# taz.de -- Proteste gegen Neubau in Moskau: „Hände weg von unserem Eigentum“
       
       > Rund 20.000 Menschen demonstrieren in Moskau gegen den geplanten Abriss
       > baufälliger Wohnblöcke. Sie trauen dem Neubauprogramm nicht.
       
 (IMG) Bild: Demos in Moskau gegen den geplanten Abriss von Wohnblocks
       
       Moskau taz | „Ich habe mich beim Zetteleinwerfen wie eine Partisanin
       gefühlt“, meint Lydia Wischnewskaja. Die Rentnerin forderte in ihrem
       Moskauer Wohnbezirk die Nachbarn auf, sich gegen Pläne der Stadtregierung
       zur Wehr zu setzen und an der zentralen Protestveranstaltung gegen ein
       neues Gesetz teilzunehmen. „So etwas habe ich vorher noch nie gemacht“,
       wundert sich die ältere Dame über den „plötzlichen Ungehorsam“.
       
       Seit Ende Februar geistert ein Gesetzesentwurf zur „Renowazija“ durch die
       russische Hauptstadt. In den nächsten Jahren plant die Stadt, 4500 alte und
       baufällige Häuser abzureißen und die Bewohner umzusiedeln. Ein gigantisches
       Neubauprogramm, von dem allein in Moskau mehr als eine Million Menschen
       betroffen sein könnten.
       
       Am Sonntag gingen mehr als 20.000 Moskowiter gegen das Vorhaben erst einmal
       auf die Straße. Die Veranstaltung war von der Stadt überraschend genehmigt
       worden. Wohl um einen Eindruck zu erhalten, wie viel Zündstoff das Thema
       birgt und welches Ausmaß der Protest noch annehmen könnte. Sondereinheiten
       der Polizei hielten sich in den Nebenstraßen des Sacharow-Prospektes auf,
       wo sich die Demonstranten versammelten.
       
       „Noch ist das Gesetz nicht verabschiedet, aber das Bauprogramm steht
       schon“, meint ein älterer Aktivist aus dem Stadtteil Gagarinskij. Die
       Menschen sind misstrauisch. Warum wird ein Neubauvorhaben innerhalb
       kürzester Zeit durch die Instanzen gepeitscht? wundern sie sich. Schon im
       September soll mit den Bauarbeiten begonnen werden. Da die meisten Bewohner
       jedoch Eigentümer der Wohnungen sind, stellt sich die Rechtslage noch
       komplizierter dar als bei bloßen Mietern.
       
       ## Skeptische Bürger
       
       „Hände weg von unserem Eigentum“ ist einer der häufigsten Slogans, den die
       Demonstranten auf Transparenten vor sich hertragen. Manche teilen auch nur
       kurz mit: „Ich gehen nichts ins Ghetto“ – und meinen damit die
       Trabantenstädte vor den Toren Moskaus. Zwar versprach die Stadt, Umsiedlern
       Wohnraum im selben Stadtteil bereitzustellen. Es sind indes nicht nur die
       skeptischeren Bürger, die daran zweifeln.
       
       Die Bauten, die abgerissen werden sollen, heißen „Chruschtschowki“. Es sind
       vier– und fünfstöckige Häuser mit kleineren Wohnungen. Einfache
       Behausungen, die ab Ende der 1950er unter Leitung des Generalsekretärs der
       KPdSU, Nikita Chruschtschow, in der ganzen Sowjetunion aus dem Boden
       gestampft wurden.
       
       Nach Zweitem Weltkrieg und chronischem Wohnraummangel stellten diese
       bescheidenen „eigenen vier Wände“ bereits eine Vorstufe des Paradieses dar.
       25 bis 50 Jahre sollten die Häuser ursprünglich halten.
       
       Inzwischen wurden fast 60 Jahre daraus und viele befinden sich in
       erbärmlichem Zustand. Deswegen begrüßten viele Bewohner die städtische
       Initiative zunächst. Die Lehrerin Ludmila Fjodorowna freut sich sogar auf
       den Umzug in eine neue Wohnung. „Ich bin auch bereit, einen längeren
       Anfahrtsweg in die Stadt in Kauf zu nehmen“, sagt sie.
       
       ## Krumme Absichten
       
       Auf der Veranstaltung zählt sie aber zu einer Minderheit, die den
       städtischen Planern keine krummen Absichten unterstellt. „Sie wollen einen
       Reibach mit den innerstädtischen Grundstücken machen“, sagt einer. Draußen
       im Grünen koste eine vergleichbar große Wohnung doch nur einen Bruchteil.
       Er spricht von einer Differenz zwischen der Gleichwertigkeit und
       Gleichartigkeit, die im Gesetzentwurf nicht bedacht wird.
       
       Andere sehen im Vorgehen der Stadt einen „Anschlag auf die Verfassung“.
       Wenn ein Haus abgerissen wird, erlischt das Eigentumsrecht an dieser
       Wohnung. Dem Eigentümer werde zwar eine andere Wohnung versprochen, aber
       nirgends werde geklärt, ob sie besser oder schlechter sein dürfe.
       
       Die Menschen sind verunsichert und entschlossen, sich für ihre Rechte
       einzusetzen. Noch fehlt ihnen die Erfahrung. Für viele war es das erste
       Mal, dass sie öffentlich an einem Protest teilnahmen. Manche kamen mit der
       ganzen Familie.
       
       Es sind nicht jene Demonstranten, die gegen Einschränkung von
       Menschenrechten, den Krieg in der Ukraine oder für den Rücktritt Präsident
       Wladimir Putins regelmäßig auf die Straße gehen. Es sind eher jene, die
       bislang wenig zu klagen hatten.
       
       Ab Montag lässt Moskaus Bürgermeister Sergei Sobjanin die Betroffenen im
       Laufe eines Monats befragen. Nur die Häuser sollen dann umgesiedelt werden,
       bei denen zwei Drittel der Bewohner das auch ausdrücklich wünschen.
       
       14 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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