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       > VOLKSBÜHNE Alles wird anders am Rosa-Luxemburg-Platz? Mitnichten. Das
       > P14-Jugendtheater der Castorf-Volksbühne bleibt. Das Nachwuchstheater
       > agiert nah am Literarischen – und ist immer mindestens aufregend
       
 (IMG) Bild: „Sabotage Camouflage“, das neuste Stück der Jugendtheatergruppe P14 an der Volksbühne
       
       von Sascha Ehlert
       
       Jugendtheater, das klingt ja erstmal nach: Laien, die spielen, dass sie
       Theater spielen. Nach Schülern, die angeleitet von Pädagogen „pädagogisch
       wertvolles“ Theater machen. Logisch, dass Frank Castorf und sein damaliger
       Dramaturg, der heutige Intendant der Münchner Kammerspiele Matthias
       Lilienthal, etwas anderes im Sinn hatten, als sie 1993 die Jugendbühne der
       damals neuen Volksbühnen-Mannschaft nach der Altersbeschränkung der DDR für
       Filme benannten: Anarchisch, unabhängig und autonom sollte P14 arbeiten
       können, allein schon deshalb, weil Frank Castorf sich als Intendant nicht
       als „Kulturmanager“ sah, der sich um die Abteilungen seines Hauses
       „kümmert“.
       
       So entstand im dritten Stock der Volksbühne mit der Zeit eine künstlerisch
       relevante Jugendbühne, die Schauspielerinnen wie Lilith Stangenberg
       hervorbrachte und in ihren Arbeiten eindeutig von Castorf, Pollesch und Co.
       beeinflusst ist, aber dennoch auf der eigenen Autonomie beharrt – auch
       dann, wenn ihre geistigen Mütter und Väter im Herbst das Haus verlassen.
       
       „Mach dein Theater selbst“, lautet seit den 1990ern der Werbeslogan von P14
       – und das geht so: Im Zentrum der Bühne platziert ist ein Sarg aus
       Plexiglas, in ihm ein junger Mann, dürre Arme, wuscheliges Haar,
       Harry-Potter-Brille; er heißt an diesem Abend Sebastian (zumindest
       manchmal). Er ist eine Leiche; um ihn herum wird gespielt, ein
       Cocktail-Empfang unter Freunden, die sich mögen oder nicht, die sich
       streiten, die saufen und singen. Dabei schreien sie manchmal, manchmal
       flüstern sie aber auch beinahe.
       
       „Das erinnert mich doch an diesen einen Film“, sagt einer der Spieler, aber
       den Rest interessiert's nicht. Überhaupt sprechen die Spieler viel über und
       mit sich selbst, geben aber oft wenig acht auf den Rest. Sie umkreisen sich
       selbst, geben so nervige wie liebenswerte Zerrbilder der mutmaßlich so
       selbstbezogenen Generation ab, der sie angehören.
       
       Gespielt wird an diesem Montagabend im dritten Stock die Premiere von
       „Sabotage Camouflage – Wir glauben Ihnen kein Wort“, Untertitel: „Drittes
       Manöver“. Dieser geht zurück auf einen quasi-autobiographischen Roman des
       kubanischen Schriftstellers Virgilio Piñera, Titel: „Kleine Manöver“. Über
       Virgilio Piñera erzählt man die Anekdote, dass eines seiner Bücher einen
       gewissen Che Guevara so erzürnte, dass dieser einen Wutanfall bekam: „Wie
       kann man es wagen, ein Buch von diesem Päderasten in unserer Botschaft
       stehen zu haben?“, soll Guevara gesagt haben.
       
       Vanessa Unzalu Troya, die P14 seit 2008 leitet, sagt, „Kleine Manöver“
       handelten „von einem, der eigentlich nichts will, der nicht an der
       Gesellschaft teilhaben möchte. Eine Haltung, mit der junge Menschen
       momentan offenbar viel anfangen können.“ Troya war es, die dem P14-Ensemble
       den 1990 auf deutsch erschienenen Roman vorschlug.
       
       Sie ist zwar gelernte Theaterpädagogin, aber in ihrer Rolle als P14-Leitung
       eigentlich ein vielköpfiges Wesen, gleichzeitig Dramaturgin,
       Regie-Assistentin, Intendantin und Personalleitung. „Ich nenne mich
       trotzdem gern Pädagogin, weil der Begriff erstmal so wenig mit Kunst zu tun
       hat und es mir ermöglicht, leichteren Kopfes meine Arbeit zu machen.“ Als
       Pädagogin sei man nicht dem Zwang entworfen, Kunst zu machen, was gerade
       deshalb bei P14 oft hervorragend klappt.
       
