# taz.de -- Empfinden Deutsche Unhöflichkeit als tiefschürfend?: Wenn es regnet in Berlin
       
       Bridge & Tunnel 
       
       von Ophelia Abeler
       
       Nach fünf Jahren in dieser Stadt, las ich neulich, sei man entweder ein New
       Yorker geworden oder man ziehe weg. Ich bin insoweit New Yorker, als ich es
       beim Pull-down-Menü der Staaten auf dem Handy genau im Finger habe, wo „NY“
       kommt, und ausgerechnet jetzt, nach fünf Jahren, hat ein Immigration
       Officererstmalig in meinen Pass geguckt und „welcome home“ zu mir gesagt.
       
       Ich ziehe aber trotzdem weg. Zurück nach Berlin. Nicht, weil ich es hier
       nicht mögen würde, aber unser Kind wird nach dem Sommer eingeschult und ein
       Jahr öffentlicher Kindergarten unter Polizeibewachung reicht uns;
       Deutschland scheint in vielerlei Hinsicht das geeignetere Land zum Leben
       für uns.
       
       Ich habe ein Gefühl wie nach einer beendeten Beziehung, während ich
       gleichzeitig schon mit Vorfreude darüber nachdenke, wie ich ab jetzt erneut
       als Besucherin zurückkehren kann. Nur als Tourist werde ich mich hier nie
       mehr fühlen, dazu kenne ich mich zu gut aus, zum Glück, denn nichts
       verärgert die New Yorker so sehr wie deren viel zu langsamer Gang.
       
       ## Melancholischer Blick
       
       Mein Blick schweift melancholisch über alles mir Liebgewordene, die
       Architektur, die elaboriert bemalten Tafeln vor den Coffeeshops, die
       gehetzten Gesichter, auf die sich bei Blickkontakt jedoch in 99 von 100
       Fällen ein Lächeln zaubert. Es graut mir etwas vor der Unhöflichkeit, die
       mich in Berlin erwartet, das Angeblafftwerden und die Unfähigkeit, sich
       ordentlich zu entschuldigen. Dazu der Widerstand, den man erfährt, wenn man
       als Heimkehrerin US-amerikanische Freundlichkeit preist: Falsch sei die,
       oberflächlich und ganz schnell vorbei sei es damit, wird man belehrt, als
       wäre das ein Grund, von Anfang an ekelhaft zueinander zu sein – wob0ei ich
       mich frage: Empfinden Deutsche Unhöflichkeit etwa als tiefschürfend? Ich
       empfinde Freundlichkeit hier als wunderbares Schmieröl im Getriebe der
       Stadt, sie garantiert, dass man es hier aushält, wobei Angelenos trotzdem
       über die sagenhafte Unfreundlichkeit der New Yorker schimpfen werden.
       
       Es macht mir den Abschied etwas leichter, dass in meinem kleinen Block hier
       in Brooklyn gerade sowieso alles zerfällt. Die Kneipe schräg gegenüber:
       pleite. Meine Babysitterin: zieht nach Chicago, wo sie für den Preis eines
       New Yorker Apartments eine Dreizimmerwohnung bekommt. Meine Freunde zur
       Linken: aus ihrer Wohnung geflogen. Meine Nachbarin zur Rechten habe ich
       seit ihrem Schlaganfall vor zwei Monaten nicht mehr gesehen. Sie war weder
       im Krankenhaus, noch hat ein Arzt sie besucht, ihr Mann, dem die Hälfte
       seiner Schneidezähne fehlt, versichert mir, sie seien wirklich
       krankenversichert. Ich habe Schwierigkeiten, das zu glauben, jetzt, wo
       Trump mehr an der Zerstörung von Obamacare arbeitet denn je.
       
       ## Hart und teuer
       
       Ach, New York, das Leben ist vor allem so hart, weil es so teuer ist. Wenn
       die Taxifahrer hier bei Verstand wären, würde es bestimmte Filme nicht
       geben. Wenn es hier regnet, gibt es auch keine Taxis. Ein Freund sagte
       bissig, in Berlin gebe es eben auch bei Regen Taxis, weil die Frauen da
       keine Jimmy Choos tragen. Dasselbe gilt allerdings auch für Seattle, wo es
       dauernd regnet und die Leute völlig unbeeindruckt davon bleiben. Das Wetter
       … Der Himmel ist meistens von einem Blau, das Matisse̕Herz höher schlagen
       lassen würde. Wenn es etwas heftiger regnet, tuten gleich alle iPhones in
       Panik: Flutalarm! Bei Schnee kriegt keiner mehr etwas auf die Kette, aus
       unerfindlichen Gründen legt Schnee nicht nur den Straßenverkehr, sondern
       auch die U-Bahn lahm, sodass grundsätzlich die Schule ausfällt, es ist der
       Wahnsinn.
       
       Das besondere Licht werde ich vermissen, dafür die langen hellen Abende
       genießen, die mir hier so gefehlt haben, wo es auch im Juni schon um 20 Uhr
       zappenduster ist. Immer nervig geblieben ist für mich als Fremde das Gerede
       der New Yorker über Schlaf, der hier ernsthaft ein Grund ist, einen Abend
       um 21 Uhr zu beenden, zu einer Zeit, wo man in Berlin überhaupt erst essen
       geht. Nicht vermissen werde ich die angeberischen Aufzählungen der zuletzt
       gelesenen Bücher, als wäre man bei einem Lesewettbewerb. Vermissen werde
       ich aber die Boxen mit ebenjenen Büchern draußen vor den Türen, sobald die
       Bewohner mit ihnen fertig sind – die Enge der Wohnungen verlangt nach
       beständigem „purging“, was zu den unglaublichsten Funden führt. Ich hätte
       nie den Trend des Maxidress mitgemacht, wenn ich nicht gleich drei dieser
       bodenlangen Kleider in perfektem Zustand auf der Straße gefunden hätte.
       
       Ich verspreche euch Berlinern, ich werde die hiesige Freundlichkeit bei
       euch durchziehen, ich werde euch in Grund und Boden lächeln. Ich verspreche
       euch New Yorkern, ich komme wieder, und ich werde mich bei euch bedanken,
       wenn ihr mir sagt, „du siehst nicht aus wie jemand, der aus Berlin kommt“ –
       ganz, wie es sich in New York gehört.
       
       Ophelia Abeler berichtete seit 2013 für die taz aus New York.
       
       29 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ophelia Abeler
       
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