
       gemacht haben. Allerdings habe ich die Arbeit in fremder Sprache und in
       einer Gegend gemacht, die ich nicht kannte. Ich habe gemerkt: Wenn ich mich
       überwinde, dann finde ich auch Anschluss.
       
       Was bedeutet diese Erfahrung für Ihre jetzige Arbeit? 
       
       Martin: In der Zeit habe ich gelernt, Grenzen zu überwinden: nicht
       unbedingt politische, sondern zwischenmenschliche und eigene Grenzen. Ich
       war 18 Jahre alt und bin in ein anderes Land gegangen. Die Herausforderung
       war, Leute kennenzulernen, mit denen ich abends ausgehen kann.
       
       Veigel: Ich hatte damals niemanden, mit dem ich mich austauschen konnte. Es
       ist aber unglaublich viel passiert, von dem ich wahnsinnig überfordert war.
       Bei kulturweit bieten wir ein pädagogisches Begleitprogramm: Leute lernen
       sich vorher kennen, tauschen sich aus, haben ein Netzwerk. Während des
       Einsatzes haben sie einmal fünf Tage Zeit sich zu besinnen: Wo steh ich,
       wie soll es weitergehen? Und sie sollen fühlen, dass man mit Situationen,
       an denen man zu knabbern hat, nicht allein ist.
       
       Bevor die Freiwilligen an die Einsatzorte gehen, bereiten Sie sie in
       Seminaren vor. Welche Inhalte liegen Ihnen am Herzen? 
       
       Martin: Es geht einerseits um das Einüben handwerklicher Fähigkeiten wie
       Didaktik, andererseits um die Sensibilisierung für Ungleichheiten und die
       eigenen Privilegien. Die Leute sollen nicht mit Antworten für die Menschen
       ins Ausland gehen, sondern mit Fragen danach, warum an anderen Orten Dinge
       wie der Linksverkehr auch anders laufen können. Sie sollen historische
       Bedingungen hinterfragen.
       
       Veigel: Auch die Frage „Was bringe ich zurück nach Deutschland?“ spielt
       eine große Rolle. Welche Bilder werden hin und her transportiert? Was ist
       meine Position im komplexen, globalen Weltgeflecht? Wir sind aber auch
       bemüht, dass das Ganze nicht zur Last für die Teilnehmer*innen wird.
       
       Auslandsaufenthalte sind für Jugendliche auch eine Herkunftsfrage. Welche
       Rolle spielt das Milieu bei Ihren Freiwilligen? 
       
       Veigel: Auch bei uns haben 95 Prozent Abitur. Das ist ein Problem. Wenn
       Grundschulkinder in unterprivilegierten Milieus schon die Chance bekämen
       Auslandserfahrung zu machen, zum Beispiel bei Schul- oder
       Jugendgruppenausflügen, hätten sie vielleicht das Selbstbewusstsein zu
       sagen: „Ich krieg das hin!“ So fragt das Umfeld: „Warum willst du denn
       jetzt für ein Taschengeld ins Ausland?“ Wert hätten Auslandsaufenthalte
       aber gerade für diese Jugendlichen.
       
       Martin: Freiwillige mit unterschiedlichen Hintergründen bereichern sich mit
       ihren Erfahrungen. Außerdem wollen wir ein differenziertes Deutschlandbild
       abbilden. Unsere Freiwilligen wirken in ihren Einsatzorten in erster Linie
       als Persönlichkeiten: Es geht nicht darum, den Leuten zu sagen, was denn
       alles deutsch ist und was nicht. Sie sollen durch unsere Freiwilligen
       verschiedene Facetten kennenlernen und deshalb dürfen wir nicht nur einen
       Ausschnitt der Bevölkerung abbilden.
       
       kulturweit versteht sich nicht als Entwicklungsprojekt, sondern in erster
       Linie als Chance für die Freiwilligen. Warum? 
       
       Veigel: Entwicklungszusammenarbeit hat oft noch den Touch, dass etwas
       exportiert wird. Das hat etwas Arrogantes. Man sollte sich auf Augenhöhe
       begegnen. kulturweit ist ein Lernprogramm für alle Beteiligten. Unseren
       Freiwilligen soll von Anfang an klar sein, dass sie viel mehr nehmen, als
       sie geben.
       
       Was ist Deutschland, was ist „meinland“ für Sie? 
       
       Martin: Was „meinland“ ausmacht, ist nicht in Stein gemeißelt. Solange der
       11. 11. unter dem Kölner anders aussieht als am Berliner Dom, kann nicht
       ein Teil für das Ganze stehen. „meinland“ ist für mich Vielfalt, Respekt
       davor, dass es andere Lebensentwürfe gibt und in vielen Teilen ein sehr
       liberales Fleckchen Erde.
       
       Veigel: Im Ausland wollte ich nicht, dass man merkt, dass ich Deutsche bin.
       Ich beobachte, dass viele von uns Englisch ohne Akzent sprechen wollen.
       Vielleicht ist das Zweifelnde typisch für Deutschland: „meinland“ ist ein
       Ort, an dem wir uns mit Veränderungen beschäftigen und weniger Energie
       darauf verwenden, dass alles so bleibt, wie es ist.
       
       Was ist Deutsch? Darüber diskutiert taz.meinland mit Freiwilligen des
       kulturweit-Programms.
       
       Wann: Sa, 09.09., 15.00 Uhr
       
       Wo: EJB Werbellinsee
       
       9 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annika Maretzki
 (DIR) Thilo Adam
       
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