# taz.de -- Probleme bei Einschulung in Berlin: Von wegen erste Klasse
       
       > Die Plätze an Grundschulen werden knapper, die Klassen voller. In
       > mehreren Bezirken können Erstklässler nicht mehr die nächstgelegene
       > Schule besuchen.
       
 (IMG) Bild: Statt Bibliothek und Computerraum gibts nur noch Klassenzimmer: Protest im Wedding
       
       Schulstadtrat Carsten Spallek (CDU) hat keinen leichten Stand zwischen den
       wütenden Eltern und LehrerInnen der Erika-Mann-Grundschule. Sie haben sich
       an diesem Mittwochabend in der Afrikanischen Straße im Wedding versammelt;
       dort hat auch der Stadtrat gleich einen Termin. Die LehrerInnen und Eltern
       pfeifen und buhen, die Kinder stellen sich mit ihren selbst gebastelten
       Schildern hüpfend auf die Zehenspitzen: „Wir brauchen Platz, sonst ist das
       Lernen für die Katz.“ Spallek ruft über das Pfeifkonzert hinweg, wie sehr
       es ihn freue, „alle so zahlreich zu sehen“ bei diesem wichtigen Thema.
       
       Es geht um die Grundschulplätze, die stetig knapper werden. Die
       Erika-Mann-Grundschule muss in diesem Jahr erneut eine zusätzliche erste
       Klasse aufnehmen, wofür sie längst keinen Platz mehr hat. In den
       vergangenen Jahren wurden bereits der Computerraum und der Chillraum zu
       Klassenräumen umgebaut, erzählt Schulleiterin Birgit Habermann. Zudem fehle
       es an Räumen für Theater und Tanz – dem pädagogischen Schwerpunkt der
       Schule, die viele Inklusionskinder besuchen.
       
       „Unsere Autistenkinder brauchen Ruheräume, für die Theaterpädagogik
       brauchen wir Probenräume“, sagt Habermann. „Wir haben über 20 Jahre lang
       ein Konzept aufgebaut, aber ohne Räume funktionieren die nicht mehr.“
       
       ## Wo gibt es Klassenzimmer?
       
       Das Platzproblem wird nicht nur an der Weddinger Grundschule von Jahr zu
       Jahr massiver. Inzwischen schaffen es einige Bezirke nicht einmal mehr,
       jedem Kind einen Platz an der nächstgelegenen Grundschule zuzuordnen. In
       Pankow etwa – neben Lichtenberg der Bezirk, der am stärksten von wachsenden
       Schülerzahlen betroffen ist – muss im kommenden Schuljahr Platz für 14
       zusätzliche Klassen gefunden werden, teilt das Pankower Schulamt mit.
       Betroffen sind also rund 350 Kinder.
       
       Vier Schulen – die Thomas-Mann-Grundschule, die Grundschule am Weißen See,
       die Platanen-Grundschule und die Arnold-Zweig-Grundschule – können nicht
       mehr alle Kinder aufnehmen, die im Einzugsgebiet wohnen. Insgesamt müssen
       52 Kinder „umgelenkt“ werden, berichtet Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU).
       Inwiefern sich dadurch die Schulwege der Kinder verlängern, vermochte das
       Schulamt nicht zu sagen. Das sei „im Einzelfall sehr unterschiedlich“.
       
       Maximal zwei Kilometer Schulweg gelten für GrundschülerInnen als zumutbar.
       In Lichtenberg halte man sich daran auch im kommenden Schuljahr, das im
       September beginnt, verspricht das bezirkliche Schulamt. Doch auch hier
       können die Schule am Gutspark und die Schule am Röderpark nicht mehr alle
       Kinder aufnehmen. Insgesamt sind 72 künftige ErstklässlerInnen betroffen.
       
       Die häufigsten Klagen von Eltern gegen die Zuweisung bestimmter Schulplätze
       verzeichnet das Verwaltungsgericht dagegen in den Bezirken
       Tempelhof-Schöneberg mit 24 laufenden Verfahren, und in
       Friedrichshain-Kreuzberg sind es 22. Berlinweit laufen 68 solcher Klagen.
       
       ## Bezirke lassen sich Zeit
       
       Derzeit sei noch unklar, ob über alle bis Schuljahresbeginn Anfang
       September entschieden werden könne, sagt ein Gerichtssprecher. Teilweise
       seien die Bezirke dieses Jahr sehr spät dran mit dem Versenden der
       Bescheide. „Das sehen wir durchaus kritisch, weil der Rechtsschutz dadurch
       möglicherweise eingeschränkt wird“, erklärt der Sprecher. In Mitte müssen
       sich die Eltern teilweise noch bis zum 10. Juli gedulden, bis der Brief
       kommt.
       
       Es wird vor allem deshalb oft knapp vor Gericht, weil die Schulämter
       zunächst versuchen, möglichst viele Widersprüche von vornherein abzuwehren.
       So auch in Neukölln, wo man in diesem Jahr „viel hin und her gepuzzelt“
       haben, wie Schulstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) sagt. Insbesondere im
       Norden Neuköllns gebe es sehr viele Wechselwünsche von Eltern, die einen
       Platz an den Grundschulen ergattern wollen, die einen guten Ruf genießen.
       
       ## 25 Prozent mehr Schüler
       
       Nun wolle man die Einschulungsbereiche zum Schuljahr 2018/19 neu
       zuschneiden, kündigt Stadtrat Rämer an. Wie die dann konkret aussehen, wird
       interessant werden: Der Spagat, die (derzeit oft auch nicht vorhandene)
       soziale Mischung an den Schulen zu berücksichtigen und gleichzeitig die
       Akademiker-Eltern von Schulplatz-Klagen abzuhalten, ist kein leichter.
       
       Überraschend kommt das Platzproblem nicht. Seit einigen Jahren ist klar,
       dass Berlin wächst und insbesondere die Zahl der schulpflichtigen Kinder
       stark steigen wird: 75.000 SchülerInnen mehr werden es bis 2025. Das ist
       ein Plus von 25 Prozent.
       
       Längst steuert der Senat dagegen. Durch ein milliardenschweres
       Schulneubauprogramm sollen in den kommenden Jahren 42 Schulen entstehen. Um
       die Bauzeiten zu verkürzen – derzeit sind es im Schnitt etwa acht Jahre –,
       kümmert sich ab 2018 eine Tochtergesellschaft des landeseigenen
       Wohnungsunternehmens Howoge.
       
       Doch der Turbo-Schulbau zündet spät, viele Eltern sind ungeduldig. „Warum
       haben Sie das alles nicht früher gemacht?“, ruft ein erboster Vater bei dem
       Protest an diesem Mittwochabend Schulstadtrat Spallek zu. „Geben Sie mir
       eine Zeitmaschine“, kontert der – und zitiert Mao: „Auch der längste Marsch
       beginnt mit dem ersten Schritt.“ Doch auch Maos Weisheiten verfangen bei
       den Eltern nicht mehr: Der Satz geht im Pfeifkonzert unter.
       
       4 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
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