# taz.de -- Manche Sätze kann man als Öko einfach nur hassen: Die Tüten-Partei
       
       Wir retten die WeltVonMarcus Franken
       
       Die Linken bringen es nicht, sagte mir vor Kurzem so ein junger wütender
       Kerl. Weil: Die streiten doch nur, wie man das Binnen-I schreibt. Groß oder
       klein? Mit Sternchen und in Klammern? Jedenfalls war ihm das zu blöd, zu
       unpolitisch. Er wollte was tun. Für echte Menschen und gegen echte
       Probleme. Sofort und nicht erst danach. So geht es Öbi gerade mit der Tüte
       und ihrer Partei.
       
       Bei den Grünen war früher noch „Atomkraft – nein danke“ und „Runter vom
       Müllberg“. Das verstand man sofort. Und Öbi – meine älteste Freundin und
       Mitstreiterin, die Ökobilanz! – war Chef, es herrschte ökobilanzieller
       Totalitarismus. Öbi kann ja auch ein bisschen bossy sein.
       
       Dann kam Merkel. Und Öbi hat sich rangeschmissen, sich der Macht willig
       hingegeben. Und die Macht hat sie belohnt: Atomausstieg, Elektroauto,
       Klimakanzlerin – das war alles Öbi! „Alternativlos“, hauchte sie zufrieden,
       wenn sie abends nach Hause in die WG kam. Der Blick glasig, sie schlief
       früh. Öbi hätte nie eingestanden, dass sie den Grünen fremdging. Es war
       auch nur ein bisschen Fremdgehen, eher für den Kick.. Tief im Herzen liebte
       sie weiter die Öko-Partei. Bis die Tüte kam.
       
       Die Tüte knallt. Cem Özdemir ließ „Geiler Sack“ auf einen Baumwollsack
       drucken und übergab ihn einem Supermarkt-Chef. Die Leute fanden das gut.
       Erstens selbstironisch. Zweitens voll im Trend. Betrifft jeden. Jeder weiß:
       Die Tüte ist ganz schlimm. Nur Öbi wusste: Diesmal gehen die Grünen fremd –
       mit dem Populismus.
       
       Nachdem Özdemir den „Geilen Sack“ vorgestellt hatte, holte Öbi abends die
       gesammelten Tüten aus dem Küchenschrank: Zuerst schmiss sie die riesigen
       Mehrwegdinger für einen Euro in die Ecke, mit denen man drei Wassermelonen
       und ein Spanferkel zum Grillen mitbringen kann. Dann legte sie eine der
       normalen Tüten auf die Küchenwaage und rief: „20 Gramm, Marcus! Guck
       selber! Nur 40 Gramm Erdöl stecken da drin! Selbst die Wikipedia weiß, dass
       der Deutsche nur 76 Tüten pro Jahr benutzt.“ Und pedantisch erklärte sie
       weiter: „So kommst du im Schnitt auf einen Tüten-Ölverbrauch von drei Kilo.
       Der Deutsche verbraucht aber mehr als 1.300 Kilo Öl pro Jahr. Fürs Heizen.
       Für Autofahren.“ Sie redete sich in Rage. „Darum kümmern die Merkel und ich
       uns jeden Tag.“ Die Grünen seien ihr zu popelig. Ich konnte hören, wie sie
       dabei weinte.
       
       Aber Öbi, sagte ich und strich ihr über das mit Biofarben getönte Haar,
       „wenn es Alternativen wie Mehrwegplastik und Papiertüte gibt, dann ist so
       ein Tütenverzicht doch ein schönes Zeichen“. Sie wollte sich nicht trösten
       lassen. „So ein Quatsch, eine Baumwolltasche ist erst nach der dreißigsten
       Nutzung besser für die Umwelt“, fauchte sie. Und auch eine Papiertüte müsse
       man vier Mal nutzen, um dem Einwegplastik ökologisch Konkurrenz zu machen –
       auch deren Herstellung brauche Energie und Rohstoffe. „Und für
       Papiertaschen werden besonders lange Zellstofffasern gebraucht, dafür
       behandelt man sie mit Chemikalien“, belehrte sie mich, schon fast wieder
       die alte Besserwisserin. Und wie oft ich denn meinen Baumwollbeutel
       benutze?
       
       Das Beste ist, sagt Öbi, wenn du dir für’nen Euro so einen kleinen Beutel
       aus Polyethylen an der Kasse kaufst. „Den kann man so klein in die Tasche
       stopfen, dass sogar du immer einen dabeihast“, stichelte sie. Im
       Küchenschrank könnten wir dann was anderes sammeln. Dann sagte Öbi einen
       Satz, der mir wirklich wehtat: „Plastik kann total öko sein. Kommt drauf
       an, was man daraus macht.“ Den Spruch hatte ich schon bei Beton gehasst.
       
       19 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcus Franken
       
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