# taz.de -- Hausbesuch Fatena Kheder flüchtete vor dem Krieg in Syrien und vor dem Krieg in der Ehe. In Goslar wohnt sie nun mit den vier Kindern und macht, was Mann und Konvention ihr einst verboten: selbstbestimmt leben: Sie liebt Transparenz
       
 (IMG) Bild: Fatena Kheder und ihre Tochter. Als Kheder das Kopftuch ablegte, sagte sie zur Tochter, auch sie solle das tun – und es erst wieder tragen, wenn dies ihr Wille sei und nicht der anderer
       
       von Khaled Alesmael (Text) und Klaus G. Kohn (Fotos)
       
       Zu Besuch bei Fatena Kheder, 41, in Goslar. Sie flüchtete mit ihren vier
       Kindern aus Syrien.
       
       Draußen:Alte Straßen und alte Häuser mit Fachwerk. Renoviert sind fast
       alle, das Alte ist jetzt neu und elegant. Im Breiten Weg, auf einem Hügel
       über der Stadt, steht ein rotes Backsteingebäude, das von Bäumen,
       Sträuchern und Blumen umgeben ist. „Ich liebe Goslar“, sagt Fatena Kheder,
       als sie zum Eintreten auffordert.
       
       Drinnen: Die Wohnung ist hell und großzügig geschnitten. Sie hat fünf
       Zimmer, eine Küche, zwei Bäder. Den größten Raum hat Kheder zu ihrem
       Schlafzimmer gemacht. In einem anderen schlafen die zwei Töchter, im
       dritten die beiden Söhne, ein Zimmer steht noch leer. Es ist für ihre
       Mutter, die nachkommen soll. Alle Möbel sind secondhand bis auf die
       Bücherregale, die schenkte ihnen eine deutsche Freundin. Erst im Mai ist
       Kheder mit ihren Kindern hier eingezogen. „Lange habe ich darauf gewartet“,
       sagt sie.
       
       Pflanzen: Oft hat die Syrerin ihr Zuhause verlassen und neu anfangen
       müssen. Anfang der 90er Jahre zog sie von Homs nach Der Ezzor, weil sie
       heiratete. Als die Revolution 2011 anfing, ging sie von Der Ezzor nach
       Damaskus. Als die Situation in Damaskus schwierig wurde, floh sie in den
       Libanon und 2015 weiter in die Türkei. Sie und ihre vier Kinder sind dann
       als Flüchtlinge in Deutschland gestrandet. Egal wo sie gelebt hat, immer
       hatte sie Pflanzen. In Syrien die Zitronen, im Libanon den Jasmin, in der
       Türkei Kakteen. Pflanzen geben Fatena Khader ein Gefühl von Stabilität, von
       Wurzeln. „Aber ein Gefühl von richtiger Stabilität habe ich erst hier, in
       dieser Wohnung“, sagt sie. „Hier sind Orchideen meine Lieblingspflanzen.
       Sie sind stark und schön“, sie sagt es und zeigt auf den Topf.
       
       Nein: Als die Revolution in Syrien begann, war das für Fatena Kheder ein
       Anstoß, nicht nur das Leben im Land, sondern auch ihr eigenes zu verändern.
       Es machte sie stark, als sie die Menschen in Syrien auf den Straßen „Nein“
       schreien hörte gegen die Diktatur. Sie entschied, dass sie ihre eigene
       Revolution gegen ihren Ehemann ausrufen musste, sie trennte sich, suchte
       ihre Unabhängigkeit. Sie war sehr jung, als sie verheiratet wurde mit einem
       Mann, den sie nicht liebte, 22 Jahre hielt sie seinen Despotismus aus. „Ich
       spielte im Park mit Freundinnen, als meine Familie die Ehe arrangierte.“
       Mit Tränen in den Augen erzählt sie dies. Bis auf das Achtjährige waren
       ihre Kinder fast schon erwachsen, als sie entschied, aus ihrem privaten
       Gefängnis auszubrechen.
       
       Der Schleier: Nicht sie, ihr Mann hatte entschieden, dass sie den Schleier
       in Syrien tragen muss. „Mein Exmann wollte alles, was schön war an mir,
       verstecken.“ Sie sagt es, öffnet ihr Haar und lässt es über die Schulter
       fallen. Sie nahm den Hidschab ab, als klar war, gleich steigt sie in der
       Türkei in ein Boot. Sie wollte ein neues Leben beginnen. „Rebellisch und
       liberal“, so beschreibt sie sich jetzt. Sie kann sich nicht erinnern, was
       sie mit dem Stück Stoff, das einst ihr Hidschab war, machte, nachdem sie
       ihn herunter genommen hatte. Als sie in Griechenland ankam, hatte sie nur
       noch ihr Handy und ihren Ausweis dabei. Rechts und links hielt sie die
       Hände ihrer Töchter. Fatena Kheder bat ihre 17-jährige Tochter, den
       Hidschab ebenfalls abzunehmen. „Sie kann ihn tragen, wenn sie sich selbst
       dafür entscheidet, aber niemand darf sie zwingen dazu.“
       