       „Sabotage Camouflage“ – das dritte von vier Manövern dieser Spielzeit –
       beispielsweise ist ein Abend, der zwar langsam ins Rollen kommt, dann aber
       mit der richtigen Mischung aus Chaos, klugen Gedanken, Zugänglichkeit,
       Sentimentalität, Pathos und Witz fesselt. Ab und an leuchten Szenen auf,
       bei denen man denkt: „Das hätten die da unten im Großen Haus nicht besser
       machen können“. Der Abend gelingt auch, weil er sich fleißig durch Sub- und
       Mainstream-Kulturen hindurchzitiert: Zum Reinkommen laufen die Sex Pistols;
       die Schminke der Darsteller erinnert an die Glam Rock-Phase der Popkultur,
       zwischendurch wird auch mal Rihanna zitiert.
       
       ## „Wer hat uns gefragt?“
       
       Wie es an diesem Haus so üblich ist, kommt außerdem immer wieder eine
       Filmkamera zum Einsatz. Ebenso wenig fehlt das Volksbühnen-typisch
       Selbstreflexive an diesem Abend: Als auf der Bühne irgendwann die
       Filter-Kaffeemaschine kaputtgeht, kommt der Handwerker, aber anstatt sie zu
       reparieren will er eine ganz neue Kaffeemaschine (Hightech!) da hinstellen.
       „Aber wer hat denn uns gefragt, ob wir das überhaupt wollen?“, sagen die
       Spieler daraufhin. Ganz schnell geht es da nicht mehr wirklich um Kaffee,
       sondern eigentlich, natürlich, um das Ende der Volksbühne, so wie sie in
       den letzten 25 Jahren war.
       
       Auch die Autorinnen des Stückes (das meistens rasend unterhaltsam ist und
       nur gelegentlich Längen hat), namentlich Leonie Jenning und Martha von
       Mechow, sind Kinder der Castorf-Volksbühne, beziehungsweise eines
       Literaturtheaters, das einen frei-assoziativen Umgang mit großen Textmassen
       zelebriert, um mit einem Stück näher an so etwas wie Wahrheit
       heranzukommen. „Ja, uns ist der Umgang mit literarischen Texten wichtig,
       und das werden wir auch beibehalten“, sagt Vanessa Unzalu Troya. Will
       heißen: Auch, wenn im Herbst Chris Dercon und Marietta Piekenbrock hier
       eingezogen sind, soll sich daran nichts ändern.
       
       „Natürlich gab es intern Diskussionen darüber, ob wir aus der natürlich
       empfundenen Solidarität zum Haus gehen sollten, oder ob wir bleiben“, so
       Troya. Man entschied sich letztlich für's Bleiben, weil man diesen Ort, der
       für viele P14-Mitglieder auch ein Zuhause ist, unbedingt erhalten wollte.
       Insgesamt gehören 30 Leute zum harten Kern und 60 zum erweiterten Kreis von
       P14; unter ihnen sowohl 14-Jährige, die der „neuen“ Volksbühne unbefangen
       entgegen blicken, aber auch jene, die bereits seit sieben, acht Jahren
       dabei sind. In „Sabotage Camouflage“ bringen sie ihre Zweifel zum Ausdruck.
       Gegen Ende fragt dieser Abend nämlich auch, ob der Rosa-Luxemburg-Platz
       weiter ein widerständiger Ort zwischen den Shopping-Meilen von Berlin-Mitte
       bleiben wird, wenn die neue Volksbühnen-Mannschaft sich ab Herbst von
       vielen Volksbühnen-Traditionen verabschiedet.
       
       Es ist sehr wahrscheinlich, dass vieles anders wird als bisher. Vielleicht
       wird es nicht mehr das große „Wir“ geben, mit denen man sich auf der großen
       Bühne ebenso wie im dritten Stock identifiziert, wahrscheinlich werden die
       Kantinen-Nächte, in denen P14-Leute mit den Stars des Ensembles am selben
       Tisch enden, weniger. Und mit Sicherheit gibt es momentan gute Gründe für
       wehmütige Gedanken.
       
       Die Entscheidung von P14 für ein Dableiben immerhin bietet Trost, denn: Was
       hier seit Jahren mit wenig Erfahrung und geringen finanziellen Mitteln auf
       die Bühne gestellt wird, ist im besten Fall sehr gut, meistens aber
       mindestens aufregend. Deshalb endet dieser Beitrag mit einem
       hoffnungsvollen Ausruf: Der dritte Stock bleibt besetzt!
       
       P14 in der Volksbühne: 30. und 31. Mai, „Vielleicht sollte ich die schöne
       Wüste in mir verlassen“; 15., 16. und 23. Juni „Camouflage Sabotage“,
       weitere Termine zu Stücken aus dem Repertoire: www.volksbuehne-berlin.de
       
       29 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sascha Ehlert
       
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