# taz.de -- Willkür im türkischen Justizpalast: Harte Türpolitik am Gericht
       
       > Um ihren Job machen zu können, müssen Journalist*innen schwer gegen
       > die Willkür kämpfen. Eine Gerichtsreporterin über ihre aktuellsten
       > Erfahrungen.
       
 (IMG) Bild: Tumult vor dem Gerichtssaal, leider keine Ausnahme
       
       Dies ist kein Text darüber, wie eine politische oder wirtschaftliche Elite
       eine Meldung zu verhindern sucht. Dies ist ein Text darüber, wie
       Rechtsverletzungen banalisiert werden.
       
       Am 19. Juni und den darauf folgenden vier Tagen wurde der Fall der
       Publizistenbrüder Ahmet und Mehmet Altan sowie der Journalistin Nazlı
       Ilıcak vor Gericht verhandelt. Ihnen wird die mediale Begleitung des
       Putschversuchs vom 15. Juli 2016 vorgeworfen. Allen dreien droht eine
       lebenslange Freiheitsstrafe.
       
       Als Reporterin habe ich nur an drei Verhandlungstagen dabei sein können. An
       den anderen Tagen bin ich nicht hingegangen. Ich hatte die Nase voll von
       den Streitereien vor der Tür. Bereits im Vorfeld sind wir kaum an
       Informationen für eine vernünftige Berichterstattung gekommen.
       
       ## Oppositionelle Medien werden ausgeschlossen
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass Journalist*innen mit vorgeschobenen
       Gründen wie „Der Saal ist zu klein“ oder „Es gibt keine Sitzplätze“ von den
       Prozessen ferngehalten werden. Inzwischen kommen auch Zuschauer*innen,
       internationale Beobachter*innen und sogar Angehörige der Angeklagten in
       den Genuss dieses Prozederes.
       
       Während ich diese Zeilen schreibe, muss ich an die Verhandlungen zu Oda TV
       im Jahr 2011 denken, als es aufgrund eines zu kleinen Saals zu einem Tumult
       kam. Ein Sicherheitsbeamter holte aus und trat mich weg. Die Stelle, die er
       damals traf, schmerzt heute noch.
       
       Sind jedoch Journalist*innen angeklagt, werden Verhandlungen zum
       Politikum. Verhandlungen, zu denen Kolleg*innen der Nachrichtenagenturen
       Anadolu, Ihlas Haber und Doğan Haber ohne Probleme Zutritt erhalten, für
       uns als Angehörige von „oppositionellen“ oder „alternativen“ Medien fast
       unmöglich. Der Schutz des gelben Presseausweises fehlt uns (Akkreditierung
       erfolgt durch das staatliche Presseamt, Anm. d. Red.).
       
       ## Durchsetzungskraft erfordert
       
       So auch am Tag der Altan-Verhandlungen. Bereits um 10 Uhr befanden wir uns
       mit Kolleg*innen im Justizgebäude in Çağlayan, einem Stadtteil im
       europäischen Teil von Istanbul. Der Prozess sollte öffentlich und damit für
       jeden zugänglich sein. Eigentlich easy. Rein in den Gerichtssaal, wieder
       raus und runterschreiben. Leider nein.
       
       Zuerst müssen wir an den „Barrieren“ vor dem Gerichtssaal vorbei, an die
       wir uns schon längst gewöhnt haben. Viele Menschen, darunter auch viele
       Delegierte internationaler Menschenrechtsorganisationen, wollen dabei sein.
       Allerdings können die meisten kein Türkisch und sind in Begleitung ihrer
       Übersetzer*innen. Mit einem Blick erkennen wir, dass wir, wie so oft,
       nicht so einfach reinkommen werden.
       
       Wir versuchen mit Engelszungen auf die Vielzahl von Sicherheitsbeamten
       einzureden, doch sie lassen sich nicht überzeugen. Dann wenden wir uns an
       die Angehörigen der Angeklagten. Wir versuchen zu erklären, dass sonst
       niemand aus dem Gerichtssaal wird berichten können.
       
       ## Rechtsverstoß von ganz oben geduldet
       
       Einer der Übersetzer belehrt mich, mein Job sei nicht wichtiger als seiner.
       Klar, die Vertreter der internationalen Organisationen brauchen Dolmetscher
       und müssen unbedingt an den Verhandlungen teilnehmen. Aber hier handelt es
       sich nicht um den Schwanzvergleich von Berufsgruppen, sondern darum, dass
       unabhängig über die Verhandlungen berichtet wird.
       
       Schließlich passieren wir irgendwie die erste Sicherheitskontrolle. Dann am
       Saal werden die Kolleg*innen der regierungsnahen Medienhäuser
       durchgewunken. Wir werden mit dem Satz begrüßt: „Ich lasse nur diejenigen
       rein, die ich mag.“ Also darf ein Sicherheitsbeamter der „neuen Türkei“,
       wie sie Staatspräsident Erdoğan propagiert, gegen die rechtsstaatliche
       Regelung einer freien und öffentlichen Verhandlung verstoßen.
       
       ## Wenig Solidarität aus Angst
       
       Aber Moment, das könnte auch eine Regelung aus der „alten Türkei“ sein.
       Denn Kontinuität ist diesem Staate ist immanent.
       
       Fast genauso schlimm ist, dass man, wenn man es schon durch die Barrikaden
       und ersten Sicherheitskontrollen geschafft hat, von den Angehörigen der
       Angeklagten, von NGO-Vertreter*innen oder von anderen Journalist*innen
       angefahren wird. Sie befürchten, dass möglicherweise auch sie nicht in den
       Gerichtsaal eingelassen werden könnten, nur weil wir uns gegen die
       Türpolitik wehren.
       
       Es ist ärgerlich, dass Personen, die sich vielleicht das erste Mal in einem
       Gerichtsgebäude befinden, ihren eigenen Aktionsradius für wichtiger
       erachten, als das Recht der Allgemeinheit auf Informationen. Auch, dass sie
       statt Solidarität zu zeigen, das Recht der ungerecht behandelten zusätzlich
       mit Füßen treten.
       
       ## Widersprechen und weitermachen
       
       Letztlich spielt das all jenen, die gerne kleine Machtspielchen treiben, in
       die Hände. Zwei Stunden nachdem eine Kollegin von einem
       „Sicherheitsbeamten“ grob geschubst wurde, erklärt eben dieser
       Sicherheitsbeamte, dass Interviews in der Vorhalle – wohlgemerkt, nicht im
       Gerichtssaal – „verrrrboooten“ sind.
       
       Das alles tut weh. So sehr, dass man heulen könnte. Als Journalistin sollte
       man eigentlich nur die Berichterstattung vor Ort im Blick haben müssen.
       
       Wie man es als Berichterstattende trotzdem in Gerichtssäle schafft?
       Diskutieren. Widersprechen. Schreien und Rufen. Im September, wenn der
       Prozess gegen die Altan-Brüder und Nazlı Ilıcak weitergeht, werde ich
       wieder dabei sein. Und darum kämpfen, berichten zu können.
       
       Dieser Text erschien am 19. Juni 2017 auf [1][bianet.org]
       
       29 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elif Akgül
       
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