       Vergangenheit: „Meine Ehe war eher wie eine fortwährende Vergewaltigung“,
       sagt Fatena Kheder. Sie werde niemals billigen, dass ihre Kinder so etwas
       auch erleben. Sie glaubt jetzt an Liebe, und es würde sie glücklich machen,
       wenn ihre Kinder Liebe fänden. Sie selbst denkt nicht daran, sich wieder
       mit jemanden zu verbinden oder wieder zu heiraten, aber sie würde dem
       Schicksal nicht im Weg stehen, wenn es das für sie vorsähe. Erst mal jedoch
       lernt sie Deutsch und will sich beruflich entwickeln. Sie macht eine
       Ausbildung zur Köchin. „Ich möchte das tun, was ich in den Jahren der Ehe
       verloren habe: studieren und arbeiten.“
       
       Tee: Sie lässt ein Lied der berühmten libanesischen Sängerin Fairuz auf
       ihrem Handy laufen und bringt Tee in Gläsern. „Ich trinke gern aus
       durchsichtigen Tassen. Ich mag alles, was durchsichtig ist“, sagt sie. Tee
       sei ihr Lieblingsgetränk. Beim Teetrinken denkt sie nach. Über die Zukunft.
       Sie macht sich Sorgen: „Ich fange bei null an in einem fremden Land und
       muss gleichzeitig Vorbild für eine Jugendliche, ein kleines Mädchen und
       zwei Jungs sein.“ Sie sagt es und zündet sich eine Zigarette an.
       
       Überzeugungen: Fatena Kheder ist beeindruckt von den Frauen in Deutschland.
       „Sie sind unabhängig und stark. Ich finde sie inspirierend.“ Sie begreift
       sich jetzt selbst als Feministin, liest die Bücher von Nawal El Saadawi,
       der großen Frauenrechtlerin, Ärztin und Psychiaterin aus Ägypten. Saadawi
       hat unter anderem auch die Genitalverstümmelung in ihrer Gesellschaft
       kritisiert. Fatena Kheder postet Zitate und Artikel von El Saadawi über
       Facebook, um andere Frauen aus Syrien zu inspirieren. „Ich bin jetzt eine
       komplett andere Frau, eine, die ihren Söhnen sagt: In meinem Haus gibt es
       zwischen euch und euren Schwestern keine Unterschiede. Wir sind alle
       gleich.“ Sie sagt das in Anwesenheit ihrer Kinder.
       
       Freunde: Kheder schafft es, überall, wo sie ist, Freunde zu finden. Auch in
       Goslar grüßt sie schon nach allen Seiten, wenn sie unterwegs ist. „Freunde
       sind sehr wichtig in meinen Leben, sie sind meine Ersatzfamilie im Exil.“
       Das sei umso wichtiger, weil das Verhältnis zu ihren beiden Schwestern seit
       der Scheidung und ihrer persönlichen Veränderung sehr distanziert und kühl
       geworden sei. Während des Interviews lädt sie Lina und Robin ein,
       dazuzukommen. Beide sind aus Syrien. Lina war dort eine feministische
       Aktivistin, Robin ein Videoproduzent. Beide finden Fatenas Entwicklung
       atemberaubend. Fatena müsse ein Buch darüber schreiben und Frauen in Syrien
       dazu inspirieren, ihre Ketten abzuwerfen, meinen sie. Deutsche Freunde und
       Freundinnen hat Fatena Kheder auch. Sie sind nicht nur begeistert von ihrer
       Entwicklung, sondern ebenso von ihrer Kochkunst.
       
       Was ist Glück? „Freiheit ist Glück“, sagt sie, „und gutes Essen.“ Dann
       zeigt sich: Wer an Glück denkt, denkt schnell auch an Unglück: „Ich lebte
       22 Jahre lang in meinen ganz eigenen Krieg“, sagt sie.
       
       Wie denkt sie an Syrien? „Dort leben meine Familie und meine Freunde.“ Sie
       möchte nicht so oft an Syrien denken, „weil ich Angst habe, dass mich dann
       die Traurigkeit packt und nicht mehr loslässt“.
       
       Und was hält sie von Merkel? 
       
       Die Bundeskanzlerin steht für Macht und Unabhängigkeit, meint Kheder. „Sie
       trifft gute Entscheidungen, wir brauchen mehr Politikerinnen wie sie.“ Sie
       möchte mehr über Merkel erfahren und wie sie in diese Machtposition kam.
       
       3 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Khaled Alesmael
       
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