# taz.de -- Wie er im Buche steht
       
       > ANLEHNUNGSSACHE In Siegfried Lenz’„Deutschstunde“ diente Nolde als
       > Vorlage – für einen integren Maler
       
       Es war die richtige Zeit. Als „Die Deutschstunde“ kurz vor der Frankfurter
       Buchmesse 1968 erschien, also mitten rein in die Zeit der
       bundesrepublikanischen Studentenunruhen, traf das Buch den Nerv der
       lesenden Bevölkerung; 250.000 Exemplare gingen innerhalb kürzester Zeit
       weg. Der Verfasser Siegfried Lenz wurde endlich zum Must-have für
       bürgerliche Bücherregale – und zu jener literarischen Stimme, der man
       zuzuhören hat, wollte man die Schuld erkunden, die die Väter der 68er im
       Hitler-Deutschland auf sich geladen hatten.
       
       Der kleine Mann, der sich etwas zu schulden kommen lässt, im Buch ist das
       Jens Ole Jepsen, der „nördlichste Polizeiposten Deutschlands“. Im Jahr 1943
       hat er im (fiktiven) Kaff Rugbüll nicht viel zu tun, eigentlich sogar nur
       genau eine Aufgabe: Er soll den Maler Max Ludwig Nansen überwachen, ein
       Expressionist, der als „entarteter Künstler“ Berufsverbot erteilt bekommen
       hat. Zwar hat er mit Nansen gemeinsam die Jugend verbracht, dennoch
       zweifelt Jepsen nicht an der Notwendigkeit seines Auftrags. Er ist nicht
       mal fanatischer Verehrer von Reich oder Führer – beides interessiert ihn
       nicht sonderlich –, aber die Pflichterfüllung ist für ihn das höchste Gut.
       Ihm gegenüber stellt Lenz Siggi, den Ich-Erzähler des Romans, Jepsens Sohn,
       der Nansens Kunst vor dem pflichtbesessenen Vater beschützen will. Der
       Maler wiederum steht in Lenz’Erzählung moralisch zweifellos auf der
       richtigen Seite.
       
       Und da liegt das Problem. Beziehungsweise wurde eines daraus, als Jochen
       Hieber 2014 im FAZ-Feuilleton [1][schrieb], Lenz habe in der
       „Deutschstunde“ den Antisemitismus und die NS-Bewunderung von Emil Nolde
       verniedlicht.
       
       Aber der Reihe nach. Dieser Max Ludwig Nansen im Buch trägt seinen Namen
       nicht ohne Grund: Wer mit der Malerei des beginnenden zwanzigsten
       Jahrhunderts bekannt ist, kann darin Anspielungen auf Max Beckmann und
       Ernst Ludwig Kirchner entdecken. Der Nolde-Bezug wurzelt etwas tiefer: Der
       echte Emil Nolde war ja als Hans Emil Hansen zur Welt gekommen – Hansen und
       Nolde addierte Lenz zu Nansen.
       
       Literaturkritk und -Wissenschaft neigten Nansen und Nolde meist miteinander
       gleichzusetzen – was gestützt wird durch konkrete Bezüge zu Noldes Werk,
       die Lenz ins Buch einbaute. Trotzdem hat man es da ja immer noch mit einer
       literarischen Figur zu tun. Und die entfernt sich in entscheidenden
       Momenten von Noldes ganz realer Biografie – schon weil Lenz in der
       Erzählung diesen Nansen in seiner Erzählung als Gegenspieler zu Jepsen
       braucht: als positive, innerlich längst emigrierte Vaterfigur für
       Ich-Erzähler Siggi.
       
       Letztlich ist es wie so oft in der Literatur: Nansen ist Nolde und ist es
       doch nicht. Zu behaupten, ausgerechnet Lenz wasche Nolde von dessen Sünden
       rein, entpuppt sich beim Wiederlesen des großen Romans, der „Die
       Deutschstunde“ immer noch ist, jedenfalls als substanzlos.
       
       SASCHA EHLERT
       
       5 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/der-fall-emil-nolde-wir-haben-das-falsche-gelernt-12908490.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sascha Ehlert
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA