# taz.de -- Ralf Fücks – Grünes Urgestein: Immer noch Avantgarde
       
       > Ende einer Ära: Ralf Fücks, ein großer proeuropäischer und liberaler
       > Intellektueller, geht als Vorstand der Böll-Stiftung in Ruhestand.
       
 (IMG) Bild: Ralf Fücks
       
       Ralf Fücks hat als grüner Landespolitiker schon tief im letzten Jahrhundert
       mal mit der FDP koaliert, ist seit Jahren für Schwarz-Grün, propagiert
       Wirtschaft und Nato als Mittel zum Voranbringen globaler Gerechtigkeit –
       und hat sich jetzt auch noch als Patriot herausgestellt. Muss man mehr
       sagen?
       
       Ja, muss man. Fücks ist ein singulärer sozialökologischer Intellektueller.
       An diesem Freitag verabschiedet er sich in Berlin als Vorstand des
       „grünennahen“ Thinktanks Heinrich-Böll-Stiftung. Seine Nachfolgerin ist die
       evangelische Theologin Ellen Ueberschär. Das ist eine große Zäsur. Weniger
       für Fücks, 65, der nach über 20 Jahren bei Böll viel vorhat und auch weiß,
       was.
       
       Fücks ist vielen denkend voraus, das ist ein Grund, warum er „polarisiert“,
       wie man das so piefig zu nennen pflegt, wenn jemand etwas zu sagen hat. Ein
       anderer: Er ist zu leidenschaftlich, zu ernst und macht zu wenig
       Kompromisse für auf Harmonie gepolte Milieus. Er wollte schon in den
       Siebzigern bei der Kommunistischen Volkszeitung selig als Chefdenker die
       Linie vorgeben.
       
       Er ging für seine Sache in den Knast, aber er war dann auch der oberste
       Reformist des KBW. Und dass er einst weder nah bei Fischer noch nah bei
       Trittin war, mag auch daran liegen, dass er immer ganz bei Fücks war. Heißt
       es. Die andere Wahrheit ist, dass auch Grüne früh und zunehmend mit
       Denkenden zu fremdeln anfingen.
       
       Es wird seine Kritiker nicht trösten, wenn man feststellt, dass Fücks’
       „persönliche Ansichten“ entscheidend zur heutigen Relevanz der
       Böll-Stiftung beigetragen haben. Die Frage, die sich stellt, ist die: Wie
       sieht das in der politischen Hardware des sozialökologischen Denkens und in
       anderen Bereichen künftig ohne ihn, seine industriepolitische Kompetenz und
       seine Allianzenbildungen aus?
       
       Es fehlt ja nun weiß Gott nicht an Humanisten, Gender-Beauftragten,
       Neoliberalismuskritikern, klassischen Gerechtigkeitsverfechtern und steilen
       Überfliegern. Was fehlt, sind zum politischen Detaildenken fähige
       Intellektuelle wie Fücks, die die sozialökologische Kultur, Wirtschaft und
       Politik zusammen denken, diskursiv durchsetzen und hegemonial machen. Vom
       gemeinsamen Ukraine-Engagement mit seiner Frau Marieluise Beck, dem
       Transatlantischen und anderen Feldern hier mal gar nicht zu reden.
       
       ## „Links“ und „rechts“ ist von gestern
       
       In seinem jüngsten Buch, „Freiheit verteidigen“, zeigt Fücks auch, was bei
       den herkömmlichen Analysen der autoritären Bedrohung häufig vergessen wird.
       Die Bedeutung einer demokratischen Ablösung der fossilen Wirtschaft für das
       westliche Projekt der liberalen Moderne. Im Gegensatz zur
       reduktiv-moralischen Denkschule ist Fücks immer davon ausgegangen, dass
       „Postwachstum“, also ein grundsätzliches Weniger, nicht verhandelbar ist
       für die Milliarden, die gar nichts haben und endlich einen gerechten Anteil
       wollen.
       
       Dieser Gerechtigkeitsanspruch sei für diese Milliarden Menschen nicht
       verhandelbar. Also bleibt der Green New Deal, ressourcen- und
       energieeffizientes Wirtschaften.
       
       Der Kampf der Gegenwart wird für ihn nicht zwischen „links“ und „rechts“
       ausgetragen, sondern für und gegen das liberale Projekt der Moderne, das
       von aufstrebenden Autokratien angegriffen wird. Um es zu retten, braucht es
       neben Sozialstaat selbstbestimmte Bürger und starke republikanische
       Institutionen. Der Job besteht für ihn jetzt darin, das demokratische
       Zentrum gegen die illiberalen Angreifer zu stärken. Gegen die außerhalb der
       EU und die innerhalb, bis hin zu protektionistischen Linkspopulisten wie
       Mélenchon und Wagenknecht.
       
       ## Europäischer Patriot
       
       Fücks ist einen sehr weiten Weg gegangen. Wie Winfried Kretschmann und
       Joschka Fischer auch. Aus einer biografischen Mangelsituation in der
       Nachkriegsprovinz über den Aufbruch einer sich globalisierenden politischen
       Teilöffentlichkeit 1968 in die autoritären Piefstrukturen einer
       kommunistischen Sekte zu einem reformistischen Grünen-Landespolitiker und
       schließlich zu einem „demokratischen Patrioten“, wie er das nennt.
       
       Das kann im 21. Jahrhundert nur ein liberaler europäischer Patriot sein.
       Ralf Fücks ist nicht Teil einer spezifisch geprägten Generation, die es
       hinter sich hat.
       
       Es geht ihm wirklich um etwas. Immer. Damit ist er leider immer noch
       Avantgarde. Die grüne Erzählung, die er in den letzten Jahrzehnten
       entwickelt hat, ist eine Erzählung, die über die gleichnamige Partei und
       ihre Gründungsmotive hinausweist. Und zwar ziemlich weit. Sie ist der
       geglückte Bildungsroman einer erwachsenen liberalen Mehrheitsgesellschaft
       der europäischen Bundesrepublik Deutschland.
       
       23 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
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