# taz.de -- Der Wilhelmsburger Supermarkt-Kiosk zelebriert unterschiedliche Lebensstile: Die Marktlücke der nächtlichen Lebensmittelversorgung
       
       Inselstatus Leyla Yenirce 
       
       Liebe Insel, du bist ganz schön klug. Du hast erkannt, dass ein Lebensraum,
       der so viele verschiedene Menschen beherbergt, auch unterschiedliche
       Öffnungszeiten für seine Lebensmittelgeschäfte braucht. Eigentlich müsste
       es im großstädtischen Raum ein großes Politikum werden. Ohnehin sind
       Schließzeiten von Supermärkten am Sonntag eine überholte christliche
       Tradition. Wer braucht schon einen Ruhetag, wenn er Sonntags grillen
       möchte?
       
       Es ist ja nicht so, dass die Menschen dann am Ruhetag tatsächlich ruhig
       sind. Nein, Sonntag geht es doch erst richtig los mit den Grillfesten,
       Massenabhängen auf zugemüllten Grünflächen oder Latte-macchiato-Geschlürfe
       in den Cafés und Restaurants dieser Stadt. Gerade wenn die meisten Mal
       einen Tag frei haben oder nicht zur Arbeit müssen, blüht das Leben und
       damit auch der Hunger und die Lust, ein bisschen einkaufen zu gehen.
       
       Abgesehen davon, dass in einer Großstadt genügend Menschen leben, die
       ohnehin keinen normalen Alltag pflegen und ihren Tag beginnen, wenn andere
       Feierabend machen. Warum also nicht den Supermarkt auch am Wochenende
       öffnen und warum nicht auch nach 22 Uhr? Sollten wir den Bedürfnissen der
       Großstädter*innen nicht gerecht werden?
       
       Die Pionier*innen/Kioskbetreiber*innen in Wilhelmsburg kommen dem
       Zelebrieren unterschiedlicher Lebensstile schon länger nach. Dort hat man
       die Marktlücke der nächtlichen Lebensmittelversorgung erkannt. Das dachte
       ich mir, als ich zuletzt um 23 Uhr an einem Montag einen Kiosk betrat, der
       aussah wie eine Mischung aus Zigarettenspender, Süßigkeitenparadies und
       Supermarkt. Mehl, Zucker, Milch, sogar Toilettenpapier und Seife gab es.
       Wer also morgens nicht um 8 Uhr raus muss, sondern erst mitternachts seine
       Pasta kocht, kann hier alles bekommen. Toll!!! So stelle ich mir die
       Großstadt von morgen vor.
       
       Immerhin, am Hauptbahnhof gibt es einen Sieben-Tage-die-Woche-Edeka und in
       Altona einen Lidl, der auch sonntags geöffnet ist, aber beide sind am
       Wochenende auch so überfüllt, das sich kein Mensch mehr reintraut im Kampf
       um Brokkoli und Gouda für ein Katerfrühstück.
       
       Deswegen doch lieber den Gang in einen Wilhelmsburger Supermarktkiosk
       wagen. Wenn man Glück hat, schließt der nämlich auch nie. Der einzige
       Nachteil: Wer das Lebensmittelmonopol hat, bestimmt auch die Preise. Butter
       um Mitternacht kostet statt 1,40 Euro dann 2,50 und das Mehl gibt es statt
       für 50 Cent dann für 1,80 Euro. Vielleicht lieber doch Supermärkte mit
       längeren Öffnungszeiten in der ganzen Stadt?
       
       Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus
       Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den
       urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.
       
       31 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leyla Yenirce
       
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