# taz.de -- Wo die Wohnungen klein sind, werden die Feste um so größer: Hauptsache, es wird gefeiert
       
       Inselstatus Leyla Yenirce 
       
       Liebe Insel, es gibt ja viele Events, die Wilhelmsburg an ausgewählten
       Tagen im Jahr zum Publikumsmagneten machen. Das Wochenendfestival
       48-Stunden Wilhelmsburg oder das Dockville sind nur einige Beispiele. Wer
       aber im Reiherstiegsviertel wohnt, weiß, dass hier an Wochenenden vor allem
       eines gefeiert wird: ausladende Hochzeiten.
       
       Auf der Insel gibt man sich nämlich oft das Ja-Wort. Was immer dazugehört:
       Autokorsos, die die Festlichkeiten ankündigen und die sonntägliche Ruhe mit
       einem Hupkonzert penetrieren. Je nachdem, wie groß die Familie ist, die
       feiert, kann das Gehupe auch mal mehrere Minuten dauern und wer dann
       schnell noch schaulustig aus dem Fenster guckt, weil er*sie denkt, draußen
       trüge sich ein Verkehrsunfall zu, wird feststellen, dass es sich um eine
       Hochzeit aus der türkischen oder kurdischen Gemeinschaft handelt. Das ist
       erkennbar an den aus den Autos gehissten Flaggen. Damit wird nicht nur das
       Ehepaar, sondern auch die nationale Verbundenheit und am wichtigsten noch
       die glänzenden Karossen zelebriert, die reihenweise von den
       Saga-Wohnblöcken Richtung Hauptstraße und zum Festsaal rollen.
       
       Das ist das Schöne an Wilhelmsburg: Die Wohnungen sind zwar klein, aber die
       Feste umso größer. Dass hier am Wochenende Hochzeiten gefeiert werden, ist
       ja auch ein gutes Zeichen. Die Gemeinschaft ist bei guter Laune, auch wenn
       drum herum das Wohnbild von sozialer Bedürftigkeit geprägt ist. Die fetten
       Autos schmücken dann ebenso die Straßen, wie im großen Stile geheiratet
       wird. Gut für die Umwelt ist das bestimmt nicht, aber verständlich. Denn
       Reichtum und sozialer Aufstieg gibt es hier in den wenigsten Fällen von
       heute auf morgen. Aber das Auto soll schon mal zeigen, wo die Reise
       hingehen soll. Es ist das bisschen Prunk, die schicken Anzüge oder der
       Mercedes S-Klasse, die ein wenig Glanz in den Alltag bringen, auch wenn das
       nur Äußerlichkeiten sind. Die eigentliche Party entsteht erst durch Musik
       und Tanz.
       
       Bei den Studierenden und Ökos ist das anders. Zwar wird auch hier gefeiert,
       aber keine Hochzeiten. Dafür aber Raves im einzigen Club des Stadtteils.
       Was den einen Trommel und Flöte, ist den anderen der laute Techno. Diese
       Leute sind auch nicht im geleasten Auto, sondern auf Drahteseln unterwegs.
       Das ist natürlich viel weniger umweltschädlich, dafür aber auch ein
       bisschen langweiliger. Ihre Partys gehen erst los, wenn es draußen schon
       dunkel ist.
       
       Am Ende spielt es auch keine Rolle, was gefeiert wird, ob Hochzeit oder
       Technoparty, viel wichtiger ist doch, dass überhaupt gefeiert wird. Feste
       machen das Leben ein bisschen schöner und damit auch für alle ein wenig
       erträglicher.
       
       Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt aus Wilhelmsburg
       über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den urbanen Wahnsinn in
       der Peripherie.
       
       14 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leyla Yenirce
       
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